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Interview

«Google kann heute schon erkennen, ob ein Mensch depressiv ist»

Alfred Angerer ist Professor an der ZHAW School of Management and Law im Gesundheitswesen in Winterthur. Er ist einer der Referenten am International Health Application Summit. Der Anlass findet am 21 ...
Alfred Angerer ist Professor an der ZHAW School of Management and Law im Gesundheitswesen in Winterthur. Er ist einer der Referenten am International Health Application Summit. Der Anlass findet am 21. Juni in Winterthur statt.
Interview

«Google kann heute schon erkennen, ob ein Mensch depressiv ist»

Ärzte lassen sich von Algorithmen beraten, Diagnosen werden mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erstellt: Digital Health ist das neue Zauberwort im Gesundheitswesen. Was das bedeutet, erklärt Alfred Angerer, Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
29.05.2019, 08:4930.05.2019, 10:12
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Um das Thema «eHealth» ist es in letzter Zeit eher ruhig geworden. Täuscht dieser Eindruck?
Ich würde das Gegenteil behaupten und mich zur Aussage versteigen, dass es bald sehr, sehr laut werden wird. Aber zunächst müssen wir klären, wovon wir sprechen.

Tun wir das.
Wir verwenden den Begriff Digital Health. Er umfasst vier Teilbereiche: eHealth ( Austausch von Gesundheitsdaten), Trend Health (Lifestyle), Tech Health (Robotik) und Data Health (künstliche Intelligenz).

Sprechen wir künftig also von Digital Health. IBM hat vor ein paar Jahren mit Watson Furore gemacht, einem System, das Ärzte unterstützen und unser Gesundheitssystem revolutionieren soll. Was ist daraus geworden?
Technische Errungenschaften lösen zunächst immer einen Hype aus. Dann folgt eine Ernüchterung, bis schliesslich die Schwelle zu einem Durchbruch erreicht wird.

FILE - This Jan. 13, 2011 file photo provided by IBM shows the IBM computer system known as Watson at IBM's T.J. Watson research center in Yorktown Heights, N.Y. IBM on Wednesday, Oct. 8, 2014 ga ...
Hat bisher die Erwartungen nicht erfüllt: Der Watson von IBM.Bild: AP/IBM

Den sogenannten Tipping Point hat Digital Health somit noch nicht erreicht?
In der Praxis noch nicht. Doch die Anzahl wissenschaftlicher Publikationen, die beschreibt, wie künstliche Intelligenz die Ärzte unterstützen kann, ist in den letzten Jahren explodiert.

IBMs Watson, das wohl berühmteste Digital-Health-Projekt, hat jedoch die Erwartungen bisher nicht erfüllt.
Watson ist nur einer von vielen Anbietern. Alle trainieren sehr fleissig ihre Algorithmen. Ich denke, wir werden sehr bald eine Fülle von Überraschungen erleben.

Was konkret erwartet uns? Wird sich meine Hausärztin künftig mit einer Art Alexa oder Siri beraten, bevor sie mich behandelt?
Das Gesundheitswesen wird sich in kleinen Schritten verändern. Aber Sie können damit rechnen, dass Ihre Hausärztin vermehrt durch künstliche Intelligenz unterstützt werden wird. Sie als Patient werden Apps zur Verfügung haben, die Ihnen bei Prävention oder bei der Therapie von Krankheiten zur Seite stehen.

«Es gibt im Silicon Valley tatsächlich die These, wonach der erste unsterbliche Mensch bereits geboren sein soll.»

Der sogenannte Google-Arzt ist eine zwiespältige Angelegenheit. Halbwissen kann mehr schaden als helfen.
Es ist verständlich, dass die Ärzte nicht nur Freude an dieser Entwicklung haben. Aber unter dem Strich ist es doch erfreulich, wenn die Menschen ihr Wissen über die Gesundheit steigern. Das heisst ja nicht, dass jeder, der sich in den Daumen schneidet, überzeugt sein muss, dass er unheilbar an Krebs leidet.

Das Expertenwissen eines Arztes kann man sich nicht mit ein paar Google-Abfragen aneignen.
Das trifft sicher zu. Nur sollte man das auch nicht dramatisieren. Die Ärzte haben gelernt, ganz gut mit von Google informierten Patienten umzugehen. Es geht zudem nicht nur um Google. Ich denke beispielsweise auch an unterstützende Apps.

