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Schweizer Firma für Flüchtlingsbetreuung wehrt sich: «Es gab nie Totgeburten auf dem Gelände»

Flüchtlinge, die im österreichischen Traiskirchen kein Dach über dem Kopf haben.
Flüchtlinge, die im österreichischen Traiskirchen kein Dach über dem Kopf haben.Bild: EPA/APA

Schweizer Firma für Flüchtlingsbetreuung wehrt sich: «Es gab nie Totgeburten auf dem Gelände»

Im österreichischen Flüchtlingslager Traiskirchen müssen Menschen unter freiem Himmel schlafen. Betreut werden sie von der Schweizer Firma ORS. Diese findet die Kritik an ihr ungerechtfertigt. 
28.08.2015, 12:1228.08.2015, 12:33
Felix Burch
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Die Lage ist weiter schwierig in der Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen in Niederösterreich. Es fehlt an vielem, immer noch müssen Menschen draussen schlafen. Amnesty International war im Lager und bezeichnete die Zustände als katastrophal. Seit Tagen steht die zuständige Schweizer Firma ORS deshalb im Kreuzfeuer der Kritik. Im Interview mit watson nimmt der Mediensprecher Roman Della Rossa dazu Stellung: 

Die ORS wird momentan massiv kritisiert. Wie gehen Sie damit um?
Roman Della Rossa: Das ist insbesondere für unsere Mitarbeiter eine schwierige Situation. Sie leisten seit Wochen ihr Menschenmögliches. Die zahlreichen nicht zutreffenden Vorwürfe treffen sie: Es gab nie Totgeburten auf dem Gelände. Die Verpflegung richtet sich immer nach den religiösen Bedürfnissen. Es gibt weder Speck noch Schweinefleisch, aber täglich auch ein vegetarisches Gericht. Wir haben Strukturen geschaffen, damit mehrere Tausend Flüchtlinge den Ramadan begehen konnten. Kleider oder Hilfsgüter, von Spendern oft einfach über den Zaun der Betreuungseinrichtung geworfen, sortieren und reinigen wir in der Nacht, um sie sofort am folgenden Tag an die Flüchtlinge verteilen zu können. Es gibt noch viele weitere ähnliche Beispiele.

Wie gross ist der Image-Schaden? 
Unser Bemühen ist, transparent und sachlich über die Situation Auskunft zu geben – und falsche Behauptungen so entkräften zu können.

Roman Della Rossa, ORS-Mediensprecher.
Roman Della Rossa, ORS-Mediensprecher.

Ist denn die Kritik Ihrer Meinung nach nicht gerechtfertigt? 
Wir weisen seit Beginn darauf hin, dass wir die Meinung von Amnesty International hinsichtlich der Unterbringungssituation teilen. Auf einem Gelände, das Platz bietet für 1'840 Flüchtlinge, lebten zwischenzeitlich bis zu 4'500 Menschen. Die Betreuung wird dann zu einer Herkulesaufgabe. Klar gibt es einiges, was wir besser machen können. Deshalb prüfen wir jeden Vorwurf. Wo möglich, setzen wir Verbesserungsmassnahmen innerhalb der täglichen Arbeit sofort um.

Aber Sie können doch nicht zufrieden sein mit den jetzigen Zuständen im Flüchtlingslager Traiskirchen. 
Eine wirklich zufriedenstellende Lösung ergibt sich erst, wenn die Frage der Kapazität der Unterkunft gelöst ist: Es braucht mehr Platz. Wir sind darauf angewiesen, dass die österreichischen Behörden zusätzliche Unterkünfte zur Verfügung stellen, um Traiskirchen zu entlasten. Wir wissen aber auch, dass das eine schwierige Aufgabe ist. Die ORS ist beauftragt, auf vorhandenem Raum Betreuung zu leisten. Raum schaffen können wir nicht.

Wie konnte es überhaupt soweit kommen?
Die Zahl der Flüchtlinge stieg seit April, Mai rasant an. Deshalb konnten nicht mehr alle Flüchtlinge in den verfügbaren Räumen untergebracht werden. Im Auftrag des Bundesministerium für Inneres, räumten wir alle nur erdenklichen Zimmer, also auch Aufenthalts- und Schulräume. Aber auch das reichte nach wenigen Wochen nicht mehr, um alle Flüchtlinge wenigstens in einem Bett mit einem Dach über dem Kopf unterzubringen.

