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Vier Mythen über Griechenland – oder warum Tsipras den Saustall ausmisten kann

Erklärbär

Vier Mythen über Griechenland – oder warum Tsipras den Saustall ausmisten kann

Kommen nach dem Sieg von Syriza und Alexis Tsipras die Kommunisten an die Macht? Wird Griechenland den Euro verlassen und Europa ins Chaos stürzen? Quatsch: Zeit, dass wir diese Ammenmärchen über Bord werfen.
26.01.2015, 12:5126.01.2015, 14:23
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Das alte Griechenland war bekanntlich die Wiege der Demokratie und die Quelle von menschlichen Mythen, die heute noch Gültigkeit haben. Das moderne Griechenland hingegen ist eine durch eine Vetternwirtschaft und Korruption stark beschäftigte Demokratie, und die aktuellen Mythen, die über Hellas erzählt werden, sind Hirngespinste unverbesserlicher Reaktionäre. Zeit also, Klarheit zu schaffen.

Syriza ist eine linksextreme Chaoten-Partei und ihr Parteichef ein unverantwortlicher Hitzkopf.

Syrzia ist eine Partei, die mehr oder weniger aus dem Nichts gekommen ist. Zweifellos ist sie links, aber keineswegs im Geiste der traditionellen kommunistischen Parteien. Sie hat ihre Wurzeln in der Anti-Globalisierungsbewegung und ist keine straff geführte Kaderpartei im Sinne von Lenin, Stalin und Mao.

«Wir waren eine Bewegung von Poeten, Sängern und Leuten, die alles andere als Machos waren.» 
Andreas Karitzis, enger Freund von Alexis Tsipras

Andreas Karitzis, der Parteichef Alexis Tsipras sehr lange und gut kennt und mit ihm schon in der Jugendorganisation Synapsimos zusammengearbeitet hat, erklärte in der «Financial Times» (FT): «Wir waren eine Bewegung von Poeten, Sängern und Leuten, die alles andere als Machos waren.» 

Herkules im Kampf mit dem Kentaur.
Herkules im Kampf mit dem Kentaur.bild.shutterstock

Alexis Tsipras hat ebenfalls kürzlich in der FT einen Kommentar veröffentlicht. Darin stellt er klar, dass er überhaupt kein Interesse an einer Revolution hat. «Eine Syriza-Regierung wird als Mitglied der Eurozone die griechischen Verpflichtungen einhalten, ein ausgeglichenes Staatsbudget anstreben und die quantitativen Ziele respektieren. Allerdings liegt es in der Natur der Demokratie, dass wir selbst entscheiden werden, auf welche Art und Weise wir diese Ziele erreichen wollen.» 

Griechenland hat einen aufgeblähten Sozialstaat, der seine Bürgerinnen und Bürger verwöhnt

Bis heute hält sich das Bild der lebensfrohen Griechen, die mit 50 in Rente gehen und sich auf Staatskosten ein lockeres Leben an der Sonne und am Meer leisten. Nichts könnte weiter sein von der Realität sein: Die nun bald fünf Jahre alte Krise hat die Griechen sehr hart getroffen. Unter dem Diktat der Troika, dem Verbund von EZB, IWF und EU, wurde ihnen ein brutales Sparprogramm auferlegt. 

«Unglückliche Mittelstands-Haushalte müssen grosse Abstriche am Einkommen machen und trotzdem immer mehr an Griechenlands mächtige und nicht reformierte Sektoren der Politik und der Verwaltung bezahlen.»
Wall Street Journal

Die nun abgewählte Regierung hat dabei Staatsangestellte im grossen Stil entlassen, Sozialleistungen bis über die Schmerzgrenze gekürzt und die Steuern dort angehoben, wo es vor allem den kleinen Leuten am meisten wehtut, bei der Mehrwertsteuer etwa. 

Die Vetterli-Wirtschaft hingegen wurde kaum angetastet. Selbst das erzkonservative «Wall Street Journal» kommt daher zu einer vernichtenden Bilanz der Regierung von Antonis Samaras. «Als Resultat (der verfehlten Politik) müssen die unglücklichen Mittelstands-Haushalte grosse Abstriche am Einkommen machen und trotzdem immer mehr an Griechenlands mächtige und nicht reformierte Sektoren der Politik und der Verwaltung bezahlen.» 

