Ist der US-Präsident der mächtigste Mann der Welt? Oder ist der Präsident der US-Notenbank, der Fed, nicht noch mächtiger? Darüber kann man lange streiten.
Seit jüngstem wird dieses Amt ohnehin von einer Frau ausgeübt, von Janet Yellen. Die Fed-Präsidentin hatte gestern ihren mit Spannung erwarteten ersten Auftritt in der Öffentlichkeit – und machte dabei prompt ihren ersten Patzer.
Yellen kündigte an, die US-Wirtschaft habe sich inzwischen so weit erholt, dass ein schrittweiser Ausstieg aus dem Quantitativen Easing möglich geworden sei. Die Fed werde also immer weniger Wertpapiere aufkaufen und auf diese Weise die Zinsen der langfristigen Staatsanleihen drücken.
Auf die Frage, wie lange der Zeitraum des Ausstiegs aus dem Quantitativen Easing und einer Erhöhung der Leitzinsen sein könnte, beging Yellen den klassischen Notenbanker-Lapsus, sie nannte eine konkrete Zahl. «Wahrscheinlich dürfte dies in etwa sechs Monaten der Fall sein», erklärte sie.
Sechs Monate ist deutlich kürzer als die Frist, mit der die Märkte bisher gerechnet hatten. Die Reaktion erfolgte auf dem Fuss. Der Börsenindex S&P verlor ein Prozent, umgekehrt schossen die Renditen der Obligationen in die Höhe. Innert Sekunden wechselten so Milliarden von Dollar ihren Besitzer.
Die Aussagen von Notenbankern sind im wahrsten Sinn Gold wert. In der Schweiz konnten Insider lange davon gefahrlos profitieren. So schreibt der legendäre Zürcher Bankier Hans Bär in seinen Memoiren, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus gang und gäbe war, dass ein Nationalbankdirektor zwei bis drei Tage vor einer Erhöhung der Leitzinsen bei der Bank Bär vorbeischaute und von seinem Vorhaben berichtete. «Wir fanden das wunderbar», kommentiert Hans Bär. «Ist ja phantastisch, was wir für Beziehungen haben.»
Heute würde ein Nationalbankdirektor für ein solches Verhalten für mehrere Jahre ins Gefängnis wandern. Insiderhandel ist kein Gentleman-Delikt mehr, sondern ein schweres Vergehen, gerade in den USA. Fed-Präsidenten sind daher bekannt dafür, dass sie einsilbig sprechen und möglichst keine Hinweise auf ihre Absichten verraten.
Alan Greenspan hat das In-Rätseln-Sprechen auf die Spitze getrieben. Dabei ist er ein ausgezeichneter Kommunikator und hat als Student als Rewriter beim Wirtschaftsmagazine «Fortune» gearbeitet. Seine Aussagen als Fed-Präsident waren jedoch unverständlich. Als ein Journalist einmal bei einer Pressekonferenz glaubte, Greenspan tatsächlich folgen zu können, erhielt er die legendäre Antwort: «Wenn Sie glauben, Sie hätten mich verstanden, dann haben Sie mich mit Sicherheit nicht verstanden.»
Weil die Aussagen der Notenbanker an den Märkten so viel bewirken können, werden sie von Spezialisten mit Argusaugen verfolgt und sofort analysiert. In den USA gibt es sogenannte «Fed-Watcher». Es handelt sich dabei um hoch bezahlte Ökonomen, die für Banken und Hedge-Funds die Bedeutung der Aussagen der Notenbanker und ihre Auswirkungen auf die Börsen analysieren.
Das gewollte Kauderwelsch der Notenbanker ist umstritten. Greenspans Nachfolger Ben Bernanke hielt wenig davon. Er setzte auf klare Kommunikation, damit sich die Märkte möglichst rational verhalten konnten. Seit rund einem Jahr hat er mit dem sogenannten «Forward Guiding» Transparenz zu einem Mittel der Geldpolitik gemacht. Indem die Notenbank klare Ziele vorgibt, so die Idee, verhindert sie irrationales Herdenverhalten und überflüssigen Schmerz.
Selbst das Forward Guiding kann nicht verhindern, dass Notenbanker nicht nur mächtig, sondern auch ein bisschen sadistisch sein müssen. Oder wie es der legendäre Fed-Präsident William McChesney Martin einst formulierte: «Mein Job besteht darin, den Punch wegzuschaffen, wenn die Party so richtig in Fahrt kommt.»