Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache: Seit dem vergangenen Mai ist die Börse von Shanghai um rund 30 Prozent eingebrochen. Gegen drei Billionen Dollar haben sich in Luft aufgelöst. Das sind rund sechs Mal mehr als die gesamten Auslandschulden von Griechenland und mehr als zehn Mal das gesamte Bruttoinlandprodukt von Hellas.
Während die Märkte einen «Grexit» zumindest vorübergehend wohl verkraften könnten, ist das im Fall eines chinesischen Börsencrashs alles andere als sicher. «Der Abwärtstrend an den chinesischen Börsen könnte sich als weit gefährlicher für die Weltwirtschaft erweisen als Griechenland», warnt Frederic Neumann, Ökonom bei der in Asien sehr wichtigen Bank HSBC.
#China’s stocks extend rout, drop to lowest since March as traders cut margin bets by record. http://t.co/rKMcomJqwh pic.twitter.com/yDcx5yLjb0
— Holger Zschaepitz (@Schuldensuehner) 7. Juli 2015
Die chinesische Regierung ist durch den schleichenden Börsencrash aufgeschreckt worden und hat Gegenmassnahmen eingeleitet. Sie hat die Zinsen gesenkt, staatliche Pensionskassen treten als Käufer auf und stützen den Markt, und gegen Leerverkäufer, die auf sinkende Kurse setzen, wird gerichtlich vorgegangen. Nur: Das sind die gängigen Instrumente, die stets eingesetzt werden – in der Regel ohne Erfolg.
Ist trotzdem alles halb so schlimm? Die Optimisten verweisen zu Recht darauf, dass dem Minicrash ein Maxi-Boom vorausgegangen ist. Der Shanghai-Index hat innert Jahresfrist rund 150 Prozent zugelegt und liegt auch im laufenden Jahr noch immer mit rund 80 Prozent im Plus. Man kann daher die aktuelle Entwicklung auch unter der Rubrik «gesunde und längst fällige Korrektur» einordnen.
Kommt dazu, dass die chinesischen Börsen zu extremeren Ausschlägen als die westlichen neigen. 2008 ist der Shanghai-Index um 70 Prozent eingebrochen. Trotzdem werden die Investoren rund um den Globus allmählich nervös. Weshalb?
Kleininvestoren spielen in China eine grosse Rolle. Der durchschnittliche Chinese kann hoffen, mit Gewinnen an den Aktienbörsen ein mittelständisches Leben führen und seine Kinder an gute Schulen schicken zu können. Mit Aktien zu spekulieren ist daher weit verbreitet. Oft werden die Aktien mindestens teilweise mit Krediten finanziert, was in Crashzeiten bekanntlich fatale Folgen haben kann. Und sollten jetzt Millionen von Chinesen ihre Spargelder verlieren, dann hätte die chinesische Führung ein grosses Problem.
Kommt dazu, dass sich die Wirtschaft in einem Umbruch befindet. China will seine Abhängigkeit von Exporten abbauen und vermehrt die Binnenwirtschaft ankurbeln. Das ist leichter gesagt als getan. Das Wirtschaftswachstum ist von einst zehn bis zwölf Prozent des Bruttoinlandprodukts auf sechs bis sieben Prozent geschrumpft. Sollte jetzt die einheimische Nachfrage ins Stocken geraten, wäre dies ein heftiger Rückschlag.
Die Regierung hat daher alle Hebel in Bewegung gesetzt, um den Börsencrash zu stoppen, bisher ohne Erfolg. Nach zunächst kräftigen Gewinnen hat der Shanghai-Index gestern erneut mit zwei Prozent im Minus geschlossen.
Für die Weltwirtschaft wäre ein chinesischer Börsencrash so ziemlich das Letzte, was sie derzeit gebrauchen kann. Als zweitgrösste Volkswirtschaft hat China einen enormen Einfluss rund um den Globus. Erste Auswirkungen machen sich bereits bemerkbar: Rohstoffpreise brechen ein, der Ölpreis beispielsweise um acht Prozent.