Der Detailhandel ist ein Margenkampf auf Messerschneide. Geht es um die Preissetzung, verhandeln Migros und Coop mit ihren Lieferanten um jeden Rappen. Dass dieser Kampf zuletzt intensiver wurde, zeigt eine neue Umfrage von Promarca, dem Verband der Schweizer Markenartikelhersteller. Ihm gehören knapp 90 Firmen an, darunter Grosskonzerne wie Nestlé oder Coca-Cola, aber auch kleinere Traditionsfirmen wie Kambly und Ricola. Insgesamt generieren sie über 12 Milliarden Franken Umsatz und zählen 17'000 Mitarbeitende.
Der Verband fragte seine Mitglieder, welches aktuell die grössten Herausforderungen im Markt seien. Mit Abstand am meisten wurde die Konzentration im Schweizer Detailhandel genannt, sprich: die Dominanz von Migros und Coop. 63 Prozent der Umfrageteilnehmer erachten ihre Marktmacht als Problem. In den Jahren zuvor lag der Wert 10 bis 20 Prozentpunkte tiefer.
An zweiter Stelle im Stimmungsbarometer folgt der Preisdruck aufgrund der Tatsache, dass die Händler die inländischen Lieferanten umgehen, um im Ausland zu günstigeren Einkaufskonditionen zu gelangen. An dritter Stelle rangieren die Einkaufskooperationen. Diese machten zuletzt Schlagzeilen, da die Mitglieder der europäischen Handelsallianz Agecore, zu der auch Coop gehört, Nestlé-Produkte aus dem Sortiment nahmen, um so den Druck in den Preisverhandlungen zu erhöhen.
Hinter den drei Hauptsorgen der Markenhersteller und dicht beieinander folgen der Verdrängungskampf, die zunehmende Konkurrenz durch Eigenmarken, die Digitalisierung, der Konsumverzicht, und erst an neunter Stelle der Einkaufstourismus, der im Jahr zuvor noch weit vorne rangierte.
Tatsächlich geben Schweizer Konsumenten aber nach wie vor jährlich 10 Milliarden Franken im Ausland aus – eine Zahl, die mit der zunehmenden Bedeutung des chinesischen Onlineriesen Alibaba und des US-Giganten Amazon weiter zu steigen droht.
Genau diese Angst dürfte die Händler antreiben, die Lieferantenverhandlungen noch härter zu führen und ihre Macht in die Waagschale zu werfen. Denn im europäischen Vergleich ist die Situation hierzulande einzigartig: «Mit Migros und Coop haben wir es nach wie vor mit einem faktischen Duopol zu tun», sagt Patrik Ducrey, stellvertretender Direktor der eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko). Die beiden beanspruchen im klassischen Lebensmittel-Detailhandel einen Marktanteil von mehr als 80 Prozent.
Die neuen ausländischen Onlinehändler würden den klassischen Lebensmittelhandel kaum bedrohen, sagt Ducrey. «Und der Markteintritt der deutschen Discounter Aldi und Lidl vor rund zehn Jahren hat die Situation nicht grundlegend verändert, ihr Anteil am Markt ist relativ bescheiden.» Ähnliches ist von Markenherstellern zu hören, die sich trauen, sich zitieren zu lassen. Andere nennen die Angst vor Retorsionsmassnahmen als Grund für ihre Zurückhaltung.
Der Getränkehersteller Rivella sagt, die Konzentration im Markt und entsprechend der Druck auf die Hersteller hätten sich zuletzt verschärft. Beim Milchproduzenten Emmi heisst es, die Konzentration sei nach wie vor sehr hoch, und Aldi und Lidl seien zwar Ergänzungskanäle für ihre Produkte, aber keine Alternative für die Lancierung von neuen Produkten, da es bei ihrem schmalen Sortiment nur um geringe Liefermengen gehe.
Deutlicher äussert sich Heinz Düring, Präsident und Inhaber der Firma Düring AG, welche in Buchs ZH die Durgol-Entkalkungsmittel herstellt. Die Marktmacht von Coop und Migros zeige sich auf verschiedene Arten. Einerseits kopiere die Migros Markenprodukte – so auch jene von Durgol – ohne die Originalartikel ins Sortiment aufzunehmen. «Das ist unfair und wettbewerbsrechtlich bedenklich», sagt Düring. Und die Auswahl für die Konsumenten werde eingeschränkt.