Auch diese Apps sind eine zwiespältige Angelegenheit. Will ich mich täglich überwachen lassen, ob ich meine 10’000 Schritte gemacht habe, oder will ich mir bei jeder Mahlzeit vorrechnen lassen, wie viele Kalorien ich verzehrt habe? Ist das nicht ein bisschen viel Big Brother?
Technologie ist immer zwiespältig. Es geht darum, sich nicht von der Technik versklaven zu lassen, sondern die Technik zum Diener zu machen. Wenn ich überzeugt bin, dass eine App mir hilft, dass ich mich mehr bewege, dann sollte ich sie installieren. Habe ich jedoch Angst, dass sie mich stresst, dann sollte ich es lassen. Noch sind wir mündige Wesen, die solche Entscheidungen selbstständig treffen können.

Mit Betonung auf «noch». Es gibt bereits Krankenkassen, die mit einer Prämienverbilligung locken, wenn man solche Apps verwendet. Werden Sie bald Zwang sein?
Das glaube ich nicht. Es gibt sehr viele Gesetze, die uns davor schützen. Die Allgemeinheit würde eine solche Überwachung nicht zulassen.

Kann man schon erkennen, wie die künstlich intelligenten Helfer die medizinische Leistung verbessern?
Ja, jüngste Studien, die bestimmte Spezialgebiete untersuchen, kommen zu positiven Ergebnissen. Ärzte, die sich von künstlicher Intelligenz unterstützen lassen, kommen – durchschnittlich gesehen – zu besseren Resultaten als Ärzte, die es nicht tun. Auch die Diagnosen werden dank künstlicher Intelligenz präziser. Und schliesslich werden die Ärzte wesentlich von administrativer Arbeit entlastet, weil alle auf die gleiche Datenbasis zurückgreifen können.

Hi-Tech im Spital.
Hi-Tech im Spital.

Medizinischer Fortschritt ist meist gleichbedeutend mit mehr Kosten. Trifft dies auch für Digital Health zu?
Wir haben zu diesem Thema eine grosse Umfrage unter den Beteiligten des Gesundheitswesens – Ärzte, Apotheker, Pharma, etc. – durchgeführt. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass es dank Digital Health tatsächlich gelingen kann, die Qualität der medizinischen Leistung zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten zu senken.

Der Traum jedes Managers wird wahr: Mit weniger mehr zu schaffen.
Vorsichtig optimistisch ausgedrückt, könnte dies tatsächlich der Fall sein.

In der Schweiz leisten wir uns ein sehr gutes, aber auch sehr teures Gesundheitswesen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass es in ein Zweiklassen-System kippen könnte. Kann Digital Health diese Entwicklung verhindern? Oder anders ausgedrückt: Kann Digital Health dafür sorgen, dass wir weiterhin ein erstklassiges Gesundheitswesen für alle haben?
Ob ein Zweiklassen-System entsteht, ist eine politische Frage. Digital Health kann jedoch beitragen, die Kosten zu senken. Sei es mit der schon erwähnten Demokratisierung des medizinischen Wissens. Sei es aber auch dadurch, dass sehr spezialisiertes Wissen einfacher erhältlich wird. Auch die Personalisierung der Medikamente, die immer wichtiger wird, kann dank Digital Health kostengünstiger erfolgen. Dazu kommt schliesslich noch, dass Ärzte und das Pflegepersonal wie erwähnt von administrativen Pflichten entlastet werden.

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Bisher haben wir von somatischen Krankheiten gesprochen. Wie steht es aber mit den psychosomatischen? Mit Burnouts und Depressionen, beispielsweise? Gerade sie befinden sich ja auf dem Vormarsch. Was kann Digital Health auf diesem Gebiet leisten?
Es gibt bereits Apps, die bei Depressionen helfen können.

Wie?
Mit Aufklärung beispielsweise. Nur weil ich heute traurig bin, heisst das noch nicht, dass ich eine Depression habe. In der Diagnostik haben wir heute schon Algorithmen, die erklären können, wer gefährdet ist und wer nicht. Facebook hat schon vor ein paar Jahren damit geprahlt, dass die Plattform erkennen kann, wer depressiv ist und wer nicht.

