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Und noch eine SVP-Gemeinderätin flunkert hohe Sozialkosten herbei

Freienstein-Teufen im Zürcher Bezirk Bülach. 
Freienstein-Teufen im Zürcher Bezirk Bülach. wikipedia
«Sozial-Irrsinn» reloaded

Und noch eine SVP-Gemeinderätin flunkert hohe Sozialkosten herbei

Nach Hagenbuch beschwert sich auch die Zürcher Gemeinde Freienstein-Teufen über zu hohe vom Kanton verordnete Kindesschutz-Kosten – und macht in den Medien fragwürdige Angaben.
13.11.2014, 08:4114.11.2014, 10:51
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Die Zürcher Gemeinden Fischenthal, Gossau und Hagenbuch haben es vorgemacht. Nun steigt mit Freienstein-Teufen eine weitere Zürcher Kleingemeinde in den «Sozial-Irrsinn»-Protest gegen die kantonalen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) ein. 

Gegenüber dem Bülacher Wochenspiegel erklärte die für den Jugendschutz zuständige Gemeinderätin Saskia Meyer (SVP), dass die KESB eine Heimplatzierung angeordnet habe, die jährlich 273'000 Franken koste und somit 4 Prozent des gesamten Steueraufkommens von Freienstein-Teufen ausmache. 

Gemeinderätin Saskia Meyer, in Freienstein-Teufen zuständig für das Dossier Kindes- und Erwachsenenschutz.
Gemeinderätin Saskia Meyer, in Freienstein-Teufen zuständig für das Dossier Kindes- und Erwachsenenschutz.

Falsche Hochrechnung als Tatsachen verkauft

Wie schon die SVP-Gemeindepräsidentin von Hagenbuch, Therese Schläpfer, liess auch Meyer durchblicken, dass man die Steuern allenfalls erhöhen müsse. Das macht die Story knackiger. 

Allein: Sie stimmt nicht. Der «Wochenspiegel» schreibt, die Gemeinde habe eine «knappe und nicht anfechtbare» Verfügung erhalten, wonach «273'000 Franken sofort für die Unterbringung eines Jugendlichen in einer geschlossenen Wohngruppe zu bezahlen» seien. 

Bei den 273'000 Franken handelt es sich jedoch nicht um einen Betrag, den die Gemeinde per sofort überweisen muss. Vielmehr hat Meyer kurzerhand die 750 Franken pro Tag, die die Wohngruppe für den Jugendlichen derzeit kostet, auf ein ganzes Jahr hochgerechnet, wie sie gegenüber watson auf Anfrage einräumt. 

«Keine definitive Massnahme»

Die kolportierte Summe entspricht aber keineswegs den Tatsachen, denn die Fremdplatzierung ist per superprovisorischer Verfügung, also unter grossem Handlungsdruck, angeordnet worden und muss nicht Bestand haben, wie eine Nachfrage bei der KESB ergibt. Zwar gibt Meyer an, dass die Massnahme diese Woche für definitiv erklärt worden sei, aber das heisst nicht, dass sie ein ganzes Jahr lang Bestand hat. «Das ist keine definitive Massnahme, sondern eine, die nur vorübergehend und bei grosser Dringlichkeit ergriffen wird», sagt Ruedi Winet, Präsident der Zürcher KESB. Und: «Es kann davon ausgegangen werden, dass spätestens nach drei Monaten eine deutlich günstigere Betreuungsvariante gefunden ist.»

KESB-Präsident Ruedi Winet in einer Aufnahme von 2002. 
KESB-Präsident Ruedi Winet in einer Aufnahme von 2002. Bild: KEYSTONE

Der «Wochenspiegel» hat Meyers Angaben abgedruckt, obwohl er über den Sachverhalt informiert war und rechtfertigt die Publikation. «Wie lange die Unterbringung dauert, weiss die Gemeinde nicht, deshalb spricht sie von jährlichen Kosten», schreibt der «Wochenspiegel» auf Anfrage. 