Kommt hinzu: Durch das mehrheitliche Aussperren von Markenartikeln verhelfe die Migros ihrer Konkurrentin zu einer enormen Macht, sagt Düring. «Für uns Markenhersteller ist Coop der mit Abstand wichtigste Detailhändler. Er entscheidet über die Existenz vieler Produkte. Ohne Listung bei Coop ist ein Artikel meist nicht überlebensfähig.» Alternativen wie früher Waro, PickPay, K-3000, EPA oder ABM sind schon länger verschwunden. Und der französische Riese Carrefour, der zwölf grosse Filialen betrieb, verabschiedete sich 2007 vom Schweizer Markt.
Dies führe zu einer grossen Abhängigkeit von Coop, die sich bei hohen Kosten für Aktionen, Werbekostenzuschüsse oder Listungsgebühren widerspiegle, sagt Düring. Unter der Listung ist die Aufnahme ins Regal gemeint. Um es ins Coop-Sortiment überhaupt zu schaffen, fällt laut Insidern zuallererst eine Zahlung in der Höhe von mehreren Hunderttausend Franken an.
Ende 2008, als Lidl in die Schweiz kam, wandte sich der Discounter an die Wettbewerbshüter, da er von gewissen Schweizer Markenherstellern nicht beliefert wurde – angeblich wegen Druckversuchen von Coop. Das Weko-Sekretariat führte Abklärungen durch und kam zum Schluss, dass Anhaltspunkte für eine marktbeherrschende Stellung von Coop beim Vertrieb von Markenprodukten bestehen. Die Behörde mahnte Coop ab und kündigte die Eröffnung einer Untersuchung an, falls Druckversuche zur Nichtbelieferung von Konkurrenten führten. Lidl behauptet noch heute, dass solche Massnahmen Tatsache seien, ohne den Namen Coop zu nennen.
Das Portfolio von Migros und Coop ist inzwischen breit gefächert und geht über das Kerngeschäft mit dem Verkauf von Reis, Sirup und Waschmittel hinaus. Beide Händler betreiben Elektronik-Onlineshops, Restaurants, Fitnesszentren, Kantinen, Apotheken, verkaufen Benzin, Reisen, Mode, und die Migros baut ihre Stellung im Gesundheitsmarkt mit Ärztezentren aus. Zu den letzten Übernahmen gehören Firmen wie Aperto, Marché (Coop) sowie Molino, Schild, Galaxus und Hitzberger (Migros). Die Folge ist eine kumulierte Marktmacht.
Auch bei der Frage, welche Herausforderung in Zukunft am grössten ist, nennen die Promarca-Mitglieder das orange Duopol. Weitere Übernahmen ausserhalb des Kerngeschäfts wären für Migros und Coop laut Weko-Vizedirektor Ducrey wohl unproblematisch, sofern sich die Märkte nicht gross überschneiden. Anders wäre der Fall, sollten sie einen direkten Konkurrenten im Lebensmittel-Detailhandel übernehmen wollen, der die meldepflichtige Umsatzschwelle von 100 Millionen überschreitet, sagt Ducrey. «Aber von denen sind gar nicht mehr viele übrig.»
Migros-Sprecher Luzi Weber sagt, man könne sich nicht detailliert zur Umfrage äussern, da man diese nicht kenne. Zur Frage nach der starken Marktkonzentration sagt er aber: «Klar ist, dass in den letzten Jahren neue Akteure in den Schweizer Markt eingetreten sind.» Auch habe sich der Einkaufstourismus auf hohem Niveau etabliert. Mit einem Anteil von 10 Prozent am gesamten Detailhandelsumsatz sei das Ausland der drittgrösste Marktteilnehmer. Zudem würden ausländische Online-Händler den Markt mit Paketen überschwemmen. «Das sind aus unserer Sicht die grossen Herausforderungen, die sich für die ganze Branche stellen und der Beweis, dass ein intensiver Wettbewerb herrscht», sagt Weber.
Ausserdem sei es aus Sicht der Migros für den Werkplatz Schweiz und für die Konsumenten vorteilhafter, wenn hierzulande mehrheitlich genossenschaftlich geführte, inländische Konzerne im Markt tätig sind. «Damit diese gegenüber ausländischen Anbietern aber erfolgreich auftreten können, ist eine gewisse Grösse nötig.»
Coop äusserte sich auf Anfrage nicht.