Fühlen Sie sich alleine gelassen?
Selbstverständlich nicht. Wir versuchen, in den gegebenen Rahmenbedingungen unser Bestes. Die Zusammenarbeit mit den Behörden, aber auch mit einem grossen Teil der Öffentlichkeit, funktioniert gut. 

Hätten staatliche Organisationen oder NGO in einer solchen Notsituation besser reagieren können? 
Das ist eine hypothetische Frage. Unsere Antwort: Wir tun das Menschenmögliche in dieser Situation. Selbst die NGOs, namentlich die Diakonie in Österreich oder das dortige Rote Kreuz sagen, dass es unter diesen Umständen auch für sie eine fast nicht lösbare Aufgabe wäre.

ORS nicht das erste Mal in den Schlagzeilen 
Die ORS Service AG hat ihren Sitz in Zürich. Ihre Kernkompetenz ist das Betreuen von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Die Firma, die 1992 gegründet wurde, bezeichnet sich selber als kompetente Partnerin für Bund, Kantone und Gemeinden. Die ORS beschäftigt 450 Mitarbeiter und betreut pro Tag 4500 Asylsuchende. Insgesamt setzt der Konzern pro Jahr gegen 70 Millionen Franken um. Die ORS ist nebst der Schweiz in Österreich und Deutschland tätig. Sie geriet bereits im Jahr 2012 in die Schlagzeilen. Damals hiess es, im Asylzentrum Eigenthal bei Kriens LU herrschten Missstände. (feb)

Was sagen Sie zum Vorwurf, dass die ORS hätte anbauen können im Flüchtlingslager Traiskirchen, dies aber nicht tut, weil die Firma profitorientiert arbeitet? 
Zunächst möchte ich eine falsche Behauptung richtig stellen. Es heisst, dass wir die Erstaufnahmestelle Traiskirchen verwalten oder leiten. Das ist nicht richtig. Die Erstaufnahmestelle wird vom Bundesministerium für Inneres geleitet. Wir haben dort einen Dienstleitungsauftrag: vor Ort Asylwerber zu betreuen. Die Räumlichkeiten werden uns dafür vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt. Die ORS hat keinen Auftrag, für den Bund oder die Länder Quartiere und Räumlichkeiten zu suchen.

Wie geht es nun vor Ort weiter? Wie können die Zustände in Traiskirchen verbessert werden? 
Eine Verbesserung tritt ein, wenn weitere Betreuungsplätze geschaffen werden können, damit niemand mehr im Zelt oder unter freiem Himmel schlafen muss. Zurzeit leben noch 3500 Flüchtlinge auf dem Gelände. Das sind immer noch fast doppelt so viele wie eigentlich Platz haben. Trotzdem kommen täglich immer noch viele neue Flüchtlinge in Traiskirchen an.

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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Tatwort
28.08.2015 12:23registriert Mai 2015
Mit Verlaub: Schaut euch mal an, was die einzelnen Verwaltungsräte und Direktoren der ORS/ORX-Gruppe verdienen (die Zahlen sind teilweise öffentlich erhältlich). An so viel Geld kommt man nicht, indem man auf die Bedürfnisse der Menschen achtet, sondern indem man gewinnorientiert und gewinnmaximierend arbeitet.
Von daher sehe ich nur einen graduellen Unterschied zwischen ORS und Schleppern: Sie verdienen ihr Geld auf dem Buckel derjenigen, die sich am wenigsten wehren können.
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JoSchtz
28.08.2015 12:35registriert Januar 2015
Wir haben für die BMS eine Arbeit über die Flüchtlingspolitik im Kanton Bern geschrieben. Auch in diesem Kanton ist die ORS tätig. Wir wollten unter anderem ein Interview mit der ORS. Als wir die ORS anfragten, wurde uns gesagt, dass wir nur ein schriftliches Interview erhalten und die Fragen von der ORS angepasst würden. Des Weiteren sollen wir alle Infos vertraulich behandeln und die Arbeit solle am Schluss der ORS zur Durchsicht und Genehmigung zugesendet werden. Wir haben dann auf das
Interview verzichtet. Bei keinem anderen der "Asylheimbetreiber" waren die Auflagen so streng für ein Interview. Schon da war uns die ORS suspekt.
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