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Seit der Stromkonzern Alpiq laut darüber nachdenkt, eine Minderheit seiner Staudämme zu verhökern, tobt in der Schweiz ein heftiger Streit über die Zukunft der Energieversorgung. Parallelen zum Swissair-Groundig und dem Bail-out der UBS werden gezogen, düstere Ausverkaufszenarien wie der Teufel an die Wand gemalt.
Einmal mehr spielt sich dabei die SVP als vermeintliche Hüterin des Altbewährten auf. In der «SonntagsZeitung» will Christoph Blocher die Atomenergie subventionieren, sein Parteikollege Gregor Rutz verkündet derweil in der «NZZ am Sonntag»:
Der bewährte Produktionsmix sah in der Schweiz bisher wie folgt aus: Atom- und Flusskraftwerke liefern so genannte Bandenergie, will heissen: Sie produzieren rund um die Uhr gleichmässig Strom, weil sich das am besten rechnet. Die Stauseen in den Bergen werden im Winter und zu Spitzenzeiten angezapft. Gleichzeitig wird mit der billigen Bandenergie Wasser zurückgepumpt und so veredelt.
Dieses Geschäftsmodell hat sich in der Schweiz tatsächlich lange bewährt. Die Stromkonzerne konnten ihren Versorgungsauftrag locker erfüllen und verdienten sich mit dem Verkauf des edlen Stroms ins Ausland gleichzeitig dumm und dämlich. Weil der Strommarkt zudem in regionale Monopole aufgeteilt war, mussten sie sich nicht vor Konkurrenz fürchten.
Die komfortable Situation der Stromkonzerne lässt sich vergleichen mit der Lage der Verleger in der Nachkriegszeit. Auch sie genossen damals weitgehend regionale Monopole und ein Geschäftsmodell, das kaum Wettbewerb zuliess. Es gab – wie es in der Fachsprache heisst – hohe Eintrittsbarrieren. Ohne eine teure Druckerei und ein noch teureres Vertriebsnetz war das Verlagsgeschäft nicht zu machen. Beides schreckte potentielle Konkurrenten wirksam ab. Jahrzehntelang verdienten sich die Schweizer Verleger deshalb dumm und dämlich.
Seit der Jahrhundertwende hat sich das grundlegend verändert. Internet und Smartphone haben die Medienindustrie «disruptiert» und dafür gesorgt, dass das alte Geschäftsmodell zur Makulatur geworden ist. Ob es in zehn Jahren noch Tageszeitungen geben wird, ist deshalb fraglich geworden; und wie man mit einem Onlineportal auf dem Smartphone richtig Geld verdient, ist erst in Umrissen erkennbar.
Weder für Verleger noch für Journalisten ist diese «Disruption» eine angenehme Erfahrung. Ebitda-Margen schmelzen, die Löhne schrumpfen und die Sparrunden drehen sich in einer Endlosschlaufe. Der Wunsch, zum «Produktionsmix» der Vergangenheit zurückzukehren, ist daher verständlicherweise auch in der Medienbranche weit verbreitet. Aber gleichzeitig mehrt sich die Einsicht, dass Print ein aussterbendes Geschäftsmodell ist. Zögerlich beginnt man, sich mit der neuen digitalen Realität abzufinden.
Die Energiebranche wird auf ähnliche Art und Weise disruptiert. Der Schweizer Strommarkt ist inzwischen teilliberalisiert worden, will heissen: Grosskunden können ihren Lieferanten auswählen. Sehr viel entscheidender ist jedoch, was sich auf dem Gebiet der Produktion abspielt. Solar- und Windenergie sind dem Kinderstadium entwachsen und zu ernsthaften Konkurrenten der traditionellen Player geworden.
Vor allem die Deutschen machen Ernst mit der Energiewende und investieren viel in den Ausbau von Solar- und Windenergie. Das hat dazu geführt, dass es heute auf dem internationalen Strommarkt ein Überangebot gibt, und infolgedessen die Preise in den Keller rasseln.
(Es ist – das nur nebenbei – mehr als ironisch, dass ausgerechnet die Vertreter des bewährten Produktionsmix sich über die tiefen Strompreise beklagen und die nachhaltige Energie dafür verantwortlich machen. Aber das ist eine andere Geschichte.)
Die Situation auf dem Energiemarkt hat sich mittlerweile grundlegend verändert. Strom aus Kohlekraftwerken ist zwar billig, aber im Zeitalter der Klimaerwärmung nicht mehr vertretbar. Die Kohlekraftwerke müssen abgeschaltet werden, je schneller, desto besser. In Deutschland haben deshalb die grossen Energiekonzerne bereits begonnen, das dreckige Kohlengeschäft in eine «bad bank» auszulagern.
Auch die Atomenergie ist zu einem Auslaufmodell geworden. Sie ist erstens zu riskant und zweitens nicht mehr wirtschaftlich. So ist kürzlich der Finanzchef des französischen Staatsmonopolisten EDF zurückgetreten, weil er das Geschäftsgebaren der Firma nicht mehr verantworten konnte. Vor allem der geplante Atommeiler in England, Hinkley Point, den EDF im Auftrag der britischen Regierung bauen sollte, droht zu einem Fiasko zu werden.
Tatsächlich ist der geplante Atommeiler vom Typ EPR ein Schrecken ohne Ende. In Finnland ist ein gleicher Reaktortyp seit Jahren im Verzug und mehr als fünf Milliarden Euro über Budget. Im französischen Flamanville muss gar ein halb gebauter EPR möglicherweise wieder abgerissen werden. Die beiden renommierten Finanzblätter «Financial Times» und «Economist» haben daher in den letzten Tagen die britische Regierung dringend aufgefordert, das Experiment Hinkley Point unverzüglich abzubrechen.
Unverdrossen wollen derweil die Schweizer Atom-Träumer weitermachen wie bisher. «Weltweit werden Kernkraftwerke gebaut – ausser in der Schweiz und Deutschland», behauptet Rutz trotzig. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber irreführend. Atommeiler werden vor allem in China noch gebaut, wobei selbst die Chinesen das Schwergewicht zunehmend auf erneuerbare Energie legen. In den USA – nach wie vor führend in Sachen Spitzentechnologie führend – sind die Energiewürfel jedoch gefallen: Die Zukunft gehört der Solar- und Windenergie.
Auch hier gibt es eine Parallele zum Verlagsgeschäft. Was Rutz von der Atomenergie behauptet, gilt auch für das Printgeschäft. Weltweit steigt die Anzahl der gedruckten Zeitungen nach wie vor. Das hängt in diesem Fall nicht mit China, sondern mit Indien zusammen. Für Schweizer Verleger eröffnet sich so allenfalls eine Möglichkeit, ausrangierte Druckmaschinen abzustossen. Doch wer würde hierzulande eine neue Tageszeitung auf den Markt werfen wollen, bloss weil in Neu Delhi der Printmarkt boomt?