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Stell dir vor, die Börse boomt – und keiner freut sich

Rund um den Globus steigen die Kurse.
Rund um den Globus steigen die Kurse.bild: shutterstockAls

Stell dir vor, die Börse boomt – und keiner freut sich

Die Aktienkurse werden sich nochmals verdoppeln, schwärmen einzelne Experten. Trotzdem herrscht bei den Börsenprofis gedämpfte Stimmung – und die Kleinanleger haben sich schon lange verabschiedet.
13.05.2015, 10:3713.05.2015, 20:08
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Von New York über Frankfurt bis Zürich erleben die Börsen einen historischen Boom. Trotz kleiner Rückschläge wie in diesen Tagen steigen die Kurse seit vier Jahren kontinuierlich. Der SMI, der wichtigste Schweizer Börsenindex, hat sich in diesem Zeitraum gar verdoppelt. 

Das Ende der Fahnenstange scheint noch lange nicht erreicht zu sein. Burkhart Varnholt, Anlagechef der Bank Bär, erklärte jüngst im «SonntagsBlick»: «Alles deutet darauf hin, dass sich die wichtigen Börsen in den kommenden fünf Jahren nochmals verdoppeln. 20'000 Punkte (für den SMI, Anm. d. Red.) im Jahr 2020 sind möglich.» 

Als die Börsenhändler Porsches kauften wie VWs

Der letzte vergleichbare Börsenboom fand in der zweiten Hälfte der 1990er Jahren statt. Damals sorgte die Dotcom-Euphorie für ausgelassene Stimmung am Ring und bei Kleinaktionären. Der Champagner floss in Strömen und die Börsenhändler kauften Porsches wie die Babyboomer einst VW-Käfer. 

Auch die Kleinanleger zockten munter mit. Selbst am Grümpelturnier wurde im Festzelt nicht über den Formstand der Nationalstürmer diskutiert, sondern über Calls und Puts. 

Die happigen Verluste der Vergangenheit schrecken die Kleinen ab

Ganz anders die Stimmung diesmal. Die Kleinaktionäre sind kaum beteiligt. Bloss rund 20 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer besitzen Aktien, im Boom der Neunzigerjahre war dieser Anteil deutlich höher. Die happigen Verluste – zuerst beim Crash der Technobörsen um die Jahrhundertwende, dann bei der Finanzkrise 2008 – haben die Kleinaktionäre nachhaltig verunsichert. Auch von den einst hoch gepriesenen «strukturierten Produkte» lassen die Anleger die Finger. Sie haben inzwischen erkannt, dass an den «Strukis» vor allem die emittierenden Banken verdienen. 

Bei den Profis ist die Stimmung ebenfalls verhalten. An der Wall Street ist die Rede vom «meist gehassten Boom aller Zeiten», berichtet die «Financial Times», und in den Büros der Händler herrsche keineswegs Euphorie, sondern nüchterne Sachlichkeit.

Als jeder Onlineshop der McDonald's von morgen war

In den Neunzigerjahren war der Boom getrieben von einem fast naiven Glauben an eine bessere Zukunft. Hinter jedem Online-Tierfutterladen wurde ein neuer McDonald’s vermutet, jedes neue Derivat als finanztechnischer Durchbruch gefeiert. Der aktuelle Boom hingegen ist primär ein Nebenprodukt der Geldpolitik. 

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Um der nach wie vor kränkelnden Wirtschaft auf die Beine zu helfen, haben die Notenbanken die Zinsen gegen Null gesenkt, teilweise sogar in den negativen Bereich. Mit Obligationen ist daher derzeit kein Geld zu verdienen. Um auf einen grünen Zweig zu kommen, müssen die institutionellen Anleger in riskantere Anlageklassen wie die Aktien ausweichen. 

«Sobald die Notenbanken sehen, dass sie auf dünnes Eis kommen, machen sie einen Schritt zurück.»
Burkhard Varnholt, Anlagechef der Bank Bär

Die Tiefzinsphase war eigentlich nur als Überbrückung gedacht. Inzwischen jedoch kommen immer mehr Börsenprofis zum Schluss, dass sie noch Jahre andauern wird. Die Notenbanken seien «hypernervös», erklärt auch Bär-Anlagechef Varnholt und hält daher eine baldige Zinserhöhung für unwahrscheinlich. «Sobald die Notenbanken sehen, dass sie auf dünnes Eis kommen, machen sie einen Schritt zurück.» Tatsächlich hat die wichtigste Notenbank der Welt, die US-Fed, eine längst erwartete Erhöhung der Leitzinsen nun schon mehrfach verschoben.

Aktienrückkäufe anstatt Investitionen in die Zukunft

Das Verhalten der börsenkotierten Unternehmen befeuert den Börsenboom zusätzlich. Anstatt zu investieren, kaufen sie ihre eigenen Aktien zurück und hebeln so die Kurse in die Höhe. Für die reale Wirtschaft ist dieses Verhalten langfristig schädlich. Die fehlenden Investitionen von heute werden sich morgen mit mangelnden Innovationen rächen. Für die Manager jedoch bedeuten höhere Aktienkurse höhere Boni. Sie handeln nach der Devise: Nach uns die Sintflut.

Billiges Geld und kurzfristiges Denken der Manager sind die Treiber des Aktienbooms. Daher ist er auch so freudlos. Alle wissen, dass es kein in der realen Wirtschaft abgestützter, sondern ein finanztechnischer «hors sol»-Boom ist, der morgen schon in sich zusammenbrechen kann. Daran ändern auch die euphorischen Prognosen von Experten wie Varnholt nichts. Schliesslich können sich alte Börsenhasen noch daran erinnern, dass man einst von einem Dow Jones 30'000 geschwärmt hat – kurz bevor die Börsen crashten.  

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