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Interview

SZ-Journalistin Vanessa Wormer über die Arbeit an den Panama Papers

Interview

«In unseren Investigativraum kam nicht mal die Putzfrau rein» – Datenjournalistin Vanessa Wormer über die Panama Papers

06.04.2016, 14:2407.04.2016, 11:15
William Stern
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Vanessa Wormer ist Journalistin bei der «Süddeutschen Zeitung». Die 28-jährige studierte Geschichte, bevor sie sich an der Columbia University auf Datenjournalismus spezialisierte.
Vanessa Wormer ist Journalistin bei der «Süddeutschen Zeitung». Die 28-jährige studierte Geschichte, bevor sie sich an der Columbia University auf Datenjournalismus spezialisierte.
Bild: vanessa wormer

Von der «Heilbronner Stimme» zum grössten Datenleak aller Zeiten: Vannessa Wormer hat einen steilen Aufstieg hinter sich. Die 28-jährige Datenjournalistin hat im Investigativteam der «Süddeutschen Zeitung» (SZ) über Monate an den Recherchen zu den Panama Papers  mitgearbeitet. Im Interview erzählt sie, wie man einen Datenberg von der Grösse des Mount Everest abarbeitet, welche Rolle Harry Potter bei der Recherche spielte und wie viel «Spotlight» im Investigativteam der SZ steckt.

Wie viel haben sie im letzten Jahr durchschnittlich geschlafen?
Nicht viel. Wir kamen früh in die Redaktion und sind spät gegangen. Bei so einem Projekt kann man nicht einfach nach Hause gehen und abschalten. Sobald neue Daten kommen, will man sich sofort wieder reinstürzen.

Sie sind erst im September zum Recherche-Team der SZ gestossen, da war die Geschichte schon seit einiger Zeit am Laufen. Worin konkret bestand Ihre Aufgabe?
Zuerst einmal: Daten aufzubereiten, Daten durchsuchbar zu machen. Es war ja ein immenser Berg an Informationen. Normalerweise trägt man den dann nach und nach ab, aber in unserem Fall wurde der Berg immer grösser, trotz unserer Arbeit, da ja unser Informant laufend neues Material lieferte.

Die Flut an Daten – 2,6 Terabyte oder 11,5 Millionen Dokumente – war dann auch der Grund, warum sich die SZ entschieden hat, mit dem ICIJ zusammenzuspannen ...
Ja, und das ICIJ hat eine extrem wichtige Rolle gespielt bei der Koordination mit den 400 Kollegen und Kolleginnen weltweit. Nicht zuletzt wegen der riesigen Datenbank, die das ICIJ aufgebaut hat.

Das International Consortium of Investigative Journalism (ICIJ), eine amerikanische Non-Profit-Organisation, koordinierte die Arbeit von 400 Journalisten aus fast 100 Ländern.
Das International Consortium of Investigative Journalism (ICIJ), eine amerikanische Non-Profit-Organisation, koordinierte die Arbeit von 400 Journalisten aus fast 100 Ländern.
bild: screenshot

Wie ist das, im Verbund mit 400 anderen Personen zusammenzuarbeiten?
Spannend, es war eine gute Erfahrung. Wir haben uns viel ausgetauscht, das ICIJ hat eine verschlüsselte Plattform aufgebaut, wir hatten einen Chatbereich, eine Art Facebook für die Recherche. Da wurden manchmal im Stundentakt neue Funde gepostet, Fragen gestellt. Man hat sich gefreut, wenn neue Erkenntnisse über Offshore-Geschäfte eines Staatschefs oder anderen Funktionärs auftauchten, die Kollegen haben darauf sofort reagiert. Das nahm eine Eigendynamik an, sodass sich die Geschichten selber weitergedreht haben.

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Was war die grösste Herausforderung bei der Recherche?
Die grosse Datenmenge, ganz klar. Immer wenn man dachte, jetzt haben wir alles zusammen, kam etwas Neues. Um der Flut an Daten Herr zu werden haben wir neue Technologien eingeführt, neue Hochleistungsrechner angeschafft.

«Wir haben im Investigativraum teilweise an die Fenster geschrieben, weil wir keinen Platz mehr hatten.»