Wie kann Facebook dies erkennen?
Aufgrund der Postings, die man macht. Die Maschine kann ungewöhnliche Muster erkennen.

Kann ich damit rechnen, dass mir mein Laptop demnächst sagen wird: Du hast eine Depression, tu etwas dagegen?
Google kann aufgrund von Suchabfragen diese Diagnose heute schon stellen. Sie googeln zu einer späten Stunde zum Thema Schlafstörung, zu Traurigkeit und den entsprechenden Bildern, etc. Ich denke schon, dass dann ein Algorithmus merkt, dass mit Ihnen etwas nicht stimmt.

Die App wird zum Gesundheitspolizist.
Die App wird zum Gesundheitspolizist.

Kann mich dieser Algorithmus auch behandeln?
Grundsätzlich sollte die Behandlung durch Fachpersonal erfolgen. Diese Behandlung kann jedoch mit Digital Health unterstützt werden: Führen Sie ein elektronisches Tagebuch. Besuchen Sie diesen Chatroom mit Personen, die das gleiche Schicksal erleiden, etc.

Wir werden älter, wenn auch fitter. Länger gesund leben ist der Wunsch aller. Einige möchten gar unsterblich werden. Ist Digital Health der Schlüssel dazu?
Es gibt im Silicon Valley tatsächlich die These, wonach der erste unsterbliche Mensch bereits geboren sein soll. Das ist jedoch so weit in die Zukunft gedacht, dass ich es nicht beurteilen kann. Da kommen wir in philosophische Bereiche und ungeklärte Fragen. Beispielsweise: Wie funktioniert menschliche Intelligenz und Bewusstsein, kann das auch ausserhalb eines Körpers funktionieren? Aber das sind keine Themen, die uns im Hier und Jetzt beschäftigen.

Was ist mit Pflegerobotern? Dieses Thema beschäftigt uns bereits heute.
Keine einzige Pflegekraft muss Angst haben, dass ihr Job von einem Roboter übernommen wird.

Und was ist mit der Angst, dass Roboter immer häufiger die Entscheidungen treffen?
Auch da sind die Experten entspannt. Wenn künstliche Intelligenz zu besseren Entscheidungen führt, ist das wunderbar. Dass sie die Führung übernimmt, ist Science Fiction. Es wird noch lange Ärzte und Pflegefachleute geben, denn etwas können Maschinen nicht ersetzen: menschliche Empathie.

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22 Kommentare
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Linus Luchs
29.05.2019 09:11registriert Juli 2014
"Da kommen wir in philosophische Bereiche und ungeklärte Fragen. [...] Aber das sind keine Themen, die uns im Hier und Jetzt beschäftigen."

Das ist sehr schade, denn genau das wäre so wichtig. Wozu leben wir? Sind Altern und Sterben tatsächlich der Horror, den es zu besiegen gilt? Ist dieser Traum, den Tod zu besiegen, vielleicht Ausdruck des Gegenteils von Weisheit? Wozu führt es unserer Gesellschaft, wenn Krankheit als ein persönliches Versagen verstanden wird? Gerade im Zusammenhang mit Digital Health sollten wir uns mit philosophischen Fragen beschäftigen.
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Firefly
29.05.2019 09:25registriert April 2016
Da leben acht Milliarden Menschen auf der Welt und die Umwelt leidet an ihnen und diese Grünschnäbel wollen tatsächlich den Tod besiegen!?

Ja und dann? Noch mehr Kampf um Platz und resourcen? Oder soll der Tod nur für ein paar Auserwählte überwunden werden können?

Die sollten ihre Energie nicht darin verschwenden den Tod zu besiegen sondern das Leben für alle erträglicher zu machen.
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Randalf
29.05.2019 13:21registriert Dezember 2018
Ewig zu leben ist, für mich, ein schrecklicher Gedanke.

Auch aus ökologischer und ökonomischer Sicht. Man denke nur schon an Rentenalter, Sozialwerke und Platz im ÖV, geschweige denn vom Wohnen.

Die Natur gibt uns ein Ende mit auf den Weg, was wir auch akzeptieren sollten.
Nicht das " wie lange" sollte der Sinn sein. Sondern das "wie", die Lebensqualität.
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