Zu Beginn dieses Jahrhunderts klärte der damalige Vize-Präsident Dick Cheney seinen Finanzminister Paul O’Neill auf: «Ronald Reagan hat uns gelehrt, dass Schulden keine Rolle mehr spielen.» O’Neill war ein Konservativer alter Schule, der fest an die Tugend eines ausgeglichenen Staatsbudgets glaubte. Er verliess die Regierung von George W. Bush nach einem kurzen Gastspiel.
In der Regierung von Donald Trump hätte O’Neill schlaflose Nächte. Obwohl Wirtschaft und Finanzmärkte boomen, gibt der Präsident Geld aus wie ein betrunkener Matrose. Gemäss den jüngsten Prognosen des Congressional Budget Office wird das Staatsdefizit zwischen 2020 und 2029 pro Jahr 4,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen.
Zum Vergleich: In den vergangenen 50 Jahren lag die jährliche Neuverschuldung bei durchschnittlich 2,9 Prozent des BIPs. Die gesamte Staatsschuld der USA wird dann höher sein als nach dem Zweiten Weltkrieg.
Im Wahlkampf hatte Trump noch versprochen, das Staatsdefizit innerhalb von acht Jahren zu beseitigen – das wahrscheinlich unglaubwürdigste Versprechen des Lügen-Präsidenten überhaupt. Mehr noch: Er hat mit Mick Mulvaney – er ist heute Stabschef im Weissen Haus – einen ausgesprochenen Hardliner als Budget-Direktor eingesetzt. Im Abgeordnetenhaus war ein gewisser Paul Ryan Mehrheitsführer, ein Mann, der gebetsmühlenartig vor hohen Staatsschulden gewarnt hatte.
«Was kümmert uns unser Geschwätz von gestern?», lautet das Motto der Konservativen heute. Exemplarisch zeigt dies Stephen Moore. Ihn will Trump in den Aufsichtsrat der US-Notenbank hieven. Moore hat jahrelang für eine harte Geldpolitik plädiert und vor den Gefahren einer Inflation gewarnt. Heute will er die Geldpresse der Notenbank anwerfen, um zu verhindern, dass die US-Wirtschaft ins Trudeln und der Präsident in Nöte gerät.
Auch Progressive haben keine Angst vor Staatsschulden. Ob Krankenversicherung für alle oder Green New Deal, Bernie Sanders, Alexandria Ocasio-Cortez & Co. wollen diese Projekte mittels Staatsschulden stemmen. Sie verweisen dabei auf das Beispiel von Japan, dessen Staatsschulden bald das Dreifache des BIP betragen werden.
Anders als die Konservativen haben die Progressiven eine ökonomische Theorie, die Modern Monetary Theory (MMT). Sehr verkürzt sagt diese Theorie, dass Staatsschulden so lange kein Problem sind, als sie in der eigenen Währung emittiert werden. Der zweite zentrale Punkt der MMT lautet: Nicht die Notenbank soll mit der Geldpolitik die Volkswirtschaft steuern, sondern der Staat mit der Fiskalpolitik (Steuern und Investitionen der öffentlichen Hand).
Vor allem der zweite Punkt ist mittlerweile auch im Mainstream angekommen. «Eine bedeutende Strömung des akademischen Denkens argumentiert, dass Geldpolitik weitgehend ihre Wirkung verliert, wenn die Leitzinsen nahe beim Nullpunkt liegen», stellt die «Financial Times» fest. «Stattdessen muss die Fiskalpolitik die Nachfrage regeln.»
Typisch für den Kurswechsel in der Zunft der Ökonomen ist Mohamed El-Erian. Er ist ein gefragter Interviewpartner, hat einst das Vermögen der Harvard University verwaltet und ist heute Berater der Allianz-Versicherung. Vor ein paar Jahren hat El-Erian in seinem Buch «The Only Game in Town» die These vertreten, wonach einzig die Zentralbanken noch in der Lage sind, die Wirtschaft über Wasser zu halten.
Heute zeigt er sich von der Politik des Quantitativen Easings enttäuscht. Diese Politik habe zu einer Vermögensinflation und damit dazu geführt, dass die Reichen noch reicher geworden sind, so El-Erian. «Die Erkenntnis wächst, dass die Notenbanken nicht die einzigen Akteure sein können, wenn es darum geht, Wachstum für alle und finanzielle Stabilität zu generieren», führt er in der «Financial Times» aus.
Zu Recht weisen die Vertreter der neuen Schuldenwirtschaft darauf hin, dass die geldpolitischen Hardliner sich geirrt haben. Die Hyperinflation, vor der sie oft hysterisch gewarnt haben, ist nie eingetreten. Im Gegenteil, nach wie vor kämpfen die meisten Notenbanken, um ihr erklärtes Inflationsziel von zwei Prozent zu erreichen.
Den Anhängern der Thesen von John Maynard Keynes wird vorgeworfen, sie würden staatliche Schuldenwirtschaft begrüssen. Auch dieses Vorurteil muss man entsorgen. Nobelpreisträger Paul Krugman und der ehemalige Finanzminister Lawrence Summers, zwei prominente Neo-Keynesianer, sind die lautesten Kritiker der MMT.
Kann mir doch niemand erzählen, dass Staatsschulden keine Rolle spielen.
Fragt mal besser die Griechen...
Kommt einfach darauf an, ob man die Schuldzinsen zahlen kann oder nicht. Oder ob mehr Leute ihr Geld wieder haben wollen als jene die es geben wollen.
Würde man die Inflation bei Kapitalwerten (zB. Aktien) oder Investitionsgütern (zB. Immobilien) messen, dann würde diese Aussage nicht zutreffen. Insofern ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Inflation auch auf Konsumgüter durchdrückt.
"Heute zeigt sich [El-Erian] von der Politik des Quantitativen Easings enttäuscht."
Die Politik des Quantitative Easing ist vorbei. Inzwischen wird Qualitative Easing praktiziert. Notenbanken übernehmen unternehmerische Risiken, so kauft zB. die SNB Unmengen von Aktien.