Die Franzosen haben Emmanuel Macron, die Kanadier Justin Trudeau. Beide sind jung, dynamisch und beliebt. Beide sind zu den Hoffnungsträgern der frankophonen Welt geworden.
Ganz anders präsentieren sich derzeit die Angelsachsen. Donald Trumps Regierung versinkt immer mehr im Chaos. Theresa May wird auf der Insel bereits als «dead woman walking» bezeichnet, als eine Premierministerin, die nur noch so lange im Amt sein wird, bis man einen halbwegs passablen Ersatz gefunden hat.
Nun könnten die Angelsachsen mit ihrem Präsidenten und ihrer Premierministerin ganz einfach Pech gehabt haben. Doch Trump und May sind mehr, sie sind zu Symbolen einer tiefen Misere geworden. Die angelsächsische Politik, aber auch die Wirtschaft und das Gesellschaftsmodell haben in den letzten Monaten erlebt, was man an der Börse einen Crash nennen würde.
Wohl kaum wurde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in so kurzer Zeit so viel Goodwill und Softpower vernichtet, wie dies im Vereinigten Königreich und den USA in der ersten Hälfte des Jahres 2017 geschehen ist.
Der Niedergang der Angelsachsen findet auf allen Ebenen statt. Die Politik verkommt zum Schmierentheater. In den USA brüllt ein narzisstisch gestörter Präsident die Kommentatoren an TV-Bildschirmen an und weiss nicht, ob gegen ihn eine Ermittlung im Gange ist oder nicht.
Die britische Premierministerin hat keine Ahnung, wie der Brexit über die Bühne gehen soll. Nach dem schrecklichen Grossbrand des Grenfell Towers war sie unfähig, passende Worte für die Opfer zu finden. Der renommierte Politologe Will Hutton stellt im «Guardian» fest, dass das Vereinigte Königreich in eine Katastrophe von «epischem Ausmass» schlafwandle.
Wirtschaftlich ziehen ebenfalls dunkle Wolken am angelsächsischen Himmel auf. In den USA zeichnet sich eine inverse Zinsstruktur ab. Darunter versteht man das Phänomen, dass die kurzfristigen Zinsen steigen, während die langfristigen Zinsen sinken. Derzeit sind die Zinsen der zehnjährigen US-Staatsanleihen im Sinkflug, während die Notenbank die kurzfristigen Zinsen soeben wieder erhöht hat.
Inverse Zinsstrukturen sind ein schlechtes Omen. Bereits werden erste Ökonomenstimmen laut, die eine Rezession der US-Wirtschaft ankünden. Dazu gesellt sich die Tatsache, dass der Dollar seinen Trump-Höhenflug wieder beendet hat.
Auch das britische Pfund hat nach der Wahlkatastrophe der Konservativen einen Kurssturz erlitten. Auf der Insel verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage. So stellte der «Economist» kürzlich fest: «Die Wirtschaft hat zwar den Brexit zunächst besser verkraftet als befürchtet, doch jetzt schwächt sich das Wachstum ab; die Investoren werden nervös. Der Gemeinschaftssinn zerfällt. Die realen Löhne stagnieren. Der öffentliche Dienst ist bis zum Äusserten angespannt.»
Chancengleichheit ist das tragende Element des angelsächsischen Gesellschaftsmodells. Dieser Anspruch ist zur Farce verkommen. In den USA erfolgt der soziale Aufstieg nicht mehr über die Leistung, sondern über die Postleitzahl. Wer im richtigen Quartier wohnt, den richtigen Kindergarten, die richtige Schule und die richtige Universität besucht und den richtigen Partner hat, der schafft es an die Spitze. Der grosse Rest guckt in die Röhre.
Der Traum, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, ist endgültig zur Illusion geworden. Stattdessen ist eine Oligarchie entstanden, in der eine schmale Elite einen unermesslichen Reichtum zusammenrafft, während der Mittelstand den Gürtel immer enger schnallen muss. Edward Luce, US-Korrespondent der «Financial Times» stellt deshalb fest: «Das klassenlose Amerika und das Post-Klassen-Grossbritannien sind die rigidesten Gesellschaften des Westens geworden.»
Die Entwicklung der angelsächsischen steht im krassen Gegensatz zur frankophonen Welt. Frankreichs neuer Strahlemann Macron will der sozialen Marktwirtschaft ein Comeback verleihen und orientiert sich dabei am nordischen Modell, speziell an der dänischen Variante des Wohlfahrtsstaates, der so genannten Flexicurity. Er will eine Gesellschaft, in der Leistung belohnt wird, aber in der gleichzeitig auch aufgefangen wird, wer aus dem Tritt gerät.
Dabei steht das viel geschmähte Frankreich heute schon besser da als die Angelsachsen. «Frankreich hat einen besseren Job gemacht als die angelsächsischen Rivalen, wenn es darum geht, sich um die zu kümmern, die zurück gelassen worden sind», stellt Luce fest. «Es gibt mehr Männer im erwerbsfähigen Alter, die einen Job haben. Vor zehn Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Die Einkommensunterschiede in Frankreich sind tiefer als in den USA und im Vereinigten Königreich.»
Trump und May haben die Revolution von Reagan und Thatcher zu ihrem wohlverdienten Ende geführt. Der Neoliberalismus hat ausgedient. Auch in der angelsächsischen Welt formiert sich der Widerstand dagegen. Die Hoffnungsträger dabei sind jedoch nicht jung-dynamische Politiker wie Macron und Trudeau, sondern zwei altgediente Sozialisten: Bernie Sanders und Jeremy Corbyn.