
Die Big 5 des deutschen Autobaus sollen ein Kartell gebildet haben.Bild: EPA/EPA
Die
Autobranche ist das Rückgrat der deutschen Industrie. Nun wird sie
von einem Skandal erschüttert: Die grossen Hersteller sollen sich in
einem Kartell heimlich abgesprochen haben. Die wichtigsten Fragen und
Antworten.
27.07.2017, 17:2428.07.2017, 05:40
Deutschland
geht es gut. Unser nördlicher Nachbar erzielte 2016 den
weltweit höchsten Exportüberschuss, vor dem Wirtschaftswunderland
China. Diesen Erfolg verdanken die Deutschen zu einem grossen Teil ihrer Autoindustrie. Sie ist so etwas wie der Stolz der Nation.
Deutsche Autos gelten als qualitativ hochwertig und
technisch führend.
Daran
konnte nicht einmal der 2015 aufgedeckte Skandal um manipulierte
Abgaswerte bei VW-Dieselfahrzeugen etwas ändern. Der
Volkswagen-Konzern erzielte im zweiten Quartal 2017 einen
Betriebsgewinn von 4,5 Milliarden Euro. Daimler verkaufte im gleichen
Zeitraum so viele Autos der Marke Mercedes-Benz wie noch nie. Nun
aber rücken Enthüllungen des «Spiegel» über ein Kartell der
grossen Autobauer die erfolgsverwöhnte Branche ins Zwielicht.
Wie
funktionierte das Kartell?
Seit
den 90er Jahren sollen sich die fünf grossen Hersteller Volkswagen,
Audi, Porsche (die heute zum gleichen Konzern gehören), BMW und
Daimler in mehr als 60 geheimen Arbeitskreisen abgesprochen haben.
Dabei ging es laut dem «Spiegel» um Technik, Kosten, Zulieferer
und die Abgasreinigung der Dieselfahrzeuge. Sogar über
Einzelheiten wie Cabrio-Verdecke habe man sich verständigt, wodurch
der Wettbewerb ausser Kraft gesetzt worden sei.
Seit
wann sind die Vorwürfe bekannt?
Im
letzten Sommer durchsuchten die deutschen Behörden im Rahmen von
Ermittlungen über eine mögliche Absprache von Stahlpreisen auch
Räume des VW-Konzerns. Dabei sollen sie dem Kartell auf die Spur
gekommen sein. Kurz darauf reichte VW eine Selbstanzeige beim
Bundeskartellamt ein. Es bestehe der Verdacht, dass es zu «kartellrechtswidrigem Verhalten» gekommen sei. Auch der
Stuttgarter Daimler-Konzern hat «eine Art Selbstanzeige» eingereicht.
Dies
sei bereits 2014 geschehen, berichtete die «Süddeutsche Zeitung»,
und zwar bei der EU-Kommission in Brüssel. Ein Sprecher sagte, man
prüfe den Verdacht illegaler Absprachen deutscher Autokonzerne.
Langwierige Untersuchungen seien in solch komplexen Fällen nicht
ungewöhnlich. Betupft auf die Selbstanzeigen hat BMW reagiert. Die
Münchner spielen bislang das Unschuldslamm. «Wir
wissen nichts von Ermittlungen gegen uns», sagte ein Sprecher.
Volkswagen will wieder an die Spitze
Video: reuters
Welche
Rolle spielt der Dieselskandal?
Ohne
Kartell wäre es vielleicht nie dazu gekommen. Es sei die «Keimzelle
des Dieselskandals», schreibt der «Spiegel». Die Hersteller
sollen vereinbart haben, in ihre Dieselfahrzeuge möglichst kleine
AdBlue-Tanks einzubauen. Gemeint ist die Harnstofflösung, die in den
Auspuff gespritzt wird, um die für die Gesundheit schädlichen Stickoxide in
Wasserdampf und Stickstoff umzuwandeln.
Weil
die Tanks nur mühsam nachgefüllt werden können, wurde die
Verwendung von AdBlue und damit auch die Abgasreinigung
eingeschränkt. Um dies zu verschleiern, entwickelte VW eine
Software, mit der die Autos auf dem Prüfstand manipuliert wurden, um
die scharfen US-Abgasnormen einzuhalten. Der Skandal kostete
Volkswagen bereits mehrere Milliarden an Bussen und
Schadenersatzzahlungen. Auch Audi und Daimler sind in den Strudel des
Skandals geraten, während BMW bestreitet, seine
Dieselfahrzeuge manipuliert zu haben.
Wie
reagiert die Politik?
Die
deutsche Regierung behauptet, erst aus den Medien vom Autokartell
erfahren zu haben. Sie fordert, dass alles «schonungslos
aufgeklärt» wird. In der Vergangenheit aber wurde die
Autoindustrie angesichts ihrer überragenden Bedeutung von der
Politik mit Samthandschuhen angefasst. Der frühere SPD-Kanzler
Gerhard Schröder bezeichnete sich als «Automann».

Angela Merkel hat stets ein offenes Ohr für Autobosse wie Audi-Chef Rupert Stadler.Bild: EPA/DPA
Im
Sommer 2013 griff seine Nachfolgerin Angela Merkel auf Druck der Branche persönlich zum
Telefon, um einen ausgehandelten Kompromiss für schärfere
CO2-Grenzwerte in der EU auf die lange Bank zu schieben. Die
unterwürfige Haltung der Politik soll die Autobauer in ihrer Meinung
bekräftigt haben, sie könnten sich alles erlauben, meint die «Zeit», nach dem Motto «Uns kann keiner was».
Ist
die Schweiz betroffen?
Die
Wettbewerbskommission (Weko) will mit der EU abklären, ob sich das
Kartell auf die Schweizer Volkswirtschaft ausgewirkt hat. Das könnte
Kunden betreffen, die eventuell überhöhte Preise bezahlen mussten,
aber auch die Zulieferer. Firmen wie Autoneum, Georg Fischer und Ems
Chemie beliefern die deutschen Autobauer. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» wollten sie sich nicht dazu äussern, ob sie von
den Absprachen betroffen oder gar darin verwickelt waren.
Was
sind die Folgen?
Den
Autoherstellern drohen hohe Kartellbussen in der EU und anderen
Ländern. Hinzu kommen mögliche Schadenersatzklagen durch Aktionäre,
Lieferanten und Kunden. Das dürfte in die Milliarden gehen. Momentan
aber lässt sich schwer abschätzen, wie hoch die Zahlungen ausfallen
und ob Daimler und VW allenfalls von der Selbstanzeige profitieren
werden.
Wird
die Autobranche überleben?
Finanziell
könnte dies gelingen, da sie hoch profitabel ist. Der
Dieselskandal hat gezeigt, dass sich die Kunden nur bedingt
beeindrucken lassen. Die Gefahr droht von einer anderen Seite,
der rasanten Entwicklung insbesondere bei den Elektroautos. «Viel
zu lange haben die deutschen Hersteller nicht gemerkt, dass sich da
ausserhalb ihres gemütlichen Kartells etwas zusammenbraut»,
kritisiert die «Welt».
Die
deutschen Firmen drohten, ihren «Vorsprung durch Technik» – so
der bekannte Audi-Slogan – zu verlieren. «Die neuen Konkurrenten,
von Tesla über Uber bis Google, lassen sich nicht mit
Hinterzimmerabsprachen bekämpfen», meint die «Welt». Nur weil
Deutschland seit mehr als 100 Jahren führend im Automobilbau sei,
müsse das nicht so bleiben, warnt das Springer-Blatt.
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quelle: keystone / jean-christophe bott
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