
Hält sich die Journalisten vom Leib: Präsident Donald Trump.Bild: EPA/BLOOMBERG POOL
Frauen, Künstler, Intellektuelle und Journalisten machen mobil, die
Zivilgesellschaft erholt sich vom Trump-Schock. So macht der wohl
unfähigste US-Präsident aller Zeiten vielleicht unfreiwillig den Weg frei für eine neue
Gesellschaft.
21.03.2017, 07:1022.03.2017, 05:01
Philipp löpfe, hansi voigt
Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend.
Das weiss jeder Marketingfachmann und auch jeder Politiker. So
überraschend der Wahlsieg von Donald Trump war, so heftig fällt jetzt die
Gegenreaktion aus.
In den USA hat die Zivilgesellschaft zu
einer neuen Solidarität gefunden. Frauen, Wissenschaftler, Intellektuelle,
Journalisten und Künstler legen ihre kleinlichen Zwiste beiseite und treten
vereint gegen Trump und seine Alt-Right-Ideologen an.
Der Anti-Trump-Reflex äussert sich auf
den unterschiedlichsten Ebenen. Hier sind sie:
Nur noch 37 Prozent befürworten Trumps Politik
In den liberalen «blauen Staaten» (New
York, Kalifornien, Massachusetts, etc.) weigern sich Polizei und Gerichte,
Trumps menschenverachtende Immigrationspolitik umzusetzen. Richter lassen
seinen Muslim-Bann ins Leere laufen. Das zeigt Wirkung: Trumps Zustimmungsrate
liegt nach gerade mal 50 Amts-Tagen bei 37 Prozent, ein historischer
Negativrekord.
Die Rechtspopulisten haben sich in
Europa einen Trump-Schub erhofft. Das Gegenteil ist eingetroffen. Die Holländer
haben Geert Wilders die kalte Schulter gezeigt, in Deutschland kämpft die AfD
gegen sinkende Umfragewerte, und in Frankreich scheint Marine Le Pen Ambitionen
auf die Präsidentschaft chancenlos.

Opfer des Anti-Trump-Reflexes: Der Abgewählte SVP-Regierungsrat Oskar Freysinger.Bild: KEYSTONE
Auch in der Schweiz spielt der Anti-Trump-Reflex.
Um gegen die aufkeimende Frauenfeindlichkeit zu protestieren, gehen in Zürich
weit über 10'000 Menschen auf die Strasse, Regen und Kälte zum Trotz. Im Kanton
Solothurn legt die SP überraschend zu, im Wallis verliert die SVP ebenso
überraschend ihren Regierungssitz: Oskar Freysinger, neben Roger Köppel der grösste Trump-Fan im
Land, wurde aus dem Amt gejagt. Kein Wunder sind es nun die SVP-Vertreter,
die darüber jammern, dass die Medien zu viel über Trump berichten.

Frauen wehren sich energisch gegen den «Pussy-Graber».Bild: MIKE NELSON/EPA/KEYSTONE
Das politische Versagen des Establishments wird schonungslos aufgezeigt
Hillary Clinton verlor die Wahl nicht, weil sie zu weit nach links gerückt wäre.
Sie blieb zu sehr in der Mitte und versäumte die breit abgestützte
antikapitalistische Revolte. Der Republikaner Trump hingegen betrieb in seinem
Wahlkampf nichts anderes als einen pervertierten Klassenkampf. Auf populistisch
verdrehte Weise kaperte der Milliardär die Wut auf das Establishment.

Auftrieb dank Trump: SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz.Bild: Michael Sohn/AP/KEYSTONE
Langsam beginnt es auch der Linken zu
dämmern, dass rechtspopulistische Erfolge nicht mit der Primitivität und
Dummheit der Wähler erklärt werden können. Die Abstiegsängste der Verlierer des
Kapitalismus und der Globalisierung müssen ernst genommen werden. Das zeigt
sich derzeit in der SPD. Der neue Kanzlerkandidat Martin Schulz kritisiert die
von Gerhard Schröder eingeleitete Austeritätpolitik – und hat augenblicklich
Erfolg. Der eigentlich von jeglichem Charisma befreite Wahlkämpfer Schulz kann
sich bei Trump bedanken.
Der Wert der Wahrheit wird wieder geschätzt
Wenn nichts mehr wahr ist, haben grosse
Lügen freien Lauf. Das wusste Josef Goebbels und das beschrieb George Orwell in
seinem Roman «1984». Trump lügt schamlos, sein gesamtes Gedankengebäude fusst
auf Widersprüchen. Er will America wieder so great wie nach dem Zweiten
Weltkrieg machen.
In den 50er und 60er Jahren war der American Dream Realität.
Diese goldenen Jahrzehnte waren jedoch
auch eine Zeit, wo die
Wirtschaftstheorien von John Maynard Keynes allgemein akzeptiert und die Gewerkschaften
stark waren.

