Die weiter operierenden Flüge zwischen dem Corona-Hotspot Brasilien und der Schweiz sorgten Ende März für erhitzte Gemüter. Während beispielsweise Frankreich sämtliche Flugverbindungen mit Brasilien bis auf Weiteres aussetzte, sieht die Schweiz bisher keinen Grund einzugreifen. Auch Swiss-Sprecherin Meike Fuhlrott beschwichtigte gegenüber watson: Die Ansteckungsgefahr an Bord sei sehr gering. Doch der Flug UK6395 dürfte jetzt zu reden geben.
Es ist der 4. April, als sich der Airbus A321neo in Delhi zum Abflug bereit macht. 188 Passagiere finden Platz in der Maschine der indischen Airline Vistara. Ziel der Reise: Hongkong. Alle anwesenden Passagiere mussten sich innerhalb von 72 Stunden vor Abflug testen lassen – nur diejenigen mit einem negativen Resultat dürfen die Reise antreten.
Pünktlich um 20:27 Ortszeit hebt die Maschine in Indien ab und landet planmässig knapp fünf Stunden später in Hongkong. Direkt nach der Landung müssen sich alle Einreisenden nochmals mittels Speichelprobe testen lassen – die Einreise darf erst nach vorliegendem Resultat fortgesetzt werden. Danach führt die Reise erst mal in ein staatlich anerkanntes Quarantäne-Hotel, wo die Passagiere die nächsten 21 Tage verbringen müssen.
Bei der Speichelprobe direkt nach der Landung werden acht Passagiere des Vistara-Fluges positiv auf das Corona-Virus getestet. Dies, obwohl diese vor Abflug einen negativen Corona-Test vorweisen konnten, der nicht älter als 72 Stunden war. Dies ist leider gar nicht so unüblich: Alleine im März landeten in Kanada über 1000 infizierte Passagiere, die erst beim Testen nach der Landung entdeckt wurden, berichtet Reuters. Interessant: Ein Drittel dieser Passagiere war aus Delhi angereist. Die indische Zeitung «Tribune India» schreibt gar:
Auch am Sonntag landete in Hongkong eine Maschine mit Passagieren aus Mumbai – drei davon positiv.
Im Fall der UK6395 geht es aber noch weiter: Sowohl die positiv als auch die negativ getesteten Passagiere begeben sich in die für sie vorgesehenen Quarantäne-Hotels. Dort werden innerhalb der nächsten Tage weitere 17 Personen positiv auf das Coronavirus getestet, womit die Gesamtzahl infizierter Passagiere auf 25 wächst. Doch damit nicht genug: Am 12. Tag in Quarantäne wird nochmals getestet, was nochmals in satten 22 positiven Fällen resultiert. Somit haben sich insgesamt 47 Passagiere des Fluges UK6395 von Delhi nach Hongkong mit dem Coronavirus infiziert. Geht man von einem voll besetzten Flugzeug aus (die Passagierzahlen sind nicht bekannt), würde dies 25 Prozent aller Passagiere entsprechen.
47 passengers on Vistara flight UK6395 from New Delhi to Hong Kong on April 4th have now tested positive for COVID-19. pic.twitter.com/Mb4wCEPMPl
— 1B002Aaron 💉 💉 🇭🇰 (@tripperhead) April 18, 2021
Gemäss einer Studie des Internationalen Luftverkehrsverband (IATA) ist das Risiko einer Corona-Ansteckung während eines Fluges extrem gering. Wie der Verband im November 2020 berichtet, habe man seit Beginn 2020 nur 44 bestätigte Fälle registriert, die auf einen Flug zurückgeführt werden konnten. Während dieser Zeit seien insgesamt 1.2 Milliarden Menschen geflogen. Ausgerechnet bedeutet dies, dass sich gerade mal einer von 27 Millionen Passagieren mit dem Coronavirus angesteckt hat.
Auch die Swiss betonte immer wieder, dass eine Ansteckung im Flugzeug unwahrscheinlich sei. Dies sei auf die Schutzkonzepte, die hochwertigen Luftfilter und die vertikal zirkulierende Luft zurückzuführen.
Die überraschend hohen Fallzahlen auf Flug UK6935 lassen sich nicht so einfach erklären. Doch die Tatsache, dass 22 der 47 Fälle erst nach 12 Tagen Quarantäne entdeckt wurden, legen nahe, dass die Infektionen erst kürzlich stattgefunden hatten. Wenn man von korrekten Tests vor dem Abflug ausgeht, entstünden drei mögliche Szenarien:
Neue Szenarien ergeben sich, wenn man davon ausgeht, dass mit den Tests vor dem Abflug irgendetwas schief gelaufen ist:
Dies nachzuweisen dürfte allerdings schwierig sein. Am Montag kursierten aber Neuigkeiten, wonach die Airline Vistara die PCR-Tests vor Abflug nicht richtig prüfe.
Die Hongkonger Regierung hatte die Pandemie zuletzt gut unter Kontrolle und verzeichnete seit Mitte Februar durchschnittlich nur noch zwischen 10 und 20 neue Fälle pro Tag. Entsprechend strenge Massnahmen führen sie jetzt ein, um die neuen Ausbrüche sofort einzudämmen, wie sie am Sonntag bekannt gaben:
Zugleich wurde Indien von der Gruppe B (risikoreiche Orte) in die Gruppe A (extrem risikoreiche Orte) verschoben. Dies bedeutet, dass sich Personen, die sich in einem Land der Gruppe A aufgehalten haben, nicht nach Hongkong einreisen dürfen. Auch dieser Ausschluss wird ab dem 20. April während 14 Tagen gültig sein.
Auch das Testen während der Quarantäne bleibt wichtig. Denn wie die Ministerin für Ernährung und Gesundheit Sopha Chan Siu-chee gegenüber der South China Morning Post sagte, würden 4 Prozent aller infizierten Einreisenden erst am 19. Tag der Quarantäne entdeckt.
Der Fall der UK6395 zeigt auf, dass beim Fliegen nach wie vor Vorsicht geboten werden muss. Denn die Wahrscheinlichkeit, sich auf der Reise anzustecken, liegt irgendwo zwischen 1 zu 27 Millionen und 47 zu 188.
Übrigens: Indien-Reisende können in der Schweiz derzeit ohne Quarantänepflicht einreisen – sie müssen zwar vor dem Abflug in Indien ein negatives Testergebnis vorweisen können, müssen sich bei der Ankunft in der Schweiz allerdings nicht nochmals testen lassen, wie das in Hongkong gehandhabt wird. Indien befindet sich trotz explodierender Fallzahlen und der Ausbreitung des Mutanten B.1.617 nicht auf der Risikoliste des BAG.
Das darf doch nicht wahr sein, ich dachte zuerst, ich lese nicht richtig! Aber tatsächlich, Indien steht nicht auf der Risikoliste des BAG.
Viele sagen, das Ansteckungsrisiko ist in Flugzeugen klein. Aber alle Passagiere müssen an den Flughafen anreisen und stehen zirkulieren dort dicht an dicht. Schlussendlich kumulieren sich Dutzende kleine Risiken zu einem grossen.