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Kritik an Bachelor-Studenten: Hat die Schweiz das Bologna-System nicht verstanden?

Kritik an Bachelor-Studenten: Hat die Schweiz das Bologna-System nicht verstanden?

Laut einer Studie sind viele Arbeitgeber in Deutschland unzufrieden mit akademisch ausgebildeten Mitarbeitern. SP-Nationalrat Rudolf Strahm sieht das Problem bei der universitären Ausbildung. Personalmanagement-Experte Matthias Mölleney sagt: Wir haben das Bologna-System nicht verstanden.
18.05.2015, 11:4319.05.2015, 09:49
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Studenten haben immer frei, trinken gerne einen über den Durst und haben keine Ahnung vom realen Arbeitsleben. Dies sind gängige Meinungen über die «Bildungselite» der Schweiz. Letzteres scheint eine Umfrage in Deutschland zu bestätigen: Viele Arbeitgeber sind nicht zufrieden mit ihren Angestellten mit universitärem Abschluss.

2011 gaben 63 Prozent der befragten Unternehmen an, ihre studierten Arbeitnehmer hätten ihre Erwartungen erfüllt. 2014 sahen dies nur noch 47 Prozent so, sagte Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). Es scheint so, als ob die Bologna-Reform doch nicht den versprochenen Erfolg mit sich brachte. Viele Studenten haben nach wie vor Mühe, einen festen Arbeitsplatz zu finden und werden oft nur als Praktikanten angestellt. 

Geistes- und Sozialwissenschaftler haben's am schwierigsten

Rudolf Strahm war Preisüberwacher und Nationalrat für die SP. Heute setzt er sich für die Berufslehre ein.
Rudolf Strahm war Preisüberwacher und Nationalrat für die SP. Heute setzt er sich für die Berufslehre ein.Bild: KEYSTONE

Der Grund dafür ist laut dem ehemaligen SP-Nationalrat Rudolf Strahm klar: «Ein Bachelor-Abschluss an einer Universitären Hochschule ist meist nicht arbeitsbefähigend.» Strahm setzte sich in seinem Buch «Die Akademisierungsfalle» unter anderem mit dem Problem der Theorielastigkeit von Universitären Hochschulen auseinander.

Man müsse allerdings differenzieren: «Praxisorientiertere Studienfächer wie Medizin und Jura sowie technische Studiengänge versprechen rasch gute Chancen auf einen festen Arbeitsplatz, grosse Mühe haben Absolventen von geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern», so Strahm weiter.

Anders ist dies laut Strahm bei Fachhochschulen: Sogar mit einem Bachelor-Abschluss an einer Fachhochschule – mit Ausnahme der Hochschulen der Künste – habe man grössere Chancen auf einen festen Arbeitsplatz, als mit einem Master-Abschluss an einer universitären Hochschule.

Werden sich also viele Studenten mit den Problemen bei der Arbeitssuche abfinden müssen?

Matthias Mölleney ist Leiter des Centers for Human Resources Management and Leadership 
an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).
Matthias Mölleney ist Leiter des Centers for Human Resources Management and Leadership an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ).screenshot peopleXpert.ch

Nein, meint Matthias Mölleney, Experte für Personalmanagement. Das Problem sei, dass die Studenten die Chancen, die ihnen die Bologna-Reform gegenüber dem vorherigen Lizsystem bieten, nicht nutzen würden:

«Die Bologna-Reform sollte eigentlich die beiden Studiengänge Bachelor und Master trennen, damit die Studenten dazwischen erste Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln können. Leider wird dies nicht genutzt und viele Studenten wollen ihr Studium so schnell wie möglich hinter sich bringen.»
Matthias Mölleney, personalmanagement-experte

Dies sei ein schwerer Fehler: «Wir müssen wegkommen vom Gedanken, dass wir mit 25 ausgelernt haben und dann den Rest unseres Lebens arbeiten. Der ideale Weg ist, kontinuierlich zu lernen und gleichzeitig zu arbeiten.» Ein Bachelor-Student solle also während seines Studium erste Arbeitserfahrungen sammeln und nach dem Abschluss drei bis vier Jahre echte Verantwortung in der Arbeitswelt übernehmen. Erst dann sollte er oder sie mit dem Master beginnen. «So kann man seine Berufsaussichten nach dem Master deutlich verbessern», so Mölleney.

Sind auch Schweizer Arbeitnehmer unzufrieden?

Die ABB Schweiz habe bisher nur gute Erfahrungen mit Uni-Absolventen gemacht. «ABB Schweiz ist auf hervorragend ausgebildete Berufsleute sowie Hochschulabsolventen angewiesen», sagt Mediensprecher Markus Gamper. «Oftmals bringen Studierende frischen Wind in die Abteilung. Eine gewisse Einarbeitungsphase in vorhandene Arbeitsprozesse und die Kultur am Arbeitsplatz gehören dazu.»

