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Dürfen amerikanische Frauen bald nicht mehr abtreiben?

Bianca Cameron-Schwiesow, from left,Kari Crowe and Margeaux Hardline, dressed as handmaids, take part in a protest against HB314, the abortion ban bill, at the Alabama State House in Montgomery, Ala., ...
Drei Frauen protestieren im «The Handmaids' Tale»-Kostüm vor dem Parlament in Montgomery.Bild: AP/The Montgomery Advertiser
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Abtreibungsverbot – schleift Ex-Sklavenstaat Alabama die USA zurück ins Mittelalter?

Der Senat des ehemaligen Sklavenstaats Alabama hat das bisher härteste Abtreibungsverbot abgesegnet. Republikaner und Evangelikale wollen das national gültige Gesetz, das Abtreibungen erlaubt, zu Fall bringen.
15.05.2019, 13:4416.05.2019, 05:44
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Alabama hat den Ruf, der konservativste aller konservativen Südstaaten der USA zu sein. In der Hauptstadt Montgomery weigerte sich einst die Schwarze Rosa Park, einen für Weisse reservierten Sitz im Bus zu verlassen. In Selma führte Martin Luther King den berühmten Marsch für die Rechte der Schwarzen an.

Nun ist der ehemalige Sklavenstaat seinem Ruf einmal mehr gerecht geworden. Am Dienstag hat der Senat von Alabama eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die besser ins Mittelalter als in die digitale Gesellschaft des 21. Jahrhunderts passt. Es geht um Folgendes:

FILE - In this Tuesday, May 7, 2019, file photo, protesters rally outside of the Georgia State Capitol following the signing of HB 481, in Atlanta. Georgia Governor Brian Kemp signed legislation on Tu ...
Auch im Bundesstaat Georgia gehen Frauen auf die Strasse und protestieren gegen die Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Bild: AP/Atlanta Journal-Constitution

Die Abtreibung wird generell verboten, selbst wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung oder einen Inzest erfolgt ist. Einzig wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist, bleibt der Eingriff erlaubt. Ärzte, welche eine Abtreibung vornehmen, müssen bis zu 99 Jahre in den Knast.

Die Vorlage ist ganz nach dem Geschmack der härtesten Hardliner unter den konservativsten Republikanern. Sie macht keinerlei Kompromisse mehr. Greg Reed, der republikanische Mehrheitsführer, erklärt denn auch unumwunden:

«Die Gesetzesvorlage nimmt schlicht Rücksicht auf die Tatsache, dass ein ungeborenes Kind Schutz verdient – und allen Anstrengungen der Abtreibungsbefürworter zum Trotz wird diese Gesetzesvorlage ein gültiges Gesetz werden, denn die Menschen in Alabama stehen entschlossen auf der Seite des Lebens.»

So schnell wird die Vorlage allerdings nicht umgesetzt werden können. Zuerst muss sie von Kay Ivey, der republikanischen Gouverneurin Alabamas, abgesegnet werden. Tut sie das, dann muss eine noch viel höhere Hürde übersprungen werden, der Oberste Gerichtshof.

Abtreibung wird in den Vereinigten Staaten national geregelt. 1973 hat das Oberste Bundesgericht eines der wichtigsten und umstrittensten amerikanischen Gesetze der Nachkriegszeit verabschiedet: Roe vs. Wade. Dieses Gesetz besagt, dass Frauen grundsätzlich das Recht auf eine Abtreibung haben.

Sämtliche Bundesstaaten müssen sich diesem Gesetz unterordnen, auch das konservative Alabama. Weshalb also der ganze Ärger?

Konservative kämpfen seit Jahrzehnten erbittert gegen Roe vs. Wade. Mehrere Angriffe sind gescheitert, weil keine Mehrheit im neunköpfigen Gremium des Obersten Gerichtshofs zustande kam.

