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«Banken sind wie Reisebüros: 90 Prozent von allem, was vor zehn Jahren angeboten wurde, ist heute nicht mehr gefragt» 

«Banken sind wie Reisebüros: 90 Prozent von allem, was vor zehn Jahren angeboten wurde, ist heute nicht mehr gefragt» 

Die digitale Revolution erfasst die Finanzindustrie. Banken schliessen Filialen und locken ihre Kunden mit Apps an. Algorithmen können bestimmen, wie wir unser Geld anlegen sollten, und ob wir Kredit erhalten. Wie die Banken «disruptiert» werden und was das bedeutet, erklärt Fintech-Kenner Marc P. Bernegger. 
29.04.2015, 14:1004.05.2015, 11:59
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Herr Bernegger, haben die Schweizer Banken die digitale Revolution verpennt?
Marc P. Bernegger:
 Die Schweizer Banken hinken der technischen Entwicklung ein paar Jahre hinterher. In Deutschland, aber vor allem in England ist man da einiges weiter. 

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Zur Person

Marc P. Bernegger (* 9. April 1979 in Zürich) ist Unternehmer und Mitbegründer verschiedener Schweizer Internet-Unternehmen wie usgang.ch (gekauft von Axel Springer 2008) und amiando (gekauft von XING im Dezember 2010). Der Jurist war Partner bei der Beteiligungsgesellschaft Next Generation Finance Invest (heute Ayondo Holding). Heute ist er als Fintech-Investor aktiv, u.a. als Partner bei Orange Growth Capital. 

Warum haben die Schweizer Banken geschlafen?
Weil es ihnen ganz einfach zu gut gegangen ist. Dank dem Bankgeheimnis haben sie quasi automatisch ein sehr profitables Geschäftsfeld gehabt. 

Der Privatbanker Hans Bär hat einst gesagt: «Das Bankgeheimnis macht fett und impotent.» 
Das kann ich unterschreiben. Innovation hat bei den Schweizer Banken lange keine grosse Rolle gespielt. Die Schweizer Privatbanker mögen sympathische Menschen sein, aber fachlich sind sie nicht besser als die Konkurrenz im Ausland. Sie haben vor allem die Bedürfnisse der jüngeren Zielgruppe vernachlässigt. Mobile Banking und Apps, das waren bisher bloss Dinge, die «nice to have» sind.

Warnte früh vor dem Bankgeheimnis: Hans Bär.
Warnte früh vor dem Bankgeheimnis: Hans Bär.Bild: KEYSTONE

Nun werden auch die Banken von der «disruptiven Technologie» überrollt. Was genau geschieht da?
Im Private Banking ist der durchschnittliche Kunde im Pensionierungsalter. Diese Zielgruppe hat kaum Bedürfnisse nach Handy- und Internet-Applikationen. Aber für die junge Generation sind intelligente Tablets und Apps von grosser Bedeutung. Sie sind bisher nicht ernst genommen worden. 

«Im Extremfall macht der Privatbanker mit Ihnen den gleichen Test, den Sie online angeboten erhalten. Höchstens die Verpackung ist noch ein bisschen nobler.»
Marc P. Bernegger, Webunternehmer

Mit anderen Worten: Für die Jungen ist eine tolle App wichtiger als ein tolles Büro des Bankers? 
Überspitzt formuliert stimmt das. Die Banken erleben das Gleiche wie früher schon die Reisebüros und die Buchläden. 

Oder die Journalisten. Stehen die Banken wie die Medien vor einem gewaltigen Umbruch?
Die Banken könnten tatsächlich auf ähnliche Weise unter die Räder kommen. Sie werden allerdings durch die Regulierung besser geschützt. In der Schweiz eine Bank zu eröffnen, ist nicht ganz einfach. Es bestehen hohe Eintrittsbarrieren. 

Die Regulierung sollte eigentlich dazu dienen, die Kunden zu schützen, oder nicht?
Das ist eine Frage der politischen Einstellung. Die Regulierung hat die Finanzkrise nicht verhindert, und die Finanzaufsicht Finma beschützt vor allem die bestehenden Verhältnisse. In England ist das anders. Dort ist die Dynamik viel grösser, und der Regulator sagt: Wir sind offen für die neuen Entwicklungen. Wir können sie ohnehin nicht verhindern. Junge Unternehmen können sogar gratis abklären lassen, ob ihre Ideen regelkonform sind oder nicht.

