Der Harvard-Professor Joseph Nye hat der Politik einen neuen Begriff beschert: Soft Power. Darunter versteht er den Einfluss, den eine Nation mit kulturellen Werten wie Musik, Film, aber auch Universitäten und Lebensstil ausüben kann.
Gemäss Nye hat Macht somit drei Dimensionen: Hard Power (militärische Macht), Wirtschaftsmacht und eben Soft Power. Er geht davon aus, dass in der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts diese weiche Macht immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese Sicht der Geopolitik hat weltweit grossen Einfluss erlangt.
Wladimir Putin stellt Nyes Theorie auf den Kopf. Nach dem Fall von Aleppo steht er als grosser Sieger der geopolitischen Machtkämpfe da. Er hat dabei einzig auf Hard Power gesetzt und mit seinen Jets die traditionsreiche syrische Stadt in Schutt und Asche gebombt.
Etwas anderes hat Putin auch gar nicht zur Verfügung. Wirtschaftlich ist Russland abhängig von Öl und Gas und leidet deshalb massiv unter dem Preiszerfall der fossilen Brennstoffe. Seit rund zwei Jahren steckt die russische Wirtschaft in einer schweren Rezession.
Auch die russische Bevölkerung schrumpft. «Die meisten Voraussagen gehen davon aus, dass sie weiter schrumpfen wird», stellt Stephen Fidler im «Wall Street Journal» fest. «Bis zum Ende dieses Jahrhunderts von derzeit 144 Millionen auf rund 100 Millionen Menschen.»
Ausser ein paar herausragenden Schriftstellern und St.Petersburg hat Russland in Sachen Soft Power ebenfalls wenig zu bieten. Wir kennen keine russischen Rockbands, russische Filme sind meist einem elitären Publikum vorbehalten. Kein westlicher Student denkt daran, in Russland seinen Master zu machen – und russisches Essen ist gewöhnungsbedürftig.
Die Russen sehen das anders. Selbst nach dem Fall der Sowjetunion betrachten sie sich als Grossmacht. Deshalb wird auch heute noch Josef Stalin von mehr als der Hälfte der Bevölkerung als grösster Staatsmann aller Zeiten verehrt. Er hat die UdSSR als Supermacht etabliert, «und dieser Status als Supermacht ist Gegenstand eines enormen Nationalstolzes, und sein Verlust eine Tragödie», schreibt Walter Laqueur in seinem Buch «Putinismus».
Als US-Präsident Barack Obama Russland als «Regionalmacht» bezeichnete, hat er die Russen schwer gekränkt. Putin setzt alles daran, das Gegenteil zu beweisen. Dabei schreckt er vor schlimmsten Menschenrechtsverletzungen nicht zurück. Aleppo wird bereits mit Grosny, Dresden und Guernica verglichen, Städte, die aus zynischem Kalkül dem Erdboden gleichgemacht wurden.
Dabei ist Putins Hard Power überschaubar. Er hat zwar am meisten Atomsprengköpfe, doch die eignen sich nur zur Abschreckung. Für die Verteidigung gibt Russland jedoch weniger aus als die USA, China, das Vereinigte Königreich, Indien und Saudi-Arabien. Als der einzige, 30-jährige russische Flugzeugträger im Herbst durch das Mittelmeer dampfte, machte er sich zum Gespött der restlichen Welt.
Wie also lässt sich Putins Erfolg erklären? «Seine Biografen messen seinen Judo-Fähigkeiten grosse Bedeutung zu», schreibt Fidler. «Dabei ist es wichtig, sofort zuzuschlagen, wenn der Gegner aus dem Gleichgewicht gerät.»
Der Westen ist derzeit kräftig aus der Balance geraten. Die EU ist mit sich selbst beschäftigt und geopolitisch gelähmt. Die USA haben nach Irak und Afghanistan null Bock, Bodentruppen in den Nahen Osten zu schicken. Barack Obamas Strategie, hinter den Kulissen zu führen, hat sich in Syrien als Rohrkrepierer erwiesen.
Dieses Machtvakuum hat Putin geschickt ausgenützt und sein Ziel, wieder auf Augenhöhe mit den Grossen mitmischen zu können, erreicht. Alles deutet darauf hin, dass er als nächstes einen Deal mit dem gewählten US-Präsidenten Donald Trump abschliessen wird. Wie sich das auf die Geopolitik auswirken wird, wissen derzeit nur die Götter. Aber eines scheint sicher: Mit Soft Power wird in naher Zukunft kein Blumentopf zu gewinnen sein.