Selbstgelenkte Autos, Drohnen und Smart Cities
– das sind die Schlagwörter der Stadt der Zukunft. Sie sprechen von Rolltreppen
und Liften. Weshalb?
Städte entwickeln sich
dreidimensional und vertikal, will heissen, was hoch oben und tief unten
geschieht, wird immer wichtiger. Deshalb ist es so wichtig, wie wir nach oben
oder nach unten gelangen.
Was ist typisch für vertikale Städte?
Dass alles aufeinander
geschichtet wird. Die ganze Logistik von Containerhäfen beispielsweise wird
zunehmend vertikal.
Sie schlagen vor, wir sollten Lifte als Teil
des öffentlichen Verkehrs betrachten.
Wenn die Häuser immer
höher werden, verbringen wir immer mehr Zeit in Liften. Der Lift wird zu einem
entscheidenden Hilfsmittel, damit die Menschen überhaupt noch am Leben
teilnehmen können. Überspitzt könnte man sagen: Der Lift wird
überlebensnotwendig.
Das ist ganz nett, wenn Sie in einem der neuen
Luxus-Hochhäuser wohnen.
Ja, dann stehen Ihnen modernste
Lifte von hervorragender Qualität zur Verfügung. In vielen Hochhäusern mit
Sozialwohnungen hingegen wird das ein ernsthaftes Problem. Oft sind die Lifte
monatelang kaputt. In den Vororten von Paris beispielsweise gibt es bereits Gepäckträger, die alten Menschen
Lebensmittel die Treppen herauftragen müssen.
Wohnt man heute hoch über dem Boden, weil man superreich ist? Heute kosten in
Städten wie Zürich, New York oder London Appartements zweistellige Millionenbeträge.
Nach dem Zweiten
Weltkrieg haben Architekten wie Le Corbusier begonnen, den Wohnraum möglichst
weit von der Strasse zu entfernen. Die Strasse galt als schmutzig und
gefährlich. Man wollte die Menschen möglichst nahe an die Sonne bringen. Heute
haben Stararchitekten dieses Konzept für die Superreichen entdeckt.
Was sind die Folgen?
In Städten wie London,
Vancouver und New York werden massenhaft neue Luxus-Hochhäuser gebaut. Viele
dieser Luxuswohnungen sind Spekulationsobjekte geworden und stehen die meiste
Zeit leer. Das ist verheerend. Diese Gentrifizierung vertreibt die
mittelständischen Familien aus den Städten, weil sie die Mieten nicht mehr
bezahlen können. Gerade nützliche Berufe wie Krankenschwestern, Polizisten und
Feuerwehrmänner weichen in die Agglomeration aus. Auch Künstler können sich
diese Städte nicht mehr leisten. Kurz: Das Leben wird aus diesen Städten
vertrieben.
Der bekannte Wirtschaftsgeograf Richard Florida
schwärmt von der neuen Kreativität in den Städten. Was halten Sie davon?
Wir erkennen zunehmend,
dass zu viele Superreiche in einer Stadt die Kreativität abwürgen. Normale
Menschen können heute etwa in London de facto nicht mehr leben. Das gleiche
Problem zeichnet sich in San Francisco ab. Die neuen Luxus-Hochhäuser werden
oft auf dem gleichen Boden errichtet, auf dem vorher die Sozialwohnungen
gestanden haben. In Anlehnung an «ethnische Säuberung» spricht man deshalb bereits
von «sozialer Säuberung» in diesen Städten. In Vancouver hat es Tausende von
Luxus-Appartements, in denen nachts nicht einmal das Licht brennt. Dabei ist die
kanadische Wirtschaft derzeit keineswegs in Hochform.
Wie kann man Ihre vertikale, dreidimensionale
Stadt der Zukunft sozial verträglich gestalten?
Der Staat muss eine
zentrale Rolle spielen. Der Mythos, dass der Markt es richten wird, ist Unsinn.