Geht es den Banken bald wie den Reisebüros?
Geht es den Banken bald wie den Reisebüros?Bild: KEYSTONE

Banker mögen manchmal gierig sein, sie haben aber auch ein hohes Fachwissen. Ist das nichts mehr wert?
Es ist wie beim Reisebüro: 90 Prozent von allem, was vor zehn Jahren noch angeboten wurde, ist heute nicht mehr gefragt. Nur wenn Sie eine sehr exotische Reise machen, brauchen Sie noch Beratung. Auch die Dienste des Private Banking sind zunehmend nur noch für die Ultrareichen interessant. Für normale Kunden reicht intelligente Software, der Rob-Advisor. Im Extremfall macht der Privatbanker mit Ihnen den gleichen Test, den Sie online angeboten erhalten. Höchstens die Verpackung ist noch ein bisschen nobler. 

Vermögensverwaltung lohnt sich also nur noch für sehr grosse Vermögen?
90 Prozent der Vermögensverwalter haben in den letzten Jahren den Index nicht geschlagen, will heissen: Sie haben höchstens eine durchschnittliche Performance erreicht. Das bedeutet, dass die Banken die Einzigen sind, die an der Vermögensverwaltung verdient haben. Das wird auch den gewöhnlichen Leuten langsam bewusst. 

Am besten lässt man also sein Vermögen von einer intelligenten Software verwalten?
Es geht in diese Richtung, auch wenn diese Entwicklung nicht über Nacht eintreten wird. Aber Amazon war auch nicht schon am ersten Tag eine Erfolgsstory. 

«Innovation hat bei den Schweizer Banken lange keine grosse Rolle gespielt. Die Schweizer Privatbanker mögen sympathische Menschen sein, aber fachlich sind sie nicht besser als die Konkurrenz im Ausland.»
Marc P. Bernegger, Fintech-Kenner

Bestimmen bald nur noch Algorithmen, wie unser Geld angelegt wird und wer Kredit erhält?
Ich sehe das differenzierter. Soziale Kompetenz und Vertrauen können – wenigstens vorläufig – noch nicht durch Technik ersetzt werden. Nur darf man nicht übersehen, dass auch kulturelle Einflüsse eine Rolle spielen. In der Schweiz hat der Privatbanker ein hohes Ansehen, in anderen Ländern ist dies nicht der Fall. Bei uns wäre es auch undenkbar, den Piloten durch Software zu ersetzen, anderswo wird bereits ernsthaft darüber diskutiert. 

Müssen sich Banker auf Sparrunden, Lohnabbau oder gar Entlassungen einstellen? 
Gerade hat die Deutsche Bank verkündet, dass sie eine Milliarde Euro in die Digitalisierung investieren und gleichzeitig 200 Filialen schliessen und sehr viel Personal entlassen will. Das ist eine logische Entwicklung. Die Finanzindustrie hat in den letzten Jahren viele Zusatzgewinne mitgenommen, die es in Zukunft ganz einfach nicht mehr geben wird. Schauen Sie bloss die Saläre der Bankangestellten an, die immer noch überdurchschnittlich sind. Die UBS hat heute noch 11'000 Informatiker. Es wird sich die Frage stellen, ob sich dies selbst eine Grossbank in Zukunft noch leisten kann.

«Im Private Banking ist der durchschnittliche Kunde im Pensionierungsalter.»
Marc P. Bernegger, Fintech-Investor

Sind alle Banken von der digitalen Revolution betroffen, oder können etwa die Mitarbeiter der Raiffeisenkasse ruhiger schlafen?
Entscheidend ist einmal die demografische Struktur der Kunden. Aber auch das Angebot der Dienstleistungen. Bankfilialen und Bankautomaten sind sicher Auslaufmodelle. Wie in anderen Branchen wird es eine stärkere Spezialisierung geben. Und vergessen Sie nicht: Auch Google oder Facebook werden nicht untätig bleiben.

Sie könnten theoretisch ebenfalls Bankdienstleistungen anbieten.
Ja, und es werden auch andere Fintech-Unternehmen auf den Markt kommen, welche viel agiler sind als etablierte Banken. Sie sind dynamisch und wachsen sehr schnell. Das wird die neue Konkurrenz sein, nicht mehr die Raiffeisenkasse um die Ecke. Deshalb sind die Grossbanken jetzt bemüht, Vertreter von solchen neuen Unternehmen anzuheuern.

Welche Rolle spielen andere Entwicklungen wie Kryptowährungen und Blockchain (eine Datei, die sich selbst aufdatiert)?
Ich bin da zurückhaltend. Wer das Wort Bitcoin in den Mund nimmt, wird sofort in eine bestimmte Ecke gestellt und nicht mehr Ernst genommen. Bitcoins mögen eine Zwischenerscheinung sein, die Blockchain-Technik als Basis von Bitcoins hat jedoch ein sehr gewaltiges Potenzial. Blockchains werden nochmals grosse Veränderungen im Herzen des Finanzsystems verursachen. Deshalb befassen sich nicht mehr bloss Internet-Anarchisten mit diesem Thema, sondern auch bedeutende Unternehmen – auch in der Schweiz. 

Die nächste Generation der Finanzdienstleister

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