Marco Curti, langjähriger Anlagechef der Zürcher Kantonalbank, hat laut darüber nachgedacht, ob der Schweizer Franken nicht bald zu einer aussterbenden Rasse werden könnte. Ausgangspunkt seiner These war ein Vergleich mit EU-Nachbarregionen wie Bayern oder Vorarlberg und die Erkenntnis, dass der Lebensstandard dort durchaus mit Schweizer Verhältnissen vergleichbar ist. Nicht der Franken sei damit Ursprung unseres Wohlstandes, folgert Curti in der «Schweiz am Sonntag», sondern die geografische Lage im Alpenbogen.
Für den «Blick» war die der Anlass für die Schlagzeile «Dieser Mann will den Franken abschaffen». Chefredaktor René Lüchinger griff persönlich in die Tasten und warf Curti vor, «keine blasse Ahnung über die Folgen eines solchen Schrittes» zu haben. Dabei kam er zum Schluss: Den Franken aufzugeben, wäre Selbstmord.
Nun kann man sich darüber streiten, ob Curti sehr viel Ahnung von Politik hat. In der aktuellen Situation hat der Vorschlag, den Franken abzuschaffen, etwa die gleichen Chancen wie ein Schneeball in der Hölle. Doch ökonomisch ist der Vorschlag keineswegs absurd.
Mit dem Mindestkurs hat die Schweiz die letzten dreieinhalb Jahre de facto mit dem Euro gelebt – und dies nicht so schlecht. Allerdings ist diese Tatsache offenbar nicht nur dem volkswirtschaftlich so kompetenten «Blick»-Chefredaktor verborgen geblieben, sondern auch 99,9 Prozent der Schweizer Bevölkerung.
Die Schweizerische Nationalbank hat den Mindestkurs zwar aus nachvollziehbaren Gründen aufgegeben. Sie hat sich jedoch damit auch auf ein Experiment mit ungewissem Ausgang eingelassen. Wo sich der Frankenkurs einpendeln wird und was die Folgen für die Schweizer Volkswirtschaft sein werden, darüber kann man mehr oder weniger intelligent spekulieren, mehr nicht.
Wir leben in sehr speziellen, geldpolitischen Verhältnissen. Es ist ein bisschen wie bei «Alice im Wunderland». Alles ist spiegelverkehrt. Wer sein Geld auf die Bank trägt, erhält dafür keinen Zins, sondern muss dafür bezahlen. Selbst ein so erfahrener Banker wie Oswald Grübel bekennt offen: «Eine solche Situation wie heute habe ich noch nie erlebt.»
So schnell wird sich das nicht ändern: Nach der amerikanischen und der englischen Notenbank haben nun auch die Bank of Japan und die Europäische Zentralbank das so genannte Quantitative Easing entdeckt. Will heissen: Sie fluten die Märkte mit billigem Geld in der Absicht, die Zinsen tief und die Währung schwach zu machen. Damit soll der schwächelnden einheimischen Wirtschaft unter die Arme gegriffen werden.
Die Folgen der weltweiten Geldflut sind derzeit nicht absehbar. Bei den Experten breitet sich Unbehagen aus. «Unsere Zentralbanken sind die modernen Rumpelstilzchen: Sie können Gold spinnen», schreibt Thomas Mayer in seinen kürzlich erschienen Buch «Die neue Ordnung des Geldes». Mayer war lange Chefökonom der Deutschen Bank und gilt als einer der wichtigsten Vertreter des konservativen deutschen Ordoliberalismus.
Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times», ist ein Vertreter der angelsächsischen Schule und normalerweise kein Freund der Ordoliberalen. Aber auch er stellt in seinem Buch «The Shifts and the Shocks» fest, dass die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik der letzten Jahre bloss die Illusion eines stabilen Finanzsystems vermittelt haben. Im Herbst 2008 sei dieser Traum endgültig geplatzt. «Die «grosse Mässigung» hat sich als Falle und als Täuschung herausgestellt», so Wolf.
Die grosse Geldflut hat die Finanzmärkte unberechenbar gemacht. Was heute noch mit dem exotischen Begriff Quantitative Easing umschrieben wird, kann morgen schon in einen offenen Währungskrieg mit unabsehbaren Folgen ausarten.
Der Schweizer Franken befindet sich dabei in einer ungemütlichen Lage. Nach wie vor ist er eine der beliebtesten Fluchtwährungen und daher gerade in unsicheren Zeiten sehr gefragt. Das wiederum lässt ihn so stark werden, dass er damit die Wirtschaft erschlägt – und zwar nicht nur die Exportwirtschaft. Auch KMU müssen sich heute im globalen Wettbewerb behaupten.
Der Franken wird als nationales Symbol gesehen und daher mit patriotischem Eifer verehrt. Das ist politisch sinnvoll, aber ökonomisch idiotisch. Eine überwertete Währung kann grossen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Sollte sich der Frankenkurs nicht bei einem für die Wirtschaft noch verkraftbaren Kurs einpendeln, dann wird auch die Schweizerische Nationalbank über sehr ungewöhnliche Massnahmen nachdenken müssen, über Kapitalverkehrskontrollen beispielsweise. Vielleicht könnte sich dann der Anschluss an den Euro sogar als kleineres Übel erweisen.
Und übrigens: Der Franken wurde nicht auf dem Rütli eingeführt und auch nicht in Sempach verteidigt. Bis 1927 war die Schweiz Mitglied einer Münzunion mit Frankreich, Belgien, Italien und – kein Witz – Griechenland.