Die Griechen müssen jetzt Wort halten und endlich ihre Schulden zurückbezahlen 

Griechenland hat bisher Hilfsgelder in der Höhe von 317 Milliarden Euro erhalten. Rund 80 Prozent dieser Schulden werden heute von der Troika kontrolliert. Die Hilfsgelder wurden mit Auflagen verbunden – Reformen und dem Veräussern von staatlichem Eigentum –, aber auch mit Versprechen. Die Troika hat versprochen, dass die griechische Wirtschaft zwar wegen des Sparprogramms in eine Rezession schlittern würde, aber eine der milden Art, die sogleich von einem Aufschwung abgelöst werden würde. Die Troika hat auch vorausgesagt, dass die Arbeitslosigkeit im schlimmsten Fall auf 15 Prozent ansteigen würde.

Die Realität sieht heute ganz anders aus. Griechenland befindet sich in einer Depression der schlimmsten Art und leidet unter einer deflationären Verelendungsspirale. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 28 Prozent und junge Griechen haben kaum eine Chance, einen Job zu erhalten. Tsipras hat daher das Vorgehen der Troika einmal nicht ganz unzutreffend als «fiskalisches Waterboarding» bezeichnet. 

«Tatsache ist, dass die gleichen Leute, welche die Auswirkungen einer Austeritätspolitik auf die griechische Wirtschaft vollkommen falsch eingeschätzt haben, nun die Griechen belehren, sie hätten realistisch zu sein.»
Paul Krugman, Nobelpreisträger der Ökonomie

So gesehen tönt es ein bisschen hohl, wenn man die Griechen permanent ermahnt, ihre Versprechen einzuhalten. Oder wie es Paul Krugman, Nobelpreisträger und Kolumnist der «New York Times», auf seinem Blog ausdrückt: «Tatsache ist, dass die gleichen Leute, welche die Auswirkungen einer Austeritätspolitik auf die griechische Wirtschaft vollkommen falsch eingeschätzt haben, nun die Griechen belehren, sie hätten realistisch zu sein.» 

Griechenland will nun den Euro verlassen

Es stimmt, dass Tsipras vor Jahren noch mit einem möglichen Grexit gedroht hat. Inzwischen hat er diese Position längst verlassen und mehrmals öffentlich erklärt, dass weder er noch seine Partei an einen Ausstieg aus dem Euro denkt. Auch rund drei Viertel der Griechen wollen den Euro beibehalten. Das haben zahlreiche Umfragen immer wieder bestätigt. 

Ein Grexit ist daher auch nach dem Sieg der Syriza wenig wahrscheinlich: Die Griechen wollen nicht austreten und Brüssel hat keine Handhabe, sie dazu zu zwingen. Allerdings droht jetzt ein gefährlicher Machtpoker zwischen Athen und Brüssel, der im schlimmsten Fall zu einem Grexit führen könnte, den eigentlich niemand will. Die Folge wäre eine Verschärfung der Eurokrise mit ungewissem Ausgang. 

«Nur wir können garantieren, dass wir mit der Vergangenheit brechen und die Klientelwirtschaft der bisherigen Elite abschaffen werden»
Alexis Tsipras

Wenn Brüssel und vor allem Berlin ruhig Blut bewahren, dann ist der Sieg der Syriza kein Unglück, sondern eine grosse Chance für Europa. Die neue Partei ist nicht in der verhängnisvollen Klientelgesellschaft der alten Parteien verwickelt und kann deshalb im Sinne von Herkules den Saustall ausmisten. 

Tsipras hat auch klar erklärt, dass dies sein Ziel ist. «Nur wir können garantieren, dass wir mit der Vergangenheit brechen und die Klientelwirtschaft der bisherigen Elite abschaffen werden», führt Tsipras in der FT aus. «Wir waren noch nie Teil der Regierung; wir sind eine neue Kraft, die niemandem in der Vergangenheit verpflichtet ist. Wir werden die Reformen durchführen, die Griechenland tatsächlich braucht.» 

Nach dem schmächlichen Versagen der bisherigen konservativen Regierung und der Troika haben Tsipras und seine Syriza die Chance verdient, dieses Versprechen umzusetzen.  

Griechenland

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Gegen die Krise: In Athen versuchen Händler, ihre Ware billig zu verkaufen. Die Regierung hat in Aussicht gestellt, die Hypotheken bis zu 15 Jahre lang tief zu halten, um die Wirtschaft des Landes wieder in Schwung zu bringen.
quelle: ap/ap / thanassis stavrakis
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