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Gemeindepräsident von Dürnten: «Eine Lastwagenführer-Prüfung hat er ja auch ablegen können»

Hubert Rüegg (FDP), Gemeindepräsident von Dürnten (ZH).
Hubert Rüegg (FDP), Gemeindepräsident von Dürnten (ZH).bild: zvg
Hilfsarbeiter abgezockt?

Gemeindepräsident von Dürnten: «Eine Lastwagenführer-Prüfung hat er ja auch ablegen können»

Hubert Rüegg, Gemeindepräsident von Dürnten, verwahrt sich gegen den Vorwurf, er hätte die Situation des Hilfsarbeiters Ernst Suter kennen müssen. Dieser war von der Steuerabteilung zuletzt auf eine halbe Million Einkommen eingeschätzt worden. 
19.11.2014, 11:1819.11.2014, 12:16
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Der Fall von Ernst Suter bewegt die ganze Schweiz. Der Hilfsarbeiter, der 60'000 Franken verdient im Jahr, ist von der Steuerabteilung der Gemeinde zuletzt auf ein Einkommen von 480'000 Franken eingeschätzt worden. Dies, weil er nie eine Steuererklärung ausgefüllt hatte, was er mit einer Legasthenie und Lese- und Schreibschwäche begründet. 

Nach einem Beitrag von «BeobachterTV» brach ein eigentlicher Shitstorm über die Gemeinde herein. In den Leserforen wurden die Vorwürfe erhoben, die Gemeinde hätte merken müssen, dass bei Suter etwas nicht stimmt, und sie hätte auf ihn zugehen müssen. 

Ausserdem hätte der Gemeindepräsident die Situation von Suter erfassen müssen, als die beiden im Oktober 2007 einen Handwechsel über 720'000 Franken besiegelten. Suter verkaufte damals ein Stück Land an die Gemeinde. 

«Wir sind keine 300-Seelen-Gemeinde»

Hubert Rüegg, Gemeindepräsident von Dürnten, hat während der Abklärung der Sachlage in den vergangenen zwei Tagen geschwiegen, legt nun aber seine Sicht der Dinge dar. So verwahrt er sich gegen den Vorwurf, die Gemeinde habe Suter «abgezockt» oder wissentlich in den Ruin getrieben. «Das ist sicher nicht richtig, wir haben kein Interesse daran, unsere Bürger in den Ruin zu treiben», sagt Rüegg zu watson.

Die Steuerabteilung der Gemeinde bearbeite jeden Tag 30 bis 40 Steuererklärungen, die an den Kanton weitergereicht werden müssten. «Wir sind keine 300-Seelen-Gemeinde, wo jeder jeden kennt, sondern haben 7200 Einwohner», sagt Rüegg. Dies verunmögliche eine proaktive Einzelfallabklärung seitens der Steuerabteilung der Gemeinde bei Unregelmässigkeiten. 

Während der Vertragsunterzeichnung zum Landverkauf auf dem Notariat im Jahr 2007 habe er Suter nur zehn Minuten erlebt. «Daraus den Vorwurf abzuleiten, ich hätte aus seinem Verhalten während dieser kurzen Zeit auf seine finanzielle Gesamtsituation und Nachlässigkeit beim Ausfüllen von Steuererklärungen schliessen und Alarm schlagen müssen, ist nicht fair», sagt Rüegg. 

Landverkauf zu vernünftigem Preis ausgehandelt

Bezüglich des Landverkaufs ist Suter geschickter vorgegangen, als im Umgang mit den Steuerbehörden. So löste er gemäss watson-Recherchen für 2877m² seines ehemaligen Landwirtschaftslandes rund 250 Franken pro Quadratmeter, nachdem dieses in die Zone für öffentliche Bauten umgezont worden war. 

Aber nicht nur deshalb nimmt Gemeindepräsident Rüegg Ernst Suter nicht ganz ab, dass es ihm komplett unmöglich gewesen sei, wegen einer Legasthenie Steuererklärungen auszufüllen. «Eine Lastwagenführer-Prüfung hat er ja auch ablegen können, und auch die Arbeit als Spediteur verlangt Lese- und Schreibkenntnisse», sagt Rüegg. 

Einschätzungen sind rechtskräftig

Nichtsdestotrotz will die Gemeinde Suter nun entgegenkommen. Rückwirkend ist das aber nicht mehr möglich, die rechtskräftigen Einschätzungen der vergangenen Jahre können weder Gemeindeversammlung noch Gemeinderat noch Gemeindepräsident ungeschehen machen.

Eine Möglichkeit wäre, Suter für die kommenden Jahre Steuererlässe zu gewähren, damit er finanziell wieder auf die Füsse kommt. Das ist eine von mehreren möglichen Varianten, die laut Rüegg im Rahmen der anstehenden Verhandlungen erläutert werden. «Aber es wäre eine reine Goodwill-Aktion seitens der Gemeinde, die formaljuristisch immer absolut korrekt gehandelt hat», sagt Rüegg. 

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Simon Siegenthaler
19.11.2014 14:47registriert November 2014
Egal wie juristisch korrekt das alles abgelaufen ist. Der Mann muss für das Jahr 2011 noch 150'000 Fr Steuern bezahlen und das bei einem Einkommen von 60'000. Dies alles während der Ikea-Gründer Ingvar Kamprad mit 42 Milliarden Vermögen 45'000 Fr Steuern bezahlt hat.
Und das alles nur, weil der eine schlau und der andere dumm ist. Das ist doch keine Gerechtigkeit?!
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manhunt
19.11.2014 12:23registriert April 2014
als steuerzahler ust man in der bringschuld. es liegt sicher nicht in der verantwortung der gemeinde, sich nach dem wohlbefinden jedes einzelnen zu erkundigen. herr suter hatte jahrelang zeit, gegen die unverhältnismässige steuereinschätzung zu rekurieren. auch hätte er einfach einen lohnausweis einreichen könne. des weiteren gibt es heute fast an jeder ecke agenturen, die das ausfüllen einer steuererklärung für spotpreise anbieten. die begründung, seine legasthenie sei ihm peinlich, ist fadenscheinig. lässt er sich doch mit bild und namen in der auflagenstärksten schweizer zeitung publizieren. auch der das vorgehen des steueramtes und der gemeinde ist zu kritisieren, das steht ausser frage. aber herrn suter jetzt als das wehrlose opfer darzustellen, ist masslos übertrieben.
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