Als Jeremy Corbyn vor drei Jahren Chef der Labourpartei wurde, machte er aus seinen Prioritäten kein Hehl: Die öffentlichen Dienste müssten wieder in Staatsbesitz überführt werden, verkündete er. Dafür erntete er Hohn und Spott. Das sei ein Rückfall in den Steinzeit-Sozialismus, wurde ihm vorgehalten.
Immer noch will Corbyn Eisenbahnen, Wasserversorgung, Energieunternehmen und die Post wieder in Staatsbesitz überführen. Doch heute lacht keiner mehr. Corbyn hat gute Chancen, nächster Premierminister zu werden und sein Verstaatlichungsprogramm trifft auf breite Zustimmung in der Bevölkerung.
«Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage des Legatum Institute hat ergeben, dass 83 Prozent der Befragten eine Verstaatlichung der Wasserversorgung begrüssen», schreibt die «Financial Times». «77 Prozent wollen die Privatisierung der Energieunternehmen rückgängig machen, 76 Prozent sind es bei den Eisenbahnen.»
Die Privatisierung der Staatsbetriebe war in den 80er Jahren das Kernstück der neoliberalen Revolution. «So wie die Verstaatlichung das Herz des kollektivistischen Programms war, mit dem die Labour-Regierung die britische Gesellschaft umformen wollte, so ist die Privatisierung das Zentrum eines jeden Programms, das die Freiheit zurückgewinnen will», verkündete damals die Hohepriesterin des Neoliberalismus, Margaret Thatcher.
Privatisierung werde zu mehr Wettbewerb und weniger Bürokratie führen und die lahmen Staatsbetriebe auf Vordermann bringen, versprach Thatcher. Das werde die Dienstleistungen besser und billiger machen.
Wirklich eingelöst wurde dieses Versprechen nie. Das zeigt das Beispiel der Eisenbahnen. Die ehemals staatliche British Rail mag kein Musterbetrieb gewesen sein. Doch das Fazit nach rund drei Jahrzehnten Privatisierung ist ernüchternd, ja geradezu paradox: Die britischen Bahnen sind inzwischen wieder in Staatsbesitz, jedoch nicht des eigenen. Es sind die Deutsche Bahn, die französischen Staatsbahnen und die Chinesen, die heute den öffentlichen Verkehr auf der Insel mehrheitlich kontrollieren.
«Ursprünglich haben tatsächlich private Unternehmer die Lizenzen erworben», so die «Financial Times». «Aber in den letzten Jahren sind sie systematisch von Betrieben wie der Deutschen Bahn und der französischen SNCF aufgekauft worden.»
Konkret sieht das wie folgt aus: Von den 20 Eisenbahn-Franchisen auf der Insel sind 14 in staatlicher Hand oder es handelt sich um Joint Ventures mit der öffentlichen Hand. Ohne massive Subventionen könnten auch die wenigen ganz privaten Betriebe nicht überleben.
Ein speziell groteskes Beispiel findet sich in Südengland. Dort wurde eine 30-Prozent-Beteiligung an der South Western Railway nach China verkauft. «Im Namen des Triumphs der kapitalistischen Freiheit über den staatlichen Kollektivismus ist das an einen kommunistischen Ein-Parteien-Staat verhökert worden», notiert die «New York Times» süffisant.
Kann man das Rad der Geschichte wieder zurückdrehen? Bei den Bahnen wäre dies ohne grössere Probleme möglich. Die Regierung könnte einfach warten, bis die Franchisen auslaufen und sie dann nicht mehr erneuern.
Komplizierter sind die Verhältnisse bei der Wasserversorgung. Dort sind mit privaten Unternehmen langfristige Verträge abgeschlossen worden, die nur mit grossen Kosten aufgelöst werden könnten.
Allerdings wäre auch das zu verkraften. Die Wasserversorgung ist rentabel. 2016 haben die englischen Wasserwerke einen Gewinn von 3,5 Milliarden Pfund (rund 4,5 Milliarden Franken) erwirtschaftet. Sie wären so gesehen in der Lage, eine Renationalisierung aus eigener Kraft zu finanzieren.
Umstritten bleibt die Frage der Effizienz. Die privaten Wasserwerke erklären, dass sie seit der Privatisierung rund 150 Milliarden Pfund investiert und die Unternehmen deutlich produktiver gemacht hätten. Das wäre ohnehin und zudem zu einem guten Teil mit EU-Geldern geschehen, widersprechen die Verstaatlichungs-Freunde. Wer Recht hat, lässt sich nicht bestimmen.
Tatsache ist, dass auf der Insel das Wasser billiger ist als in den Niederlanden und Dänemark, etwa gleich teuer wie in Frankreich. In diesen Ländern ist die Wasserversorgung teils privat, teils staatlich. Das englische Wasser ist jedoch teurer als das schottische. Dort wird es vom Staat geliefert.