Frau
Köhler, wie ernähren Sie sich?
Annette
Köhler: Ich
war lange Vegetarierin und esse am liebsten Obst und Gemüse.
Sie
waren Vegetarierin. Warum sind Sie es nicht mehr?
Weil
ich mich inzwischen meiner Familie anpasse. Meine Tochter isst sehr
gerne Fleisch. Deshalb bin ich zur sogenannten Flexitarierin mutiert.
Das heisst, ich esse Fleisch, aber wenig.
Als
Nachhaltigkeitsspezialistin wissen Sie auch, wie unsere Ernährung
unsere Umwelt beeinflusst.
Auch
mein Mann arbeitet auf diesem Gebiet. Wenn wir zusammen einkaufen,
dann klingen bei uns immer gleich die Zahlen: Dieses Lebensmittel hat
einen grösseren ökologischen Fussabdruck, das weiter vorne im Regal
einen kleineren.
In
der Art: Für die Produktion eines Burgers braucht es so und so viele
Liter Wasser?
So
ungefähr. Ich überlege mir stets: Was bedeutet dieses
Nahrungsmittel für den Klimawandel?
Ein
sehr aktuelles Thema im Hitzesommer 2018.
Der
Klimawandel ist das bedeutendste Problem, das wir haben. Alles andere
ist nachgelagert. Bekommen wir den Klimawandel nicht in den Griff,
dann bekommen wir auch alle anderen Probleme nicht in den Griff. Mit
einer bewussten Ernährung versuche ich, meinen klitzekleinen Beitrag
zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen.
Ernährung
ist ein Megathema geworden. Wir werden bald über gleich zwei
Initiativen zum Essen abstimmen. Überspitzt formuliert kann man
sagen: Convenience ist out, regionale Produkte und Bio sind in.
Einverstanden?
Für
die reiche Schweiz trifft dies teilweise zu. Ich denke, dass es
sinnvoll ist, vorwiegend regionale Produkte zu konsumieren, vor
allem, wenn sie Saison haben. Wird jedoch Gemüse mit viel Energie in
einheimischen Treibhäusern produziert, ist das weniger sinnvoll.
Regional bedeutet nicht immer, dass es ökologisch besser ist.
Die
Fair-Food-Initiative stösst gemäss ersten Umfragen auf breite
Zustimmung. Ein klares Zeichen für regionale Produkte.
Grundsätzlich
stimme ich dem zu. Aber nochmals: Ein Schweizer Treibhaus-Kopfsalat
kann einen grösseren ökologischen Fussabdruck aufweisen als einer,
der in Spanien auf dem Feld gewachsen ist.
Die
Firma Bühler stellt, sehr vereinfacht dargestellt, hochmoderne
Lebensmittelmaschinen her. Sind Sie da nicht zwangsweise Partner
einer industriellen, nicht-regionalen Landwirtschaft?
Unsere
Maschinen und Technologien können von grossen und kleinen
Lebensmittelverarbeitungs- und
Landwirtschaftsbetrieben benutzt werden, in Form von Genossenschaften
beispielsweise.
Wie
trägt Bühler dazu bei, dass sich die Welt nachhaltig ernährt?
Es
gibt global gesehen zwei grosse Herausforderungen: In den reichen
Ländern wie der Schweiz ist die Verschwendung von Lebensmitteln –
Stichwort Food Waste – das grosse Problem. In den USA wird beinahe
die Hälfte aller Lebensmittel von den Konsumenten weggeworfen. Die
Schweiz ist besser, aber auch hierzulande ist es rund ein Drittel.
In
den armen Ländern verrotten viele Lebensmittel, weil sie nicht
sachgemäss aufbewahrt und verarbeitet werden.
Viele
Lebensmittel verderben bereits nach der Ernte, weil die
entsprechenden Verarbeitungstechnologien fehlen. Bei Bühler stellen
wir Maschinen her, die helfen können, dieses Problem zu lösen. Wir
bieten beispielsweise sehr wirksame Trocknungs-Technologien an, um
Feuchtigkeit im geernteten Getreide zu reduzieren und damit
Schimmelpilzbildung zu verhindern. Oder wir sortieren von
Schimmelpilz befallene Maiskörner aus, unterstützt durch eine Cloud
von Microsoft.
Bühler
ist auch in Entwicklungsländern tätig. Sind solche Technologien
nicht zu komplex für die sehr armen Entwicklungsländer?
Nein.
In Afrika sind wir beispielsweise innerhalb eines Netzwerks tätig,
das die gesamte Verarbeitung von Lebensmitteln umfasst. Dank der
Arbeit von Freiwilligen können wir unser Knowhow weitergeben und so
kleinen afrikanischen Unternehmen in der Nahrungsmittelverarbeitung
helfen, effizienter zu produzieren. Auf diese Weise fördern wir die
lokale Wirtschaft und tragen zum Erfolg kleiner Firmen bei.
Besteht
nicht die Gefahr, dass Bühler eine Super-Mühle hinstellt –
vielleicht gar dank Geldern aus der Entwicklungshilfe –, die sehr
bald nicht mehr funktioniert, weil sie nicht ordnungsmässig gewartet
wird?