Wie viele Leute waren bei der SZ an der Recherche beteiligt?
Zunächst nur das Investigativresort, vor allem die Kollegen Bastian Obermayer und Frederik Obermaier. Im September kam ich dazu, nach und nach ist das Team gewachsen. Zum Schluss waren wir mehr als 20 Leute, die sich für die Print- und Digitalproduktion mit den Panama Papers auseinandergesetzt haben. Und viele andere, die uns den Rücken freigehalten haben, indem sie das tagesaktuelle Geschehen beackerten.

Welche Sicherheitsmassnahmen und Verschlüsselungstechniken haben Sie bei der Arbeit mit den Panama Papers angewendet?
Wir haben bei der SZ einen speziellen Investigativraum, da kommt nicht mal die Putzfrau rein. Auch die Kollegen aus der Redaktion hatten da keinen Zugang. Am Montag wurde das erste Mal seit einer Ewigkeit geputzt – es war dringend nötig.

Die angekündigte «Sprengkraft» der Panama Papers hat Wirkung gezeitigt: Islands Premierminister Davio Gunnlaugsson tritt am Dienstagnachmittag zurück.
Die angekündigte «Sprengkraft» der Panama Papers hat Wirkung gezeitigt: Islands Premierminister Davio Gunnlaugsson tritt am Dienstagnachmittag zurück.
Bild: EPA/KJARNINN

Und sonst?
Unsere Rechner im Investigativraum sind nicht mit dem Internet verbunden, wir haben verschiedene Plattformen zur verschlüsselten Kommunikation, und intern haben wir ausschliesslich mit PGP-Mails kommuniziert.

Wie sah Ihr Alltag in den Monaten der Recherche aus: «Spotlight»-Romantik oder triste Bürobunker-Arbeit vor Excel-Tabellen? 
Der Investigativraum entwickelte sich zum Mittelpunkt. Wir sind räumlich extrem eng beieinandergesessen, haben uns alle täglich gesehen. Die Wände waren vollgeschrieben mit Namen und Listen. Wir haben teilweise an die Fenster geschrieben, weil wir keinen Platz mehr hatten. Insofern eher «Spotlight» als Bürobunker-Arbeit.

Szene aus Spotlight, der den Oscar für den besten Film 2016 gewonnen hat.
Szene aus Spotlight, der den Oscar für den besten Film 2016 gewonnen hat.
Bild: AP/Open Road Films

Haben Sie eine Vermutung, wieso «John Doe» ausgerechnet die SZ als Empfänger der Daten ausgewählt hat?
Ja, aber das ist wirklich nur eine Vermutung: Die SZ beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Steueroasen, es ist viel Expertise vorhanden hier im Haus. Aber ob das für die Quelle ausschlaggebend ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass die Quelle wollte, dass die Machenschaften von Mossack Fonseca und ihren Kunden an die Öffentlichkeit gelangen.

Wie ist das, wenn man von einem 2,6 Terabyte grossen Datensatz steht. Sagt man sich da: So, und wo fangen wir jetzt an?
Man muss sich das so vorstellen: Das sind 11,5 Millionen Dateien, ein Wust von unstrukturierten Daten, unzählige verschiedene Dateitypen, PDFs, Emails, die wiederum Anhänge mit Excel-Tabelle oder Passdokumenten haben. Das alles muss man in eine Form bringen, um überhaupt effektiv damit arbeiten und in den Daten suchen zu können.

«Wir haben klar kommuniziert, dass wir bei Weitem nicht alle Namen veröffentlichen. Bei vielen fehlt das öffentliche Interesse.»

Sie haben dafür das Programm Nuix genutzt, das auch bei deutschen Ermittlungsbehörden Verwendung findet. Wie funktioniert Nuix?
Nuix hilft dabei, die vielen verschiedenen Dateiformate zu strukturieren, also einen Index zu erstellen. Der Index wird verwendet, um besonders schnelle Suchvorgänge ausführen zu können. Aber vor der Suche mussten wir viele Bild- und PDF-Dateien zuerst in eine für den Computer lesbare Form bringen, also den Text daraus extrahieren. OCR nennt sich der Prozess. Das war immens wichtig, weil natürlich viele Namen nur auf eingescannten Pässen oder Vertragskopien auftauchen. Passkopien etwa sind besonders interessant, weil man da die Gesichter hinter den Namen hat, die mit Briefkastenfirmen in Verbindung stehen. Die Aufbereitung der Daten hat sich über Wochen und Monate hingezogen. Irgendwann konnten wir endlich unsere Listen mit wichtigen Personen über die Daten laufen lassen. Aber dann fängt die Arbeit für die Reporter erst an. Denn nur weil ein Name auf einem Papier auftaucht, heisst das nicht, dass die Person auch in die jeweiligen Geschäfte involviert ist.

