Wirtschaft
Donald Trump

Das Elend der Angelsachsen

Das Elend der Angelsachsen und die Hoffnung der Frankophonen

Donald Trump und Theresa May sind zu Symbolen einer dekadenten Ära geworden. Gleichzeitig erwacht die frankophone Welt aus ihrer Dauerdepression.
21.06.2017, 17:3222.06.2017, 05:35
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Bereits erschöpft: Donald Trump.
Bereits erschöpft: Donald Trump.

Die Franzosen haben Emmanuel Macron, die Kanadier Justin Trudeau. Beide sind jung, dynamisch und beliebt. Beide sind zu den Hoffnungsträgern der frankophonen Welt geworden.    

epa06034076 French President Emmanuel Macron (R) greets people gathered around his house in Le Touquet, France, 17 June 2017. The presidential couple arrived on Friday 16 June and spend the weekend he ...
Frankreichs Antwort auf John F. Kennedy: Emmanuel Macron.Bild: ETIENNE LAURENT/EPA/KEYSTONE
Canadian Prime Minister Justin Trudeau arrives for a concert in the Ancient Theatre of Taormina ( 3rd century BC) in the Sicilian citadel of Taormina, Italy, Friday, May 26, 2017. Leaders of the G7 me ...
Ein Premierminister, wie ihn sich Schwiegermütter wünschen: Justin TrudeauBild: AP/ANSA

Ganz anders präsentieren sich derzeit die Angelsachsen. Donald Trumps Regierung versinkt immer mehr im Chaos. Theresa May wird auf der Insel bereits als «dead woman walking» bezeichnet, als eine Premierministerin, die nur noch so lange im Amt sein wird, bis man einen halbwegs passablen Ersatz gefunden hat.  

epa06037667 British Prime Minister Theresa May during a press conference after a meeting with new Taoiseach Irish Prime Minister Leo Varadkar (not seen) at 10 Downing Street in London, Britain, 19 Jun ...
«Dead woman walking»: Theresa May.Bild: EPA/BLOOMBERG POOL

Nun könnten die Angelsachsen mit ihrem Präsidenten und ihrer Premierministerin ganz einfach Pech gehabt haben. Doch Trump und May sind mehr, sie sind zu Symbolen einer tiefen Misere geworden. Die angelsächsische Politik, aber auch die Wirtschaft und das Gesellschaftsmodell haben in den letzten Monaten erlebt, was man an der Börse einen Crash nennen würde.  

Wohl kaum wurde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in so kurzer Zeit so viel Goodwill und Softpower vernichtet, wie dies im Vereinigten Königreich und den USA in der ersten Hälfte des Jahres 2017 geschehen ist.  

Eine Katastrophe von epischem Ausmass

Der Niedergang der Angelsachsen findet auf allen Ebenen statt. Die Politik verkommt zum Schmierentheater. In den USA brüllt ein narzisstisch gestörter Präsident die Kommentatoren an TV-Bildschirmen an und weiss nicht, ob gegen ihn eine Ermittlung im Gange ist oder nicht.  

epa06035824 A general view of the remains of Grenfell Tower, a 24-storey apartment block in North Kensington, London, Britain, 18 June 2017. Search and Rescue efforts are continuing to sift through th ...
Symbol des britischen Niederganges: Der ausgebrannte Grenfell Tower in London.Bild: WILL OLIVER/EPA/KEYSTONE

Die britische Premierministerin hat keine Ahnung, wie der Brexit über die Bühne gehen soll. Nach dem schrecklichen Grossbrand des Grenfell Towers war sie unfähig, passende Worte für die Opfer zu finden. Der renommierte Politologe Will Hutton stellt im «Guardian» fest, dass das Vereinigte Königreich in eine Katastrophe von «epischem Ausmass» schlafwandle.  

Wirtschaftlich ziehen ebenfalls dunkle Wolken am angelsächsischen Himmel auf. In den USA zeichnet sich eine inverse Zinsstruktur ab. Darunter versteht man das Phänomen, dass die kurzfristigen Zinsen steigen, während die langfristigen Zinsen sinken. Derzeit sind die Zinsen der zehnjährigen US-Staatsanleihen im Sinkflug, während die Notenbank die kurzfristigen Zinsen soeben wieder erhöht hat.  

«Die Investoren werden nervös. Der britische Gemeinschaftssinn zerfällt. Die realen Löhne stagnieren. Der öffentliche Dienst ist bis zum Äussersten angespannt.»
Economist

Inverse Zinsstrukturen sind ein schlechtes Omen. Bereits werden erste Ökonomenstimmen laut, die eine Rezession der US-Wirtschaft ankünden. Dazu gesellt sich die Tatsache, dass der Dollar seinen Trump-Höhenflug wieder beendet hat.  

Der Traum der Chancengleichheit ist ausgeträumt

Auch das britische Pfund hat nach der Wahlkatastrophe der Konservativen einen Kurssturz erlitten. Auf der Insel verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage. So stellte der «Economist» kürzlich fest: «Die Wirtschaft hat zwar den Brexit zunächst besser verkraftet als befürchtet, doch jetzt schwächt sich das Wachstum ab; die Investoren werden nervös. Der Gemeinschaftssinn zerfällt. Die realen Löhne stagnieren. Der öffentliche Dienst ist bis zum Äusserten angespannt.»  

