Julien Borel verpackte seine handfeste Kritik an der Politik nicht einmal in nette Worte. Zürich komme ihm vor wie «eine schlecht organisierte Fussballmannschaft», die zwar die Champions League gewinnen wolle, aber dies bitteschön ohne Ausländer im Team und ohne zur zweiten Halbzeit noch einmal raus aufs Spielfeld zu kommen.
Borel ist leitender Ingenieur beim Internetgiganten Google. Seine Vorwürfe in der gestrigen Ausgabe der «NZZ am Sonntag» gelten dem Umgang mit Ausländern aus Drittstaaten und der aus seiner Sicht absurden Pflicht zur Arbeitszeiterfassung. So werde die Rekrutierung von hochqualifizierten Mitarbeitern erschwert. Mehrere Leute von ausserhalb der EU seien deshalb schon nach London geschickt worden statt, wie ursprünglich vorgesehen, von der Schweiz aus zu arbeiten. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich habe Google «einen Strich durch die Rechnung gemacht» und keine Arbeitsbewilligungen erteilt, so Borel. Er warnt: «Zürich muss mehr Zuwanderung zulassen, sonst wird der Standort an Bedeutung verlieren.»
Und wie reagiert der Chef des kritisierten Amtes? Mit Verständnis. «Die Kritik ist nachvollziehbar», sagt Bruno Sauter, Generaldirektor des AWA, zur «Nordwestschweiz». Allerdings habe sie den falschen Adressaten. Das Problem liege bei den Kontingenten für Nicht-EU-Staaten. «Wir können da gar nichts machen.»
Wie viele hochqualifizierte Ausländer aus Drittstaaten in die Schweiz kommen dürfen, gibt die Berner Politik vor. Momentan sind es 6500 pro Jahr, davon 2500 mit Aufenthaltsbewilligung (B) und 4000 mit Kurzaufenthaltsbewilligung (L). Die Hälfte davon wird an die Kantone verteilt, die andere Hälfte bleibt als Reserve beim Bund. Jeweils im Herbst werden die Höchstzahlen für das folgende Jahr festgelegt – Ende 2014 kürzte der Bundesrat die Kontingente für das laufende Jahr um 1000 «B»-Bewilligungen und 1000 «L»-Bewilligungen. Es war die erste Kürzung seit vier Jahren. Für 2016 gibt es keine Änderungen.
Behörden wie das AWA stellt dies vor Probleme. «Unser Kontingent war im Mai bereits aufgebraucht», sagt Sauter. Anträge gebe es jedoch zuhauf. Die Mitarbeiter bringe dies in eine äusserst unangenehme Lage: «Sie müssen auswählen, welchem Unternehmen man die Bewilligung verwehrt.» Google sei bei weitem nicht die einzige Firma, die bei Sauter deshalb vorstellig werde. «Über uns sind in letzter Zeit heftige Stürme hereingebrochen», sagt der Amtschef.
Die Wirtschaft sieht Sauter dennoch in der Pflicht. Von dieser Seite aus sei zu wenig unternommen worden, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Aktuell befinde man sich in Gesprächen mit verschiedenen Verbänden und Institutionen. «Wir sind nicht untätig», bekräftigt Sauter.
Der Bundesrat müsse sich bewusst sein, was er mit den Kontingenten bewirke, so Sauter weiter. Er fordert mehr Transparenz von den zuständigen Departementen, namentlich von jenem für Wirtschaft von Johann Schneider-Ammann und dem für Justiz von Simonetta Sommaruga.
Transparenz und die Diskussion über Kontingente reicht jedoch nicht jedem. Für den scheidenden FDP-Präsidenten Philipp Müller etwa liegt das Problem noch tiefer – nämlich bei jenen Einwanderern aus Drittstaaten, die nicht über die Fachkräfte-Kontingente ins Land kommen, sondern auf anderen Wegen. Zum Beispiel über den Familiennachzug oder die Anerkennung als Flüchtlinge. Bis zu 45'000 pro Jahr seien dies, «aus Drittstaaten kommen also über 15-mal mehr gar nicht über die Fachkräfte-Kontingente zum Arbeiten», sagt Müller. Hier müsse man ansetzen, dann sähe die Diskussion um Kontingente anders aus.
Vom überaus deutlichen Vorstoss des hochrangigen Google-Ingenieurs mitten aus dem «Googleplex», dem fast 200'000 Quadratmeter grossen Hauptsitz im kalifornischen Mountain View, dürften die Beteiligten trotz allem überrascht gewesen sein. Schliesslich gibt es traditionell eine enge Verbindung zwischen dem IT-Giganten und der Schweiz: Nirgendwo ausserhalb der USA sitzt Google länger als in der Eidgenossenschaft. Mit zwei Mitarbeitern kam das IT-Unternehmen im Jahr 2004 nach Zürich und eröffnete dort seinen allerersten Auslandsstandort. Seither wurde ein Gebäude nach dem anderen dazugemietet und Mitarbeiter zu Hunderten ins Land geholt. Heute arbeiten rund 1600 Menschen aus 75 Nationen für Google in Zürich.
Auf Anfrage erklärt denn auch Matthias Meyer, Unternehmenssprecher von Google Schweiz: «Wir suchen ständig nach neuen Talenten und halten uns dabei an die gegebenen Rahmenbedingungen. Wir lieben es, in Zürich zu sein und werden hier weiterhin in den Standort Schweiz investieren und Mitarbeiter einstellen.» Die Aussagen von Herrn Borel seien persönlicher Natur gewesen und entsprächen nicht der Position des Unternehmens.