Politische Mühle gegen «Sozial-Irrsinn» läuft an

Nach der Medien- und Wahlkampfkampagne der SVP unter dem Stichwort «Sozial-Irrsinn» sind nun auch die politischen Mühlen angelaufen. Gleich drei Vorstösse reichten die Zürcher SVP-Kantonsräte an der Sitzung vom Montag zu diesem Thema ein. 

Unter dem Titel «Begrenzung der Sozialhilfe an Grossfamilien» verlangen sie, dass Familien ab dem vierten Kind keine Zulagen mehr erhalten sollen. Als Begründung geben sie an, «dass Grossfamilien aus bildungsfernen Ländern, mit 6 oder mehr Kindern, ein viel grösseres Einkommen aus der Sozialhilfe generieren, als ein guter Schweizer Facharbeiter» – eine Forderung, die sich direkt auf die eritreische Flüchtlingsfamilie in Hagenbuch bezieht, die sieben Kinder hat. 

Weiter soll der Kanton Sozialhilfebezüger nicht mehr für Integrationsbemühungen belohnen, sondern für fehlende Kooperation bestrafen und bei Renitenz Leistungskürzungen von bis zu 35 Prozent möglich sein. 

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39 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lowend
13.11.2014 12:11registriert Februar 2014
Das neueste Spiel aus der SVP-Grausamkeitenreihe heisst "Schlagt die Armen!" und kommt aus der gleichen Serie wie die anderen SVP-Erfolgsgames: "Verprügle Asylanten", "Drecks Scheininvalider" oder "Denunziere deine Lehrer" und wir sind uns sicher, dass auch dieses Spiel bei den minderbemittelten Wutbürger zu einem Riesenerfolg wird und es der Parteileitung erlaubt, sich um die wirklich wichtige SVP-Politik für die Multimilliardäre und reichen Steueroptimierer zu kümmern, ohne dass es dem strohdummen SVP-Wahlvieh auffällt, dass die Hetze nun sogar gegen die Interessen fast aller Schweizer geht!
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Kastigator
13.11.2014 09:47registriert April 2014
Tragisch dabei ist doch vor allem, dass niemand etwas anderes mehr erwartet von SVPlerInnen. Blocher hat ja bei der Übernahme der BaZ (die er über ein Jahr lang ableugnete) öffentlich gesagt, dass Politiker lügen dürften. Und seine Jünger haben laut Beifall geklatscht.
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saukaibli
13.11.2014 11:18registriert Februar 2014
Das ist doch die typische Masche der SVP, egal um welches Thema es geht. Man bringt ein Thema so oft in den Medien, dass viele Leute nacher glauben, es sei ein riesiges Problem da. So wurde aus vier Minaretten plötzlich ein wahnsinniges Problem, so wurden Ausländer zum Problem, so wurden Steuern zum Problem und jetzt wird die Sozialhilfe zum Problem hochstilisiert. Und ja, bei all diesen Themen gibt es Probleme, die angegangen werden sollten, aber die SVP macht sie schlimmer als nötig und bringt die Stimmbürger dazu, viel zu krasse Initiativen anzunehmen, die weit übers Ziel hinausschiessen.
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So will sie den neuen Kollaps einer Grossbank abwenden: Karin Keller-Sutter im Interview
Bundesrätin Keller-Sutter wird vorgehalten, dass sie bei der Regulierung grosser Banken allzu zahm ans Werk gehe. Nun kontert die Finanzministerin: Die UBS müsse künftig viel mehr Geld für ihre Auslandstöchter zurücklegen. Keller-Sutter erklärt ausserdem, wie sie die Defizite aus dem Bundeshaushalt wegzubringen plant.

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KARIN KELLER-SUTTER:
Nein, der Ausnahmezustand ist zum Glück vorbei. Der Finanzplatz hatte mich von März 2023 bis August 2023, als die UBS die Garantien des Bundes zurückgab, fast Tag und Nacht in Beschlag genommen.

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