
Hat sein Versprechen gehalten: EZB-Präsident Mario Draghi. Bild: AP/AP
Die Wirtschaft brummt und die Börsen boomen, als gäbe es kein Morgen. Dass die meisten Staaten nach wie vor auf
Schuldenbergen sitzen, kümmert derzeit kaum jemanden.
11.01.2018, 09:5011.01.2018, 09:58

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Das am meisten zitierte Buch nach der
Finanzkrise trägt den Titel «This time it is different». Darin warnen die
beiden Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff eindringlich vor wachsenden
Staatsschulden. Später haben die beiden in einem Essay sogar eine konkrete Zahl
für eine Schuldenobergrenze genannt: Übersteigen die Schulden eines Staates die
Schwelle von 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), dann drohen blutleeres Wirtschaftswachstum und Staatsbankrott.
«Zum Glück bleibt die Inflation gedämpft und die realen und die nominalen Zinsen tief. Deshalb machen diese Rahmenbedingungen die Schulden ertragbar und höhere Preise für Vermögenswerte vernünftig.»
Martin Wolf
Die ominöse 90-Prozent-Grenze ist vielerorts
nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten. In den USA beispielsweise
betragen die Staatsschulden inzwischen mehr als 100 Prozent des BIP, in Italien sind
es gar mehr als rund 130 Prozent. Von einer Verelendungsspirale ist jedoch nichts
zu spüren. Im Gegenteil: Das amerikanische BIP legt derzeit um 3,6 Prozent zu, in
der Eurozone wächst die Wirtschaft mit 3,5 Prozent.
Die Ökonomen haben derweil die Furcht vor
Staatsschulden abgelegt. So erklärten Marc Brütsch, Chefökonom der Swiss Life,
und sein Kollege Daniel Rempfler an einem Medienfrühstück kürzlich, dass unter
den gegebenen Umständen die hohen Schulden in Europa finanzierbar seien.
Der grosse Meinungsumschwung
Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times»
und der wohl einflussreichste Wirtschaftsjournalist der Welt, kommt in seiner
aktuellen Kolumne zum gleichen Schluss: «Zum Glück bleibt die Inflation
gedämpft und die realen und die nominalen Zinsen tief. Deshalb machen diese
Rahmenbedingungen die Schulden ertragbar und höhere Preise für Vermögenswerte
vernünftig», schreibt er.

Zwei Japanerinnen freuen sich an der Börse in Tokio.Bild: EPA/EPA
Wie ist dieser erstaunliche Meinungsumschwung
zu erklären?
Ökonomisch gesehen war 2017 ein Superjahr.
Alles hat gestimmt: Die reale und die Finanzwirtschaft boomten, die Inflation
blieb tief und die Angst vor Deflation erwies sich als unbegründet. An den
Finanzmärkten hat man sich derweil dumm und dämlich verdient. Es handelt sich um mehr
als ein Strohfeuer. Der Aufschwung ist weltweit synchron, Industrie- und
Schwellenländer profitieren gleichermassen davon. «Anders als andere zyklische
Booms ist der Aufschwung breit abgestützt», stellt Starökonom Gavyn Davies in der
«Financial Times» fest.
Ermöglicht haben dieses Wirtschaftswunder die
Zentralbanken. In den USA hat die Notenbank mit dem Quantitativen Easing für
billiges Geld gesorgt und damit die Basis für den Aufschwung gelegt. In
Europa hat Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, zuerst
geschworen, der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, und zwar mit allen
Mitteln («whatever it takes»). Danach hat er sein Versprechen auch eingehalten. Er
hat ebenfalls ein umfangreiches Quantitative-Easing-Programm aufgelegt.
Das Handeln der Zentralbanken trägt nun
Früchte. Das Gespenst einer «säkularen Stagnation» – darunter versteht man
stagnierende Wirtschaft trotz tiefer Zinsen – hat sich verflüchtigt. Gavyn
Davies sieht gar bereits ein neues Zeitalter einer «säkularen Expansion»
anbrechen. Will heissen: Die Dynamik der Wirtschaft ist bisher gar unterschätzt
worden, und die Wachstumsraten werden weiterhin nach oben korrigiert werden
müssen.
Wird die Wirtschaft die Politik heilen?
Der Grund für diesen Optimismus liegt darin,
dass endlich auch die Produktivität wächst. Nicht nur der technische
Fortschritt ist dafür verantwortlich, sondern die Tatsache, dass die
Unternehmen wieder Mut geschöpft haben und investieren. «In der zweiten Hälfte
von 2017 haben die Investitionen in den USA, der Eurozone und Japan – auf Jahresbasis gerechnet – um 8 bis 10
Prozent zugelegt, eine deutliche Verbesserung auf allen Gebieten», so Davies.
Ob Nordkorea oder Iran, bisher haben die politischen
Spannungen den neuen wirtschaftlichen Optimismus nicht dämpfen können. Er führt
jedoch zu einer kniffligen Frage, die Martin Wolf wie folgt formuliert: «Wird
schlechte Politik die Wirtschaft ruinieren – oder wird eine gesunde Wirtschaft
die Politik heilen?»
Sie sind jung, aufstrebend und gut gebildet
Video: srf
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