Der Chicago Board Options Exchange Volatility Index, kurz Vix-Index genannt, gibt Auskunft über die Volatilität der Finanzmärkte. Er zeigt an, wie nervös die Investoren sind. Derzeit dümpelt dieser Index vor sich hin.
Eigentlich ist dies paradox: Ausgerechnet in politisch äusserst turbulenten Zeiten – Trump, Brexit, etc. – geben sich die Finanzmärkte betont gelassen. Im Polit-Sturm ist der Finanzhimmel blau und wolkenlos. Das könnte sich am Wochenende ändern.
Am Sonntag bestimmen die Franzosen, welche beiden Kandidaten an der Endrunde für die Präsidentschaft teilnehmen dürfen. Das Rennen unter den vier Favoriten ist völlig offen. Es sind dies Marine Le Pen, Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon und François Fillon.
Ihre Umfragewerte liegen alle bei rund 20 Prozent. 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler sind jedoch noch unentschlossen. Wie beim Toyota-Werbespruch gilt deshalb: Nichts ist unmöglich.
Inhaltlich liegen die Kandidaten weit auseinander: Marine Le Pen ist die Rechtspopulistin, die einen Frexit anstrebt. Ein Wahlsieg Le Pens wäre das Ende des Euro und wahrscheinlich sogar das Ende der EU. Sie spricht Globalisierungsverlierer, Islamhasser und Rassisten an.
Emmanuel Macron ist der Anti-Establishment-Kandidat des Establishments. Der ehemalige Banker war kurze Zeit Finanzminister unter François Hollande. Jetzt hat er sich auf den dritten Weg gemacht und eine eigene Partei namens «En Marche!» auf die Beine gestellt, mit der er vor allem bei der liberalen Elite in den Städten punktet. Macron ist ein Euro-Turbo, das Gegenstück zu Le Pen gewissermassen.
François Fillon ist der Kandidat der konservativen Rechten. Er ist sehr katholisch, lehnt die Homo-Ehe ab, will Frankreich à la Margaret Thatcher wirtschaftlich auf Vordermann trimmen und bewundert Putin.
Jean-Luc Mélenchon schliesslich ist ein wilder Linker, der von den traditionellen Sozialisten enttäuscht ist. Er will die 32-Stunden-Woche und eine Lohnobergrenze für Manager einführen und die wirtschaftliche Dominanz Deutschlands in der EU brechen. Er mag weder die NATO noch die USA. Mélenchon ist, um es salopp auszudrücken, ein Bernie Sanders auf Stelzen.
Zunächst schien alles klar zu sein. Nachdem Fillon die interne Ausmarchung der Konservativen für sich entschieden hatte, galt er bereits als gewählt. Marine Le Pen würde es zwar ins Finale schaffen, hiess es, doch dann wie einst ihr Vater in der zweiten Runde scheitern.
Dann enthüllte das Satireblatt «Canard Enchâiné», dass Fillon Frau und Kinder auf Staatskosten beschäftigt und Uhren und Kleider von Sponsoren angenommen hatte. Seine Umfragewerte rasselten in den Keller. Er schien erledigt.
Parallel dazu begann der Aufstieg von Macron. Anfänglich wurde die französische Antwort auf den kanadischen Premierminister Justin Trudeau belächelt, doch dann überholte er Fillon in den Umfragewerten deutlich. Bis vor zwei Wochen galt daher die neue Devise: Le Pen und Macron werden es unter sich ausmachen – und Macron wird gewinnen.
Jetzt ist die Ausgangslage erneut verändert. Mélenchon – anfänglich als linker Spinner abgetan – entpuppt sich plötzlich als valable Option. Er ist ein brillanter Redner und begeistert all diejenigen, welche von der linksliberalen Elite die Schnauze voll haben, aber auch die faschistoide Le Pen ablehnen. Gleichzeitig scheint der bereits abgeschriebene Fillon wieder Chancen zu haben. Die jüngsten Umfragen zeigen, dass er wieder zu den anderen aufgeschlossen hat.
Finanzmarkt-technisch gesehen präsentiert sich damit die Lage wie folgt: Idealerweise kommt es so, wie man es anfänglich gehofft hatte: Le Pen tritt gegen Fillon an, und Fillon wird gewinnen. Der Champagner kann kalt gestellt werden.
Leben könnte man auch mit der Paarung Le Pen/Macron. Auch in diesem Fall wäre es sehr wahrscheinlich, dass die Rechtspopulistin in der zweiten Runde gestoppt werden könnte.
Dramatisch, aber durchaus im Bereich des Möglichen wäre es, wenn es schliesslich zu einem Rennen zwischen Le Pen und Mélenchon käme. Dann würde der Vix-Index auf Rekordhöhe schnellen – und auf den Finanzmärkten der perfekte Sturm ausbrechen.