Das am meisten zitierte Buch nach der Finanzkrise trägt den Titel «This time it is different». Darin warnen die beiden Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff eindringlich vor wachsenden Staatsschulden. Später haben die beiden in einem Essay sogar eine konkrete Zahl für eine Schuldenobergrenze genannt: Übersteigen die Schulden eines Staates die Schwelle von 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP), dann drohen blutleeres Wirtschaftswachstum und Staatsbankrott.
Die ominöse 90-Prozent-Grenze ist vielerorts nicht nur erreicht, sondern deutlich überschritten. In den USA beispielsweise betragen die Staatsschulden inzwischen mehr als 100 Prozent des BIP, in Italien sind es gar mehr als rund 130 Prozent. Von einer Verelendungsspirale ist jedoch nichts zu spüren. Im Gegenteil: Das amerikanische BIP legt derzeit um 3,6 Prozent zu, in der Eurozone wächst die Wirtschaft mit 3,5 Prozent.
Die Ökonomen haben derweil die Furcht vor Staatsschulden abgelegt. So erklärten Marc Brütsch, Chefökonom der Swiss Life, und sein Kollege Daniel Rempfler an einem Medienfrühstück kürzlich, dass unter den gegebenen Umständen die hohen Schulden in Europa finanzierbar seien.
Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times» und der wohl einflussreichste Wirtschaftsjournalist der Welt, kommt in seiner aktuellen Kolumne zum gleichen Schluss: «Zum Glück bleibt die Inflation gedämpft und die realen und die nominalen Zinsen tief. Deshalb machen diese Rahmenbedingungen die Schulden ertragbar und höhere Preise für Vermögenswerte vernünftig», schreibt er.
Wie ist dieser erstaunliche Meinungsumschwung zu erklären? Ökonomisch gesehen war 2017 ein Superjahr. Alles hat gestimmt: Die reale und die Finanzwirtschaft boomten, die Inflation blieb tief und die Angst vor Deflation erwies sich als unbegründet. An den Finanzmärkten hat man sich derweil dumm und dämlich verdient. Es handelt sich um mehr als ein Strohfeuer. Der Aufschwung ist weltweit synchron, Industrie- und Schwellenländer profitieren gleichermassen davon. «Anders als andere zyklische Booms ist der Aufschwung breit abgestützt», stellt Starökonom Gavyn Davies in der «Financial Times» fest.
Ermöglicht haben dieses Wirtschaftswunder die Zentralbanken. In den USA hat die Notenbank mit dem Quantitativen Easing für billiges Geld gesorgt und damit die Basis für den Aufschwung gelegt. In Europa hat Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, zuerst geschworen, der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, und zwar mit allen Mitteln («whatever it takes»). Danach hat er sein Versprechen auch eingehalten. Er hat ebenfalls ein umfangreiches Quantitative-Easing-Programm aufgelegt.
Das Handeln der Zentralbanken trägt nun Früchte. Das Gespenst einer «säkularen Stagnation» – darunter versteht man stagnierende Wirtschaft trotz tiefer Zinsen – hat sich verflüchtigt. Gavyn Davies sieht gar bereits ein neues Zeitalter einer «säkularen Expansion» anbrechen. Will heissen: Die Dynamik der Wirtschaft ist bisher gar unterschätzt worden, und die Wachstumsraten werden weiterhin nach oben korrigiert werden müssen.
Der Grund für diesen Optimismus liegt darin, dass endlich auch die Produktivität wächst. Nicht nur der technische Fortschritt ist dafür verantwortlich, sondern die Tatsache, dass die Unternehmen wieder Mut geschöpft haben und investieren. «In der zweiten Hälfte von 2017 haben die Investitionen in den USA, der Eurozone und Japan – auf Jahresbasis gerechnet – um 8 bis 10 Prozent zugelegt, eine deutliche Verbesserung auf allen Gebieten», so Davies.
Ob Nordkorea oder Iran, bisher haben die politischen Spannungen den neuen wirtschaftlichen Optimismus nicht dämpfen können. Er führt jedoch zu einer kniffligen Frage, die Martin Wolf wie folgt formuliert: «Wird schlechte Politik die Wirtschaft ruinieren – oder wird eine gesunde Wirtschaft die Politik heilen?»