Wir
bieten natürlich auch einen Wartungsservice an und stellen so
sicher, dass die Anlagen optimal funktionieren. Gerade in Afrika
legen wir grosses Gewicht darauf, die Kleinunternehmer zu schulen. So
unterhalten wir etwa in Nairobi (Kenia) die African
Milling School. Dort werden angehende Müller bis zum
Meistermüller ausgebildet. Das ist ein ziemlich einzigartiger
Service – und ein sehr nachhaltiger.
Sie
bezeichnen die Klimaerwärmung als grösstes Problem der Menschheit.
Werden die mit moderner Bühler-Technologie unterstützten
Nahrungsmittelverarbeiter
zu wichtigen Playern im Kampf gegen den Klimawandel?
Der
Klimawandel wird in bestimmten Regionen zu einer Verknappung von
Lebensmitteln führen. Das wird steigende Preise zur Folge haben,
Nahrungsmittelherstellung wird einen höheren Stellenwert bekommen.
Auch in reichen Ländern werden wir uns damit abfinden müssen, dass
Nahrungsmittel teurer werden. Für die Schweizer ist dies vielleicht
weniger ein Problem. In Deutschland ist jedoch die
Zahlungsbereitschaft für Nahrungsmittel extrem niedrig.
Economiesuisse
warnt auch bei uns vor höheren Lebensmittelpreisen, wenn wir der
Fair-Food-Initiative zustimmen.
Wenn
wir eine bessere Qualität der Lebensmittel wollen, müssen die
Preise steigen und unsere Zahlungsbereitschaft muss wachsen. Wir
müssen auch unser Bewusstsein schärfen, dass wir Nahrungsmittel
sozial verträglich produzieren müssen. Nicht nur bei uns, sondern
gerade auch in Entwicklungsländern. Das wäre auch ein wirksames
Mittel, um die Migration der Menschen aus Afrika nach Europa zu
verlangsamen.
Wie
hält es Bühler mit der Gentechnik?
In
diesem Bereich sind wir nicht tätig. Aber wir verfolgen die
Entwicklung sehr genau und schauen, was das für uns bedeuten könnte.
Unsere Entwicklung arbeitet jedoch intensiv auf dem Gebiet von
alternativen Proteinen. Konkret sind wir ins Business mit
Insekten-Proteinen eingestiegen und bieten Maschinen und Equipment
für Hersteller von Insektenprotein an.
Stellen
Sie die berühmt-berüchtigten Insekten-Burger her?
Nein,
Bühler produziert selber keine Insektenproteine, wir sind ein
Technologiekonzern. Unsere Kunden bewegen sich vor allem im
Tierfutter-Bereich, hier liegt zurzeit das grösste Potenzial. Es
geht uns darum, neue Nahrungsmittel-Quellen zu erschliessen und so
den Druck auf die Umwelt zu vermindern. Wir arbeiten auch daran, wie
wir mit Biotechnologie und unseren Technologien Proteine herstellen
können.
Konkret:
Künstliches Fleisch?
Ja,
wir befassen uns mit der Forschung zur Herstellung von Clean Meat,
von Fleisch, das im Labor hergestellt wird. Dieses Fleisch wird mit
Stammzellen gezüchtet. Wir untersuchen, wie unsere Technologien in
dieser Produktionskette genutzt werden können.
Bei
Insekten-Burgern und Laborfleisch geht es auch darum, den Ekel der
Menschen zu überwinden. Wie stehen Sie persönlich dazu? Haben sie
schon einen Insekten-Burger gegessen?
Ja,
ich habe Insekten gegessen. Ich glaube, es waren
Heuschrecken. Sie waren getrocknet und schmeckten wie Chips. In
vielen Stammesgesellschaften galten Insekten einst als Delikatesse.
Sie sind ja auch sehr proteinreich. Bei uns müssen wir jedoch
zunächst die Ekel-Hürde überwinden. Es ist wie mit Pferdefleisch,
das viele Menschen ebenfalls nicht essen, weil sie sich ekeln.
Haben
wir vielleicht bald keine andere Wahl, als Insekten-Burger und
Laborfleisch zu verzehren?
Ich
kann mir vorstellen, dass in bestimmten Gegenden der Welt Tierzucht
und der Import von Fleisch extrem teuer werden wird.
Vorläufig
ist Laborfleisch noch unerschwinglich. Wird sich dies bald ändern?
Die
Kosten werden sinken. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Clean
Meat – was den Preis betrifft – dereinst mit dem herkömmlichen
Fleisch konkurrenzieren kann.
Wie
werden wird uns im Jahr 2050 ernähren?
Ich
hoffe, dass unsere Nahrung dann viel stärker pflanzenbasiert sein
wird. Der Konsum von Fleisch wird – pro Kopf gesehen – deutlich
zurückgehen müssen. Nur so werden wir die rund neun Milliarden
Menschen, die es dann voraussichtlich auf der Erde geben wird,
ernähren – und nur so werden wir einen Klimakollaps verhindern
können.