Die Spekulation muss reguliert und der Boden kontrolliert werden. Nur so kann
eine sozial verträgliche Wohnkultur in den Städten gedeihen. Die technischen
Voraussetzungen und das Knowhow dazu haben wir.
Zürich ist eine sehr reiche Stadt. Doch
gleichzeitig sind rund ein Drittel der Wohnungen im Besitz von Genossenschaften
oder der öffentlichen Hand. Ist das der richtige Weg?
Das ist ausgezeichnet.
Diese Tradition muss unbedingt erhalten bleiben, aber gleichzeitig müssen die
Immobilien stets auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden.
Was ist mit Wohneigentum? Dank den tiefen
Hypothekarzinsen ist heute eine Eigentumswohnung oft billiger als eine
Mietwohnung.
Wohneigentum wird für
die Mehrheit der Menschen keine Option sein, obwohl es aus politischen Gründen in
den letzten Jahrzehnten zu einer Obsession geworden ist. Wir müssen uns jedoch
damit abfinden, dass wir eine Gesellschaft von Mietern werden. Auch gut verdienende
Mittelständler können sich beispielsweise in London keine Wohnung mehr kaufen.
Wie halten Sie es mit dem Urban-Gardening-Trend?
Die Städte befinden
sich in einer ökologischen Krise. In Indien und in China sterben jährlich
Millionen von Menschen, weil die Luft so verpestet ist. Deshalb muss Urban
Gardening ein integraler Bestandteil der Städte werden. Auch in Europa ist die
Luftverschmutzung ein Killer, vor allem wegen den Dieselmotoren. Wir brauchen
daher eine radikale Revolution im Transportwesen.
Denken Sie an selbstgelenkte Elektroautos?
Ich denke vor allem an
das altmodische Velo. In vielen Städten Europas ist es viel zu gefährlich, mit
dem Fahrrad unterwegs zu sein.
In Zürich beispielsweise gibt es mehr Unfälle
mit Velos als mit Autos.
Ich finde das absurd.
Das Velo verbrennt kein Benzin oder Diesel. Wir müssen nicht Milliarden an
dubiose Ölscheiche oder Oligarchen abliefern. Velofahren macht physisch und
psychisch fit, bekämpft Fettleibigkeit und Depressionen. Deshalb brauchen wir weder
Drohnen noch selbstgelenkte Autos. Das Velo ist die beste Lösung. Wenn wir die
Autos aus der Stadt verbannen, dann haben wir genügend Raum, um sie grün zu
gestalten.
Was ist mit Trams und Untergrundbahnen?
Die werden wir
weiterhin brauchen. Selbst in Amsterdam oder Kopenhagen sind nicht alle
Menschen mit dem Fahrrad unterwegs.
Wie wollen Sie Arbeiten und Wohnen in Ihrer
vertikalen Stadt unter einen Hut bringen?
Die Wirtschaft wird
zunehmend digital, es gibt immer weniger dreckige Fabriken. Deshalb wird es
auch immer weniger nötig sein, Arbeiten und Wohnen zu trennen. Wir können somit
die Nachbarschaften attraktiver gestalten. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch
weiterhin zentrale Orte brauchen werden, Universitäten beispielsweise, oder
Konferenzzentren.
Der neue Gegensatz ist nicht nur reich gegen
arm, sondern auch Stadt gegen Land. Wie kann dieser Graben überwunden werden?
Es gibt eine anti-kosmopolitische,
rechtspopulistische Bewegung. Für sie gelten Städte als unpatriotisch, als
Fremdkörper in der Nation, als
multikulturelle, sexuell anrüchige Sündenpfuhle. Die traditionelle
Arbeiterbewegung ist in den Städten zusammengebrochen. Das Resultat ist
Fremden- und Frauenfeindlichkeit. Wir müssen diesen Gemeinschaften wieder eine
wirtschaftliche Zukunft in den Städten ermöglichen. Das ist eine gewaltige
Herausforderung.