Die Wirtschaft befindet sich historisch gesehen in einem rekordlangen Aufschwung, die Börsen boomen, die Arbeitslosigkeit sinkt. Warum aber nehmen Depressionen, Burnouts und Fettleibigkeit zu? «Warum sind wir nicht zufrieden?», fragt Gunter Dueck in seinem Buch «Heute schon einen Prozess optimiert?» «Weil es im Körper zuckt. Wir alle kennen die Studienergebnisse, nach denen Ureinwohner armer Völker viel glücklicher sind als wir.»
Die Ursache des Unbehagens des modernen Menschen mit seiner Arbeitskultur ortet der ehemalige IBM-Manager Dueck in der Entwicklung der Wirtschaft. Alles wird auf Effizienz getrimmt, jeder Prozess optimiert. Das Ergebnis ist ernüchternd: «Nicht jeder Einzelne ist verrückt, aber das System macht alle verrückt», so Dueck.
Die Angst, dereinst seinen Job an einen Roboter zu verlieren, ist weit verbreitet. Doch bevor es soweit ist, werden die Mitarbeiter selbst zu menschlichen Robotern umfunktioniert. Die Reduktion auf einzelne, banale Arbeitsabläufe wie sie Charlie Chaplin im Film «Modern Times» für die Fabrik parodiert hat, erobert nun auch die Dienstleistungsgesellschaft.
«Die Prozesse, die Maschinen und Automaten verschmelzen mit uns», stellt Dueck fest. «Und wehe dem, der als Mensch in dem Prozess nicht wie ein Automat funktioniert. In solchen Prozessen ist alles unpersönlich, maschinell eben. Der Prozess herrscht über uns.»
Optimierte und standardisierte Arbeitsprozesse machen es möglich, dass Mitarbeiter beliebig eingesetzt und ausgetauscht werden können. Das gilt längst nicht mehr nur für ungelernte Hilfskräfte. Die McDonaldisierung der Arbeitswelt macht uns alle zu McJobbern.
Als Beispiel führt Dueck die Hochschulen an. «Es wäre möglich, dass jeder Lehrer nur ein einziges Fach gibt und vielleicht nur eine einzige Jahrgangsstufe, so wie ein Lehrbeauftragter an der Uni immer nur ‹Statistik für XY-Laien“ gibt. Dann liesse sich das Schulsystem ohne Probleme besser managen. Die Lehrer brauchten dann dann eigentlich kein grossartiges Studium mehr und könnten sehr viel niedriger bezahlt werden.»
Uber hat es vorgemacht: In der Plattform-Ökonomie erlebt die Prozess-Optimierung ihren Höhepunkt. Das Unternehmen ist nicht mehr für die Mitarbeiter verantwortlich, sie werden zu vermeintlich selbstständigen Unternehmern, denen man weder Urlaub gewähren noch Krankentage ersetzen muss und die man nach Belieben einsetzen kann.
Das Uber-Prinzip wird sich weiter ausbreiten. «Alle inhaltlich gut standardisierbaren Arbeiten und viele von der Abrechnung her leicht standardisierbaren Aufgaben werden zunehmend von Plattformen und Centern angeboten», so Dueck. «Spezielle hohe Qualität gibt es immer weniger, denn sie muss sehr teuer und individuell bezahlt werden.»
Eine umfassende Ausbildung wird immer weniger erwünscht. «Der gewünschte Mensch soll ein Lean Human sein, der ins Raster passt und ein Standard-Skillset der jeweiligen Jetztzeit anbieten kann, so Dueck. «Das ist effizient, denn dann kann sich ein Lean Human wie auch ein McJobber gut einplanen lassen.»
Die Manager, welche diese Lean Humans überwachen, sind ebenfalls standardisierbar geworden. Ihre Kultur ist eintönig geworden und wird von zwei Typen beherrscht: den Controllern und den Pacemakern.
Die Controller sind die introvertierte Manager-Version. Sie sind zuverlässig, sparsam, machen kaum Fehler und planen langfristig. Man findet sie vor allem in der Finanzabteilung und beim Einkauf.
Die Pacemaker sind extrovertiert. Sie arbeiten wie blöd, sind total auf Leistung getrimmt, wollen immer gewinnen, sind ungeduldig und fordernd. Sie sind Bereichsleiter und wenn alles klappt, werden sie dereinst CEO.
Die Kombination von Controllern und Pacemakern hat sich mehrheitlich durchgesetzt. Sie «erzeugt damit eine uniforme stereotype Kultur, die wie geschaffen ist für das Durchsetzen von Sparplänen und Prozessoptimierungen», stellt Dueck fest.
Auf der Strecke bleibt dabei die Vernunft. Obwohl unzählige Studien beweisen, dass Lob die Mitarbeiter weit wirkungsvoller motiviert als Tadel, setzt sich die Angst durch. Mitarbeiter werden an die kurze Leine genommen und mit zu hoch gesteckten Zielen eingedeckt.
Das drückt auf das Betriebsklima. «Manager können schwer mitansehen, wenn ihre Mitarbeiter gerade nichts zu tun haben scheinen, wenn sie die Pause überziehen oder auf dem Flur lachen», so Dueck.
Wenn Mitarbeiter zu Robotern und Manager zu Sklaventreibern werden, dann leidet die Qualität. Die sogenannte Akerlof-Todesspirale beginnt zu drehen. Was ist damit gemeint?
Der Ökonom George Akerlof wurde mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, weil er den Beweis erbracht hat, dass in asymmetrischen Märkten sich nicht die Besten, sondern die Schlechtesten durchsetzen. Asymmetrisch ist ein Markt dann, wenn einzelne Akteure mehr wissen als die anderen.
Um seine These zu beweisen, hat Akerlof den Markt für Occasionsauto beigezogen. Anders als die Kunden weiss der Händler, wie viel ein Auto noch wert ist. Unredliche Händler nutzen dieses Wissen aus und drängen die ehrlichen Makler aus dem Markt. Auf diese Weise wird das Gesetz der Marktwirtschaft auf den Kopf gestellt, der Betrug wird belohnt.
Das Duo Pacemaker/Controller hat die gleiche Wirkung.«Das Management setzt die Spirale auch bei uns Menschen in Gang», so Dueck. «Man spart am Mitarbeiter, an seiner Ausbildung und nimmt ihm sein Privatleben. Warum sollen Unternehmen noch teure Leute mit Doktor und Diplom/Master einstellen? (…) Nicht nur die Pferde und Gebrauchtwagen gehen in die Abwärtsspirale, auch wir.»
Ausgepowert durch die Pacemaker und blockiert von den Controllern verlieren die Unternehmen ihre Innovationskraft. «Die heutigen Konzerne scheitern, weil sie Innovationen nicht mehr neu durch die Organisationsstufe bringen, sondern sofort in die festen Prozesse ihrer schon lange bestehenden Organisationen hineinpressen wollen», konstatiert Dueck.
Zurück bleibt ein Paradox: Ausgerechnet in einer Zeit, in der die Digitalisierung es ermöglichen würde, den Menschen von eintöniger Arbeit zu entlasten und die Arbeitswelt kreativer zu gestalten, werden diese Optionen durch eine unsinnige Hatz nach immer mehr Effizienz vermasselt.
Das einzige wovon die Arbeitnehmer profitieren, wenn die Wirtschaft boomt, ist dass sie ihre Arbeitsstelle behalten dürfen. All die Profite fliessen in die Kassen der Arbeitgeber.
Ich sag da nur; Fachkräftemangel... ist hausgemacht.