FILE - In this Nov. 30, 2018, file photo, the justices of the U.S. Supreme Court gather for a formal group portrait to include the new Associate Justice, top row, far right, at the Supreme Court Build ...
Die neun Mitglieder des Obersten Gerichtshofs. Die Konservativen sind wieder in der Mehrheit.Bild: AP/AP

Das hat sich geändert. Präsident Trump konnte zwei Vakanzen besetzen, und er hat dies mit zwei sehr konservativen Männern getan: Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh. Damit gibt es nun eine konservative Mehrheit im Obersten Gerichtshof. Deshalb wittern Abtreibungsgegner ihre Chance.

Nicht nur in Alabama, sondern in weiteren 16 konservativen Bundesstaaten sind härtere Abtreibungsgesetze verabschiedet worden. So hat der Gouverneur von Georgia, Brian Kemp, soeben ein Gesetz unterzeichnet, das eine Abtreibung verbietet, wenn der Fötus einen Herzschlag hat. Das ist nach etwa sechs Wochen der Fall. Die meisten Frauen wissen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass sie schwanger sind.

Die Taktik der Abtreibungsgegner läuft darauf hinaus, den Obersten Gerichtshof zu einer Neubeurteilung von Roe vs. Wade zu zwingen, in der Hoffnung, dass die neue Mehrheit dieses Gremiums das verhasste Gesetz umstossen wird. «Bisher hat es keine Aussicht darauf gegeben, Roe zu revidieren», bekennt Eric Johnson von der Pro-Life-Organisation offen.

Die Abtreibungsgegner legitimieren ihre Aktionen mit religiösen Gründen und wollen sich für die Anliegen der Frauen einsetzen. Tatsächlich geht es ihnen darum, die Emanzipation der Frauen rückgängig zu machen. Linda Greenhouse, Professorin an der Yale University, erklärt im Magazin «New Yorker»:

«Etwas Seltsames geht hier vor. Gesetze wie diese haben kaum etwas mit dem Fötus, dem Embryo oder dem befruchteten Ei zu tun. Es geht um die Rolle der Frauen in der heutigen Gesellschaft. Es geht um die Würde der weiblichen Hälfte der Bevölkerung.»

Der Aufschrei der Frauen ist denn auch gewaltig. «Es ist ein schrecklicher Tag für uns Frauen« erklärt etwa die bekannte Frauenrechtlerin Cecile Richards. Sie macht aber auch klar, dass eine Abschaffung von Roe vs. Wade von den US-Frauen niemals mehr akzeptiert werden wird.

Nebst der Mauer und der Panik vor einem vermeintlichen Sozialismus der Demokraten wollen die Republikaner den Kampf gegen die Abtreibung zu einem zentralen Thema des Wahlkampfes 2020 erheben. Das könnte sich als Rohrkrepierer erweisen. Bei den Midterms haben die Frauen der Vorstädte den Demokraten zu einer komfortablen Mehrheit im Abgeordnetenhaus verholfen. Im November 2020 könnten sie Trump aus dem Weissen Haus verjagen.

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Seine Partei muss in den Grossstädten einstecken
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226 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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HabbyHab
15.05.2019 14:33registriert Oktober 2014
Wenn den Ärzten, die eine Abtreibung vollziehen würden, eine weitaus höhere Gefängnisstrafe droht, als zB einem Vergewaltiger, der eine Frau schwängert.. Alabama is a sh*thole.
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El Vals del Obrero
15.05.2019 14:02registriert Mai 2016
Wenn es um Gesundheitversorgung für alle geht, stehen die nicht mehr "auf der Seite des Lebens", sondern es ist OK, wenn man mit weniger Geld halt früher sterben muss.

Wenn die nur dem geborenem Leben auch so viel Beachtung schenken würden.
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Coffeetime ☕
15.05.2019 14:02registriert Dezember 2018
Also mal ein Gedanke: die jungen Teenies, welche ungewollt schwanger werden, dürfen dann nicht abtreiben... meistens sind es leider Teenies aus den ungebildeten Schichten. Dann gibt es immer mehr Arme, welche irgendwie durchgefüttert werden müssen... ich weiss nicht, ob das der Wunsch der alten weissen Herren ist?
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