Das war einmal: Der Cadillac als Symbol des amerikanischen Traums.Bild: AP/THE DALLAS MORNING NEWS
Der Milliardär Trump hingegen sieht sich
in der Tradition von Ronald Reagans neoliberaler Trickle-Down-Policy. Sein
provisorisches Budget ist eine gigantische Umverteilung zugunsten der
Superreichen und ein gewaltiger Verrat an den Versprechen, die er seinen
weissen Wählerinnen und Wählern gemacht hat.
Trump wird diese Widersprüche nicht
durchhalten und an seinen Unwahrheiten scheitern. Nach dem Lügenpräsident Trump
wird Korrektheit, die Wahrheit und die Suche nach der Wahrheit eine ganz andere
gesellschaftliche Bedeutung erlangen.
Der traditionelle Journalismus ist im Aufwind
Bis vor wenigen Monaten wurde noch
ernsthaft über den Untergang des klassischen Journalismus diskutiert. In
Zukunft würden Facebook oder ein paar Milliardäre über das Schicksal der Medien
entscheiden. Selbst die renommiertesten Zeitungen wie die «New York Times»
würden sich diesem Trend nicht entziehen können.
Seit dem 8. November 2016 ist alles
anders.

MSNBC-Moderatorin Rachel Maddow verzeichnet Rekord-Einschaltquote.Bild: AP/MSNBC
«Trump ist das Beste, das der ‹New York Times› passieren konnte»,
jubelt Chefredaktor Dean Baquet. Und er weiss, weshalb: Ob online oder auf
traditionellem Papier, nach jedem Trump-Tweet schnellen die Abo-Zahlen in die
Höhe.
Nicht nur die linksliberale «New York
Times» hat Grund zur Freude. Der linksgerichtete Kabelkanal MSNBC serbelte in
der Obama-Ära. Jetzt kann er mit CNN mithalten. Seine kämpferische Moderatorin
Rachel Maddow verzeichnet trotz eines zweifelhaften Scoops mit Trump-Steuern
Rekordeinschaltquoten. Kürzlich ist es ihr gar gelungen, ihren Mitkonkurrenten
bei Fox News, Tucker Carlson, zu übertreffen.
Ebenfalls Rekordeinschaltquoten melden
die linken TV-Satiriker. Ob John Oliver, Stephen Colbert, Trevor Noah oder Bill
Maher. Die bereits totgesagte Sendung «Saturday Night Live» ist mit Alec
Baldwin als Trump-Karikatur wieder Kult geworden.
Trumps Fake News sind das Argument, dass
wir Journalismus brauchen und der Treibstoff für die Debatte, wie viel wir ihn
uns kosten lassen werden. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der Aufbau Europas
mit dem Aufbau eines neuen unabhängigen Mediensystems durch die Siegermächte.
Nach Trumps Wahl ist klar: Wir werden es nicht wieder bis zur Gleichschaltung
der Medien in den Händen weniger kommen lassen.
Das Ende des neoliberalen Weges ist offenkundig geworden
Trump versucht eine wirtschaftspolitische Quadratur des Kreises. Er will Nationalismus und Liberalismus unter einen
Hut bringen. Mit einer Grenzsteuer will er die Importe verteuern und mit einem milliardenschweren Infrastrukturprogramm die Binnenwirtschaft ankurbeln.
Gleichzeitig beteuert er, dass er weiterhin auf Freihandel setze. Das macht ihn
zu einem wandelnden Widerspruch.

