Das Brexit-Drama geht diese Woche in eine weitere und bald letzte Runde. Kommt es zu einem harten Ausstieg? Oder zu einem zweiten Referendum? Oder zu einer Verlängerung der Frist? Diese Fragen müssen dringend beantwortet werden. Spätestens am 29. März müssen die Briten Farbe bekennen.
Stars der Brexit-Debatten im Unterhaus werden jedoch weder Premierministerin Theresa May noch der Oppositionsführer Jeremy Corbyn sein. Auch der eitle ehemalige Aussenminister Boris Johnson und der opportunistische Umweltminister Michael Gove werden sich mit einer Nebenrolle begnügen müssen.
Die Show stehlen wird ihnen John Bercow, der Speaker des Unterhauses. Der Speaker leitet die Debatten im britischen Parlament. Das ist nicht immer ein einfaches Unterfangen, die Parlamentarier benehmen sich oft wie eine ungezogene Schülerschar. Bei Bercow sind sie dabei an der falschen Adresse. Der 56-jährige Londoner bringt sie mit seinem laut gebellten «Order! Order!» augenblicklich zur Räson.
Das Duell Bercow gegen die Abgeordneten ist zu einem TV-Hit geworden. Die Live-Übertragung der BBC aus dem Parlament erzielt eine grössere Einschaltquote als die gleichzeitig ausgestrahlten Serien. Ein Video mit Zusammenschnitten von Bercows-Sprüchen der ARD-Tagesschau wurde auf Twitter mehr als 500’000-mal angeklickt.
Bercows Sprüche haben es auch in sich und er schreckt vor nichts und niemandem zurück. «Schauen Sie auf Ihren Zählrahmen, Mann!», herrschte er den Finanzminister Philip Hammond an, als der sich zu viel Zeit für seine Ausführungen nahm. «Beruhigen Sie sich, nehmen Sie Yoga-Lektionen», riet er einem Abgeordneten, der mit lauten Zwischenrufen die Sitzung störte.
2009 schrieb Bercow im «Independent»: «Das britische Unterhaus ist viel zu lange wie ein privater Club für Gentlemen und Amateure geführt worden.» Bercow ist kein Gentleman. Sein Vater war Taxifahrer in London. Er studierte weder in Cambridge noch in Oxford, sondern an der University of Essex. Er weigert sich, die traditionelle Perücke des Speakers zu tragen, selbst eine Krawatte bindet er sich nur unwillig um.
Seine politische Karriere hat Bercow am rechten Flügel der konservativen Partei begonnen. Doch mit zunehmendem Alter ist er nach links gerückt. So hat er sich für die Rechte der Schwulen eingesetzt, lange bevor seine Parteikollegen dazu bereit waren. Er ist mit einer Aktivistin der Labour-Partei verheiratet und hat mit ihr drei Kinder.
Mit seinem resoluten Auftreten hat er den Zorn der konservativen Abgeordneten geweckt. Sie werfen ihm vor, er beeinflusse mit seinem Auftreten die Brexit-Abstimmung zugunsten der Remainer. Das Boulevard-Blatt «Daily Mail» bezeichnete ihn als «eitlen Geck», die «Sun» als «Speaker des Teufels».
Das Parlament will gar verhindern, dass er nach Ablauf seiner Amtszeit geadelt wird, etwas, das sonst bei abtretenden Speakern üblich ist. Bercow wird dies nicht kümmern. Auch diese Woche wird er wieder sein «Order! Order!» bellen – zur Erheiterung der Briten und der ganzen Welt.