Apropos Namen: Die Pseudonyme, die Mossack Fonseca für seine Geschäftspartner benutzt, sind reichlich skurril ...
Ja, Mossack Fonseca hat eine sehr sensible Kundschaft, ein Teil davon will unter allen Umständen anonym bleiben, was ja nicht weiter verwunderlich ist. Mossack Fonseca vergibt dann Namen an die Kunden, wie Winnie Pooh, Harry Potter oder Azkaban. Und so heissen auch die Email-Adressen. Ein sehr wichtiger Mossack-Fonseca-Kunde hatte das Pseudonym «Father», den haben die Mitarbeiter in den Mails tatsächlich auch mit Father angesprochen. Father selber hat sich mit der Formel «Best regards, father», verabschiedet. Das liest sich dann wie ein schlechter Krimi.

Winnie-the-Pooh, Harry Potter, Azkaban: Die Pseudonyme, die Mossack Fonseca seinen Kunden zuwies, sorgten in der SZ-Redaktion für Lacher.
Winnie-the-Pooh, Harry Potter, Azkaban: Die Pseudonyme, die Mossack Fonseca seinen Kunden zuwies, sorgten in der SZ-Redaktion für Lacher.
bild: screenshot/youtube

Wie fühlt man sich, wenn sich durch persönliche Daten – Verträge, Mails, Testamente – wühlt? Entwickelt man da einen voyeuristischen Trieb? Moralische Bedenken?
Skrupel hatten wir keine, dafür ist man einfach zu sehr Journalist. Wir wollten aufspüren, aufdecken, publik machen. Gleichzeitig war uns aber klar, dass wir sehr sensibel mit dem Material umgehen müssen. Schauen, dass nicht einfach Namen nach aussen dringen. Wir haben ja gestern [Montag, Anm. d. Red.] einige Namen von Personen aus Deutschland veröffentlicht, die die Dienste von Mossack Fonseca in Anspruch nahmen. Da haben wir klar kommuniziert, dass wir bei Weitem nicht alle Namen veröffentlichen. Bei vielen fehlt das öffentliche Interesse, das eine Namensnennung und damit eine Verletzung der Privatsphäre rechtfertigen würde.

Haben Sie sich deshalb dagegen entschieden, die Panama Papers öffentlich zu machen? 
In Deutschland sind die rechtlichen Bedingungen klar: Wenn ein öffentliches Interesse erkennbar ist, darf der Name einer Person genannt werden. Wir können nicht einfach veröffentlichen, was wir wollen, der Schutz der Privatsphäre ist definitiv vorrangig. Es ist ja wirklich nicht so, dass jeder Name, der auf auftaucht, auch mit einer illegalen Briefkastenfirma verbunden ist. Das zu durchschauen, ist mühevoll. Teilweise sind die Dokumente sehr komplex, man muss sie sich erarbeiten. Wir haben uns dafür ein Jahr lang Zeit genommen.

Who is John Doe? Die Quelle, die der «Süddeutschen Zeitung» die Daten der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca aushändigte, ist anonym – nicht einmal die SZ-Journalisten kennen die Person hinter «John Doe».
Who is John Doe? Die Quelle, die der «Süddeutschen Zeitung» die Daten der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca aushändigte, ist anonym – nicht einmal die SZ-Journalisten kennen die Person hinter «John Doe».
Bild: STRINGER/REUTERS

Hatten Sie jemals Bedenken, dass die Infos Ihrer Quelle womöglich nicht wasserdicht sind? Keiner der involvierten Journalisten, hat «John Doe» je getroffen, seine Identität ist ein Geheimnis.
Beim Erstkontakt ist man natürlich vorsichtig. Es gibt ja auch Fälle, in denen gefälschtes Material zugespielt wird. Meine Kollegen konnten das Material aber relativ früh abgleichen mit öffentlich zugänglichen Informationen, Registerauszügen und Gerichtsurteilen. Auch, dass deutsche Behörden vor zwei Jahren Daten von Mossack Fonseca gekauft hatten, und darauf aufbauend Ermittlungen gegen deutsche Banken einleiteten, hat uns extrem geholfen. Und das ICIJ und die Kollegen in den entsprechenden Ländern betrieben ebenfalls minutiöses Fact-Checking durch den Abgleich mit Handelsregisterauszügen, Grundbucheinträgen und Ermittlungsakten.

