In unserem Buch «Wirtschaft boomt – Gesellschaft kaputt» vertreten Werner Vontobel und ich die These, wonach die globale Produktionsmaschine zu komplex geworden und daher nicht mehr beherrschbar ist. Die Wirtschaft hat die Bedürfnisse der Menschen aus den Augen verloren und muss neu organisiert werden. Hier sind die Gründe dafür:
Der Fall der Berliner Mauer war der Startschuss für eine ungebremste Entfaltung der Globalisierung. Die Sowjetunion existierte nicht mehr, das kommunistische China öffnete seine Zollschranken und trat der Welthandelsorganisation WTO bei. Über Nacht wurde der globale Arbeitsmarkt um rund zwei Milliarden Erwerbstätige erweitert. Zunächst waren die Folgen mehrheitlich positiv. Die westlichen Konsumenten konnten Kleider und Unterhaltungselektronik kaufen zu Preisen, die bisher für unmöglich gehalten wurden. In Asien konnten hunderte Millionen der Armut entrinnen.
Im 21. Jahrhundert treten die Schattenseiten der Globalisierung immer deutlicher zutage. Technischer Fortschritt und freier Handel führen dazu, dass sich die Einkommensschere immer weiter öffnet. Weltweit gesehen besteht auf den Arbeitsmärkten ein riesiges Überangebot. Arbeitslosigkeit und Lohndruck sind auf dem Vormarsch.
Dank der Arbeitsteilung wird die Wirtschaft effizient. Das hat schon Adam Smith erkannt. Im Zuge der Globalisierung sind sogenannte Supply Chains entstanden. Das bedeutet, dass die Produktion von Gütern sich heute auf verschiedene Länder und Kontinente verteilt. Das erhöht zwar die Effizienz, hat jedoch gefährliche Nebenwirkungen. Besonders deutlich zeigt sich dies in der Nahrungsmittelindustrie. Die Zutaten des Sonntagsfrühstücks eines Durchschnittsschweizers beispielsweise reisen heute zweimal rund um den Globus. Das ist nicht nur ökologisch unsinnig, das gefährdet unsere Gesundheit. Industriefood macht die Menschen dick und krank.
Funktionierende Märkte sorgen für ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Die Globalisierung hingegen fördert das Entstehen von Monopolen. Weltweit sind Megakonzerne auf dem Vormarsch. Eine viel beachtete Studie der ETH Zürich hat 2011 aufgezeigt, dass weltweit nur 147 Konzerne das Sagen haben. Diese Machtkonzentration führt dazu, dass sich der Charakter der Handelsbeziehungen verändert. Das klassische Gesetz des komparativen Vorteils besagt, dass gegenseitiger Handel den Wohlstand aller Beteiligten erhöht. Wird der Handel jedoch von monopolartigen Konzernen dominiert, dann ist dies nicht mehr der Fall. Die Multis können dank ihrer Marktmacht niedrige Löhne und Steuern durchsetzen. Das Resultat ist ein Standortwettbewerb, der sich gegen die Mehrheit der Menschen richtet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in den westlichen Industriestaaten während rund 30 Jahren Vollbeschäftigung. Der Grund lag darin, dass die Produktivitätsgewinne der Wirtschaft gleichmässig verteilt wurden. Heute fliessen diese Gewinne einseitig in die Taschen der Kapitalgeber. Die Folgen davon sind hohe Arbeitslosigkeit und Verarmung. Das gilt nicht nur für strukturschwache Länder wie Griechenland oder Portugal. Selbst im reichen Deutschland arbeiten 15 Prozent der Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor. In den USA gibt es rund 50 Millionen Arme. Wie sagte doch schon Ronald Reagan: «Wir haben der Armut den Krieg erklärt – und die Armut hat gewonnen.»