Haben auf Trump gesetzt: Kohle-Kumpels in West Virginia.Bild: AARON P. BERNSTEIN/REUTERS
Stolz weist Trump daraufhin, dass er den
Kohlekumpels wieder Hoffnung gemacht hat. Er will das Umweltministerium
aushungern und der Erdölindustrie alle regulatorischen Hindernisse aus dem Weg
räumen.
Damit sitzt Trump auf dem falschen
Dampfer. Die Zukunft der fossilen Brennstoffe sieht zappenduster aus. Die
Autofahrer schwenken rasant auf Elektro-Modelle um. Wer heute seinen Solarstrom
vom Dach in die Hightech-Batterie leitet, braucht fürs Autofahren keine
Tankstelle mehr und bei einer zweiten Batterie auch kein zentrales
Elektrizitätswerk mehr für den Hausbetrieb.
Trump steht so offensichtlich für das
Ende der Epoche, dass man nicht weiss, ob er ein kapitalistisches Fossil oder
der letzte Präsident des fossilen Kapitalismus ist. Jedenfalls sieht er so
unfassbar alt aus, wie ein Benzin saufender Cadillac neben einem Tesla.
Die Populisten werden entzaubert
In Europa stehen wichtige politische Weichenstellungen an – und Trump wird zum Chancentod
der Populisten. Linke und Liberale sollte jedoch nicht zu früh jubeln. Sich nur
auf Trumps Abstossungspotenzial zu verlassen, wäre gefährlich. Denn so
falsch wie der Wahlkampf von Trump war, so wahr sind die Probleme seiner
Wähler.
Trumps plumpe Lügen und seine
offensichtliche Inkompetenz sind ein unverhofftes Geschenk an die Linke.
Sie
sollte es annehmen. Das bedeutet, dass sie den Schwerpunkt verlagern muss: Weg
von einer exzessiven Identitätspolitik und hin zu einer stärkeren Betonung der
Gemeinschaft. In Zeiten des radikalen
technologischen Umbruchs wollen die Menschen Solidarität und einen
gestaltungsfähigen Staat.
Europa erhält eine Chance
Deutschland betreibt seit 15 Jahren eine absurde, auf den Export ausgerichtete Sparpolitik.
Das hat mittlerweile den gesamten EU-Raum wirtschaftlich an den Rand gebracht. Auch
der deutsche Mittelstand hat nichts davon. Nach einer langen Periode der
Stagnation steigen die Löhne auch jetzt nur minim. Gemäss verschiedenen
Untersuchungen braucht Deutschland theoretisch ein Jahrzehnt lang jährlich
durchschnittliche Lohnerhöhungen von fünf Prozent, damit die Schieflagen im
Euro-Raum ausgeglichen und die Nachbarländer wieder konkurrenzfähig sind.

Kein Traumpaar: Angela Merkel und Donald Trump.Bild: Evan Vucci/AP/KEYSTONE
Dem Exportwahn der Deutschen ist mit
Trump ein Gegner entstanden, den sie nicht mehr ignorieren können. Trumps ökonomischer Berater Peter Navarro hat die Deutschen bereits der
Devisenmanipulation bezichtigt. Trump selbst hat anlässlich seines Treffens mit
Angela Merkel betont, dass er mehr Fairness in den Handelsbeziehungen will.
Der Druck aus den USA könnte der
Auslöser sein, das europäische Haus ökonomisch wieder ins Gleichgewicht zu
bringen. Anstatt die Italiener zu belehren und die Griechen zu prügeln, könnten
die Deutschen Löhne erhöhen und in die Infrastruktur investieren. Trump würde
das: #makeeuropegreatagain nennen.
Bonus-Benefit:
Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren unsere Arbeitswelt umkrempeln. Wir
werden weniger, und wir werden anders arbeiten. Auf Arbeit fusst aber fast
unsere gesamte Wertschöpfung. Wenn es keine Arbeit für alle mehr gibt, müssen
wir unser gesamtes Wertesystem neu überprüfen.
Das wirft Fragen auf: Wem darf etwa ein
Roboter gehören? Was für Anreize gibt es, Leistungen zu erbringen? Gibt es
andere Arbeit, die wir einfach viel höher bewerten sollten, etwa die
Altenpflege?
Trump versucht, all diese Fragen mit
seiner rückwärtsgewandten Zukunftsvision zu verdrängen. Gerade deshalb zwingt
er uns, selbst Antworten zu entwickeln
und selbstständig zu denken. Trump könnte so eine Gegenreaktion auslösen, die
so heftig ist, dass in vier oder acht Jahren radikale Schritte wie etwa ein
Grundeinkommen möglich sein werden. Mit Hillary Clinton hätten wir
weitergewurstelt.
Trump hingegen hat den Weg für einen radikalen Change frei gemacht.
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