Insgesamt haben sich 400 Journalisten von über 100 verschiedenen Medientitel an der Recherche beteiligt, vom «Guardian», über «Le Monde» bis zur «SonntagsZeitung». Wie ist das eigentlich möglich, dass Hunderte Personen über Monate an einer Recherche immensen Ausmasses arbeiten, ohne dass je etwas nach aussen sickert? Befürchteten Sie nie ein Leak-Leak?
Doch, klar. Ich persönlich habe Familie und Freunden nicht gesagt, woran ich arbeite, das war auch ein bisschen Selbstschutz. So haben es die meisten gehandhabt. Auch hier im Haus wussten viele Kollegen nicht Bescheid. Bloss ein kleiner Kreis bei der SZ war eingeweiht. Wir wurden schon immer wieder mal von Kollegen darauf angesprochen. Dann haben wir versucht, das Gespräch auf andere Themen zu lenken.

«Wir haben nicht gewisse Politiker aus bestimmten Ländern geschont, in den Panama Papers finden sich ja Spuren zu Politikern und Funktionären weltweit.»

Putin, FIFA, Assad, Lionel Messi: Welches ist Ihre Lieblingsgeschichte?
Ich finde die Geschichte um den Musiker und Putin-Freund Sergej Roldugin sehr spannend, weil sie anschaulich zeigt, wie ein paar Männer aus Russlands Elite offenbar über Jahre viel Geld verschoben haben. Und der Kreml will davon nichts gewusst haben?

Hauptsitz der Firma Mossack Fonseca in Panama City.
Hauptsitz der Firma Mossack Fonseca in Panama City.
Bild: Arnulfo Franco/AP/KEYSTONE

Putins Name taucht allerdings nicht in den Daten auf.
Stimmt. Man muss aber wissen: Das System Offshore soll ja genau das tun, nämlich verschleiern und Spuren verwischen. Meine Kollegen haben in dieser aufwendigen Russland-Recherche die Spuren zu Putins innerstem Zirkel rekonstruiert, indem sie monatelang Dokumente gewälzt und mit Geldwäsche-Experten gesprochen haben.

Die Geschichte um Roldulgin hat auch aus anderen Gründen Wellen geschlagen: Kritiker bemängeln, dass praktisch nur ohnehin schon verfemte Personen und Organisationen im Fokus stehen: Putin, die FIFA, der Assad-Clan – und Island als Feigenblatt. Hatten Sie eine Agenda bei Auswahl und Betonung der Geschichten?
​Das sind einfach die grössten und wichtigsten Fälle. Wir haben nicht gewisse Politiker aus bestimmten Ländern geschont, in den Panama Papers finden sich ja Spuren zu Politikern und Funktionären weltweit. Ausserdem sind auch Kollegen aus Osteuropa, aus Asien, aus Afrika, aus Lateinamerika an Bord, wie sollte es da eine gemeinsam Auswahl geben? Auch der Name des Vaters von David Cameron wurde berichtet. Ich weiss aber auch gar nicht, ob man sich nur auf Namen einschiessen soll. Die Botschaft ist auch, dass es diese geheime Offshore-Welt immer noch gibt. Und dort herrschen andere Gesetze als in unserer Welt.