Chancengleichheit ist das tragende Element des angelsächsischen Gesellschaftsmodells. Dieser Anspruch ist zur Farce verkommen. In den USA erfolgt der soziale Aufstieg nicht mehr über die Leistung, sondern über die Postleitzahl. Wer im richtigen Quartier wohnt, den richtigen Kindergarten, die richtige Schule und die richtige Universität besucht und den richtigen Partner hat, der schafft es an die Spitze. Der grosse Rest guckt in die Röhre.  

epa05990305 Independent US Senator from Vermont Bernie Sanders speaks at a press conference on Capitol Hill in Washington, DC, USA, 25 May 2017. ‘Raise the Wage Act of 2017’ would raise the minimum wa ...
Hoffnungsträger der amerikanischen Jugend: Bernie Sanders.Bild: TASOS KATOPODIS/EPA/KEYSTONE

Der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, ist endgültig zur Illusion geworden. Stattdessen ist eine Oligarchie entstanden, in der eine schmale Elite einen unermesslichen Reichtum zusammenrafft, während der Mittelstand den Gürtel immer enger schnallen muss. Edward Luce, US-Korrespondent der «Financial Times» stellt deshalb fest: «Das klassenlose Amerika und das Post-Klassen-Grossbritannien sind die rigidesten Gesellschaften des Westens geworden.»  

Macron will das nordische Modell

Die Entwicklung der angelsächsischen steht im krassen Gegensatz zur frankophonen Welt. Frankreichs neuer Strahlemann Macron will der sozialen Marktwirtschaft ein Comeback verleihen und orientiert sich dabei am nordischen Modell, speziell an der dänischen Variante des Wohlfahrtsstaates, der so genannten Flexicurity. Er will eine Gesellschaft, in der Leistung belohnt wird, aber in der gleichzeitig auch aufgefangen wird, wer aus dem Tritt gerät.  

epa06029368 British Labour Party leader Jeremy Corbyn (C) visits St.Clements Church relief centre close to the scene of the fire that broke out at Grenfell Tower, a 24-storey apartment block in North  ...
Hoffnungsträger der britischen Jugend: Jeremy Corbyn.Bild: ANDY RAIN/EPA/KEYSTONE

Dabei steht das viel geschmähte Frankreich heute schon besser da als die Angelsachsen. «Frankreich hat einen besseren Job gemacht als die angelsächsischen Rivalen, wenn es darum geht, sich um die zu kümmern, die zurück gelassen worden sind», stellt Luce fest. «Es gibt mehr Männer im erwerbsfähigen Alter, die einen Job haben. Vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Die Einkommensunterschiede in Frankreich sind tiefer als in den USA und im Vereinigten Königreich.»  

Trump und May haben die Revolution von Reagan und Thatcher zu ihrem wohlverdienten Ende geführt. Der Neoliberalismus hat ausgedient. Auch in der angelsächsischen Welt formiert sich der Widerstand dagegen. Die Hoffnungsträger dabei sind jedoch nicht jung-dynamische Politiker wie Macron und Trudeau, sondern zwei altgediente Sozialisten: Bernie Sanders und Jeremy Corbyn.

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34 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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flvv
21.06.2017 19:27registriert September 2014
Herr Löpfe, ich lese Ihre Artikel immer sehr gerne und mag Ihre polarisierende Darstellungsweise. Trotzdem erinnern Ihre Artikel mich eher an einen Kommentar als einen Artikel. Jedes mal stolpere ich über das abrupte Ende und wünschte mir eigentlich eine etwas ausführlichere und vertieftere Auseinandersetzung mit der Thematik.

Vielleicht ist das ja aber auch Ihr Konzept uns Kommentarschreiber zu motivieren? Andererseits wird dann oft nicht wirklich über den Inhalt diskutiert, sondern eher über die dürftigen Hintergrundinformationen...
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Luca Brasi
21.06.2017 18:32registriert November 2015
Bleiben den Angelsachsen immer noch Australien und Neuseeland. :D

Aber wenn die Frankophonen eigentlich einen guten Job gemacht haben, müsste nicht die viel geschmähte Parti Socialiste unter dem altgedienten Sozialisten Hollande gelobt werden und nicht "Sonnyboy" Macron?
Irgendwie fehlt mir ein wenig etwas über Trudeaus Politik in diesem Artikel, wenn er schon erwähnt wird. Ist er einfach nur jung und Muttis Liebling?
Jung zu sein ist auch kein Erfolgsfaktor, Kennedy wird auch verklärt.
Also ich habe nichts gegen altgediente Leute, sonst würde ich ja keine Artikel von Herrn Löpfe lesen. ;)
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N. Y. P. D.
21.06.2017 18:24registriert Oktober 2015
Herr Löpfe, eine aussergewöhnlich gute Zusammenfassung der Lage auf unserer Kugel.
Ihren Satz
"Stattdessen ist in den USA eine Oligarchie entstanden, in der eine schmale Elite einen unermesslichen Reichtum zusammenrafft.."
kann man nicht genug wiederholen. Soziale Wohlfahrt geht dieser Geldelite dort vorbei, wo der Rücken aufhört.
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