Manchmal tun sie erst so, als ob sie etwas kaufen wollen. Doch wenn die Extremisten des Islamischen Staats in die Läden kommen, machen sie schnell unmissverständlich klar, was sie eigentlich wollen. Ihre Botschaft ist immer dieselbe: «Gebt uns Geld!»
Auch der Besitzer eines Lebensmittelgeschäftes in der irakischen Stadt Mossul denkt mit Schrecken daran zurück, wie sunnitische IS-Milizen einen Sprengsatz vor seinem Laden zündeten, weil er die geforderte «Steuer» nicht zahlen wollte. Seinen Namen will er aus Angst vor den Islamisten nicht nennen.
Nach anfänglicher Weigerung habe er in diesem Jahr bereits sechs oder sieben Mal jeweils 100 Dollar gezahlt. «Wer das nicht tut, wird entführt. Dann wird von der Familie Lösegeld gefordert.» Die Zahlungswilligen erhalten schliesslich eine Quittung: «Wir haben von Herrn ... eine Summe in Höhe von ... zur Unterstützung der Mudschaheddin erhalten.»
«Ihr Steuersystem ist gut durchorganisiert», sagt ein weiterer irakischer Kaufmann, der inzwischen aus Frust und Furcht vor den IS-Kämpfern seinen kleinen Laden dicht gemacht hat und seinen Lebensunterhalt als Taxifahrer verdient. «Sie holen sich ihr Geld von kleinen Händlern, Tankstellenbesitzern, kleinen Fabriken, grossen Unternehmen, ja sogar von Apothekern und Ärzten.»
Geldflüsse von wohlhabenden Privatpersonen aus der Golfregion spielen hingegen eine immer geringere Rolle. Der internationale Druck auf diese Financiers wächst, die Quellen versiegen mehr und mehr. Erst im vergangenen Monat hatten die USA drei Männer, die angeblich Gelder aus Kuwait an Extremisten im Irak und Syrien weitergeleitet hatten, mit Sanktionen belegt. Zwei von ihnen, beide bekannte Geistliche, wurden kurzzeitig inhaftiert.
«Wäre ich Finanzchef des IS, würde ich diese Entwicklung genau im Auge behalten», sagt der Experte für Finanzen und Sicherheit vom Royal United Services Institute (RUSI), Tom Keatinge. «Wenn ich Geld aus den Golfstaaten erhielte, wüsste ich an einem gewissen Punkt, dass dies immer schwieriger würde.»
Diese Finanzlücke ist von den Extremisten im Zuge ihres Vormarschs im Irak und Syrien anderweitig geschlossen worden: Der Verkauf von Öl hat sich inzwischen zu einer sprudelnden Geldquelle entwickelt – vermutlich zu der wichtigsten. Experten zufolge hat der Islamische Staat im Irak mittlerweile Zugang zu fünf Ölfeldern, jedes davon mit 40 bis 70 Ölquellen. «Sie handeln über ein ausgeklügeltes Netz von Mittelsmännern», erklärt Luay Al-Chatteeb vom Brookings Doha Center. Das Forschungsinstitut hat sich intensiv mit dem Ölschmuggel des Islamischen Staats beschäftigt.
Über verschiedene Wege gelange das Erdöl hauptsächlich in die Türkei. Nach Schätzungen Chatteebs kann der IS täglich 25'000 Barrel (1 Barrel entspricht 159 Liter) Öl fördern. Diese brächten rund 1,2 Millionen Dollar ein, selbst wenn sie zu einem Discount-Preis verkauft würden.
Um seine finanzielle Unabhängigkeit weiter zu fördern, setzt der Islamische Staat darauf, besonders Finanz- und Handelszentren unter seine Kontrolle zu bringen. «Es hat keinen Zweck, riesige Wüsten zu erobern», sagt Keatinge.
Ebenfalls als sehr lukrativ erwiesen hat sich zuletzt die Erpressung von Lösegeldern für entführte Ausländer. So sollen Medienberichten zufolge allein im April 18 Millionen Dollar für die Freilassung französischer Geiseln geflossen sein. Die französische Regierung erklärte umgehend, sie zahle keine Lösegelder.
Alle Finanzflüsse zusammengenommen, dürften dem Islamischen Staat am Jahresende 100 bis 200 Millionen Dollar Gewinn bleiben, schätzt Patrick Johnston vom US-Forschungsinstitut RAND Corporation. «Sie machen immer mehr Geld, stossen militärisch auf immer weniger Gegenwehr. Die Frage ist, was sie daraus machen.» (whr/kub/sda/reu)