Noch einmal: 100 vor allem westliche Medien recherchieren mithilfe eines amerikanischen Journalisten-Konsortium und: Kein Politiker aus Deutschland, kein Politiker aus den USA. Verstehen Sie, wenn da jemand den Verdacht der Parteilichkeit hegt?
Es sind schon mal nicht vor allem westliche Medien, das ist falsch, es sind Medien aus der ganzen Welt, und Kolleginnen und Kollegen, die sich auch vom ICIJ nicht vorschreiben lassen würden, worüber sie berichten. Wir haben die Daten mit allen möglichen Listen europäischer und US-amerikanischer Politiker und Funktionäre abgeglichen. Wo wir einen Namen gefunden haben und ein öffentliches Interesse sahen, haben wir berichtet – oder werden wir noch berichten. Aber klar ist: Diese Offshore-Konstruktionen ziehen offenbar ein spezielles Klientel an. Und das sind anscheinend nicht unbedingt deutsche Politiker.

Kam bei Ihnen jemals Wut oder Empörung auf angesichts der rechtlich zumindest fragwürdigen finanziellen Machenschaften in Milliardenhöhe? Oder stumpft man da ab?
Ich war weniger empört, als vielmehr verblüfft. Wenn man einige der Emails liest, wundert man sich, dass manche Menschen offenbar denken, dass für sie die Regeln der Demokratie nicht gelten, dass sie keine Steuern zahlen müssen und sich nur das beste Stück vom Kuchen nehmen können. Aber wir sehen in den Panama Papers ja nicht nur die Steuerhinterzieher: Die Briefkastenfirmen wurden auch genutzt, um Geld zu waschen und zum Beispiel Kriege zu finanzieren. Das ist bekannt, und trotzdem schauen alle weg.

«Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass in Offshore-Konstrukten Geld versteckt werden sollte, vor wem auch immer.»

Glauben Sie, die Enthüllungen werden zu einem Umdenken in der internationalen Finanzbranche führen? Zu strafrechtlichen Ermittlungen? Zu Gesetzgebungsprozessen? Oder ist da die Angst, dass nichts passiert, dass alles versandet?
Nein, ich bin da ziemlich zuversichtlich. Die letzten Leaks – Luxleaks, Swissleaks Offshore-Leaks – haben gezeigt, dass da viel passiert und dass sich die Staaten aufeinander zu bewegen können. Die Berichterstattung der Medien hat ihren Teil dazu beigetragen. Und mit den Panama Papers ist das alles jetzt nochmals eine Nummer grösser. Von daher: Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass alles einfach so versandet.

Kritiker betonen, dass längst nicht alle Briefkastenfirmen illegalen Zwecken dienen. Findet eine Vorverurteilung statt?
Es stimmt, dass nicht alle Offshore-Konstrukte illegal sind. Aber es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass hier Geld versteckt werden sollte, vor wem auch immer. Damit muss sich die Gesellschaft auseinandersetzen und dafür braucht es Transparenzregeln. Politisch ist das Ganze bereits jetzt grosses Thema und durch die Panama Papers wird es noch einmal befeuert. Dass in Deutschland ein hoher Bundespolitiker, nämlich Bundesjustizminister Heiko Maas, so schnell ein Transparenzregister fordert, hätte ich vor fünf Tagen nicht für möglich gehalten. Gerade weil es in Deutschland historisch mit der Transparenz nicht so weit her ist.

«Manchmal hatten wir schon im Hinterkopf: Hoffentlich denken die Leser nicht: ‹Puh, not another leak›.»

«Meedia» schrieb, dass die Panama Papers in erster Linie eine Story über die Recherchearbeit von Journalisten ist und damit einer riesigen PR-Aktion für die SZ und die beteiligten Medien gleichkommt, weil sich kaum einer der Leser ernsthaft mit den – unglaublich komplexen – Strukturen der Datensätze befassen will. Teaser-Videos, Interviews wie dieses und ein Buch von zwei SZ-Journalisten über die Panama Papers, das am Mittwoch erscheint: Die Panama-Papers als gut vermarkteter Politthriller. Tut man Ihnen da unrecht?
Man tut vor allem dem Projekt unrecht. Wenn man die SZ aufschlägt, findet man erstmal keinen einzigen Werkstattbericht, aber seitenweise gut recherchierte Artikel über Putin, Ukraine, Syrien, Islands Premierminister und deutsche Banken. Und auch digital haben wir zig aufwendig produzierte Geschichten veröffentlicht. Insofern finde ich die Kritik unberechtigt. Und dass sich die Leute dafür interessieren, wie wir über Monate hinweg an den Panama Papers gearbeitet haben, spricht doch für das Projekt. Zum Buch kann ich nur so viel sagen: Es bietet eine ganz andere, spannende Perspektive. Sie haben es ja parallel zur Recherche geschrieben. Und trotzdem geht es auch um die Inhalte.