Gemeinschaftssinn hat volkswirtschaftlich grosse Vorteile. Wer sich kennt und vertraut, kann ohne viel bürokratischen und juristischen Aufwand miteinander Geschäfte abschliessen. Die übermässige Betonung individueller Leistung untergräbt den Gemeinschaftssinn. Wenn jede Handreichung gemessen und mit einem Bonus belohnt oder mit einem Malus bestraft wird, dann wird Teamarbeit zum blossen Lippenbekenntnis. Die individualisierten Anreizsysteme der Wirtschaft zerstören so das soziale Kapital der Gesellschaft.
Die monopolartigen Konzerne erzielen überproportionale Gewinne. Sie benötigen daher kein Kapital mehr, um neue Investitionen zu finanzieren. Stattdessen benützen sie die Finanzmärkte, um ihre Gewinne zu verwerten. Auf diese Weise entstehen Deals, die nicht mehr der realen Wirtschaft dienen. Ein typisches Beispiel ist derzeit das Übernahmeangebot des Pharmakonzerns Pfizer an AstraZeneca. Es geht dabei nicht mehr darum, betriebswirtschaftliche Synergien zu erzielen, sondern einzig darum, finanztechnische Ziele – Optimierung der Steuern – zu verfolgen.
Zalando ist eine deutsche Kopie von amazon.com, ein Online-Detaillist, bei dem man Artikel nach Hause bestellen und auch wieder zurücksenden kann, wenn sie einem nicht gefallen. Das System funktioniert nur, wenn die Kosten für Lohn, Bauland und Steuern optimiert werden. Zalando hat deshalb sein Verteilzentrum im strukturschwachen Erfurt in Ostdeutschland angesiedelt. Dort können Hilfskräfte zu Tiefstlöhnen angeheuert werden. Die Stadt hilft zudem mit Investitionszuschüssen und billigem Bauland. Dank Zalando ist Erfurt zu einem Sinnbild des deutschen Jobwunders geworden: Menschen sind damit beschäftigt, zu Schundlöhnen Klamotten ein- und auszupacken und hin und her zu karren, ohne dass sie selbst viel davon haben. Das ist nicht nur ein ökologischer Irrsinn. Es verhindert auch, dass in Erfurt eine Wirtschaft entsteht, welche die lokalen Bedürfnisse befriedigt.
Die Digitalisierung der Wirtschaft beschleunigt den technischen Fortschritt. Bereits wird von einem neuen Maschinenzeitalter gesprochen. Vieles spricht dafür, dass dieser Fortschritt die Entwicklung der Gesellschaft beeinflussen wird. Aldous Huxleys Albtraum einer «schönen neuen Welt» könnte Wirklichkeit werden. Will heissen: Eine Techno-Oligarchie, in der eine schmale Elite in Saus und Braus lebt, während gleichzeitig ein Lumpenproletariat mit Brot und Spielen mehr schlecht als recht durchgefüttert wird.
Daten sind der Rohstoff der Zukunft, und Daten sind teilbar. Kooperation beginnt sich wirtschaftlich zu lohnen. Sharing Economy ist daher mehr als ein Schlagwort und Big Data muss nicht in einem Überwachungsstaat enden. Alternativen sind denkbar geworden. Sonnen- und Windenergie, 3D-Printer, Solarchemie und eine biologisch ausgerichtete Landwirtschaft stärken lokale und regionale Wirtschaftskreisläufe und sorgen so dafür, dass die Supply Chain der Globalisierung zum Auslaufmodell wird.
Die Väter der bürgerlichen Revolution haben nicht von einer Techno-Oligarchie geträumt, sondern von einer Gesellschaft selbstständiger Bürgerinnen und Bürger in Kleinbetrieben. Der technische Fortschritt hat die Umsetzung dieser Vision in greifbare Nähe gerückt. In einer solchen Wirtschaftsordnung besteht die Kunst der Politik nicht darin, reiche Investoren und Steuerzahler von aussen anzulocken. Vielmehr geht es darum, lokale Wertschöpfungskreise in Gang zu bringen und zu halten.