Ein Bonmot unter Journalisten geht so: Der Journalist ist immer unglücklich, entweder, weil er keine Geschichte hat, oder weil er bei der Recherche nicht vorwärts kommt oder weil er mit einer die Geschichte fertig ist – und dann in ein Loch fällt. Sie arbeiteten an der «Jahrhundertgeschichte». Was war das für ein Gefühl am Sonntagabend, als die ersten Artikel online gingen?
Es war eine Punktlandung. Der Veröffentlichungstermin war ja seit längerem klar, aber wir wurden wegen der aufwendigen Produktion relativ spät fertig mit den Geschichten. Kurz vor Ende der Deadline hiess es dann: Alle Plattformen bespielen, Print, Digital, das Webpaper. Und dann noch die englische Übersetzung. Um 20 Uhr wollten wir alle parallel online gehen. Aus technischen Gründen sind wir jedoch ein bisschen früher damit raus. Deshalb hat Edward Snowden ja auch schon so früh darüber getwittert. Das Echo war gigantisch.

Haben Sie jemals daran gezweifelt?
Ja, manchmal hatten wir schon im Hinterkopf: «Hoffentlich denken die Leser nicht: ‹Puh, not another leak›». Aber die Resonanz war überwältigend. Gleichzeitig haben wir am Sonntagabend auch an den Montag gedacht, und an den Dienstag, und an kommende Woche: Das lässt uns erstmals nicht los. Wir werden laufend neue Storys veröffentlichen und es stecken bestimmt auch noch unzählige weitere Geschichten in den Daten. Gleichzeitig entwickelt sich jetzt auch viel. Die politische Debatten fangen ja jetzt erst an. 

Weshalb wurde eigentlich Sonntagabend als Veröffentlichungstermin gewählt?
Aufgrund der Zeitverschiebung. Der US-Markt war da schon wach, Europa noch nicht im Bett und Druckerpressen für den Montag noch nicht angeworfen.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die beiden grossen US-Zeitungstitel, «New York Times» und «Washington Post» nicht an der Recherche beteiligt waren und sich auch erst spät in die Debatte eingeschaltet haben.
Die NYT liess ​in einem Beitrag erklären, warum sie solange zugewartet haben. Aber ich weiss nicht, wie das in den USA mit dem Konkurrenzdenken in der Medienbranche ist.

Und wie ist es in Deutschland? Sind Sie  stolz darauf, «Spiegel», «Die Zeit» und FAZ ein Schnippchen geschlagen zu haben?
Jedes Medienhaus hat seinen Exklusivitätsanspruch, klar. Für mich spielt das allerdings keine Rolle, gerade unter Datenjournalisten tauscht man sich regelmässig aus, da ist Kollaboration über Mediengrenzen wichtiger als Prestigedenken.

Steht die SZ noch in Kontakt mit «John Doe»?
Das weiss ich nicht, mein Kollege Bastian Obermayer führte mit ihm die Korrespondenz. Aber selbst wenn ich es wüsste, ich würde es Ihnen nicht sagen.​

So kam der Fall ins Rollen. Der Informant «John Doe» kontaktierte den SZ-Journalisten Bastian Obermayer.
So kam der Fall ins Rollen. Der Informant «John Doe» kontaktierte den SZ-Journalisten Bastian Obermayer.
bild: screenshot/sz

Und wann gehen Sie ein Bier trinken?
Das frage ich mich gerade auch. Wir haben in dieser Woche noch einiges geplant. Wir müssen noch ein paar Tage durchhalten. Auf die Drucklegung am Sonntagabend haben wir allerdings schon mit ein, zwei Bier angestossen.

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sapere Aude
06.04.2016 16:10registriert April 2015
Finde solche Arbeit extrem wichtig, micg erstaunt jedoch, das kaum US Amerikaner namentlich bekannt sind. Wird hier evtl. Rücksicht aug gewisse Befindlichkeit genommen?
3314
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pamayer
06.04.2016 14:52registriert Januar 2016
wow! voll hammer! grandiose arbeit!riesigen dank allen beteiligten aufdeckerInnen!
2813
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22
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