Deshalb betreibt ABB Schweiz sogenannte «Traineeships», also etwas ähnliches wie Praktika. «Wir bieten Studierenden (auch während laufendem Studium und vor Bachelor-Abschluss) Praktika an, welche oftmals die Chance auf eine Weiterbeschäftigung bei ABB Schweiz mit sich bringen», so Gamper weiter.

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«Durchwegs positive Rückmeldungen»

Auch die UBS nimmt Studenten unter ihre Fittiche. «Rund 250 Studierende absolvieren jedes Jahr ein 6-monatiges Internship oder ein 10-wöchiges Summer Internship bei UBS, in welchem Erfahrungen in mehreren Abteilungen der Bank gesammelt werden können», so Mediensprecherin Eveline Müller Eichenberger.

Hier seien solche «junge Talente» sehr geschätzt: «Wir erhalten sehr viele positive Rückmeldungen zu unseren jungen Talenten. Unsere Trainees sind nach Absolvieren der Programme optimal für den Übertritt in spannende und verantwortungsvolle Positionen vorbereitet.»

Der Pharmakonzern Novartis kann die Resultate der Studie ebenfalls nicht bestätigen. «Grundsätzlich stellt sich das in der Studie angesprochene Problem für Novartis jedoch nicht, da wir als sehr attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden und entsprechend aus vielen Bewerbungen die besten Talente auswählen können», sagt Mediensprecher Satoshi Jean-Paul Sugimoto.

Rumhängen während des Studiums? Das kommt für die meisten nicht in Frage.
Rumhängen während des Studiums? Das kommt für die meisten nicht in Frage.Bild: KEYSTONE

Die meisten Studenten versuchen, während des Studiums zu arbeiten

Die Universität Zürich nimmt Stellung zu den Vorwürfen, ihre Studenten bis zur Arbeitsunfähigkeit zu akademisieren: «Die akademische Bildung an der UZH befähigt die Studierenden, Probleme zu erfassen, diese zu lösen und leitet sie zu eigenständigem Denken und Handeln an. Damit fördert die UZH neugierige, kritikfähige und verantwortungsbewusste Menschen, was für ein erfolgreiches Berufsleben grundlegend ist», so Nathalie Huber, Mediensprecherin der UZH. 

Huber will aber eines klarstellen: «Es ist die Aufgabe der Universität Zürich, die Studierenden wissenschaftlich zu bilden.» Den Eintritt in die Arbeitswelt muss sich jeder Student individuell verschaffen, zum Beispiel über Praktika oder mit Teilzeit-Stellen. Laut einer Umfrage des Bundesamtes für Statistik sammeln 70 Prozent aller Schweizer Studenten während ihres Bachelor-Studiums so Berufserfahrung.

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28 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pun
18.05.2015 12:58registriert Februar 2014
"Ein Bachelor-Student solle also während seines Studium erste Arbeitserfahrungen sammeln und nach dem Abschluss drei bis vier Jahre echte Verantwortung in der Arbeitswelt übernehmen. Erst dann sollte er oder sie mit dem Master beginnen."
Haha, wie denn, wenn man als Bachelor-Absolvent keine Stelle findet und der Masterabschluss für viele Studiengänge erst befähigt?
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elivi
18.05.2015 12:55registriert Januar 2014
Lol, der titel dieses artikels meint die schweiz hat probleme dabei gings um ne deutsche studie und grosse schweizer unternehmen wiedersprechen der studie.
also ich und mein akademischer abschluss denken der titel is irreführend
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weisse Giraffe
18.05.2015 13:48registriert August 2014
*seufz* Manche Klischees werden nicht wahrer, wenn man die regelmässig wiederholt. Geistes- und Sozialwissenschaftler sind alles andere als Unnütz für eine langfristig erfolgreiche Wirtschaft und ich würde die gewagte These in den Raum werfen, dass jene Firmen eine glänzende Zukunft haben, die dieses Potential für sich abrufen können.

Die Fehlannahme ist, dass man in einem solchen Studium nichts "nützliches" lernt, weil die Studieninhalte oft nicht direkt praxisrelevant sind. Was man aber in jedem geistes- und sozialwissenschaftlichen Studium lernt, ist ein variables und doch wissenschaftlich rigoroses Arsenal an Methoden und Herangehensweisen an Unbekanntes.

Im Gegensatz zu den direkten Studieninhalten sind diese Methoden an jeden Kontext anpassbar und anwendbar. Damit entsteht eine flexible, formbare Reserve an Arbeitnehmenden, die man mit vergleichsweise wenig Zusatzaufwand überall einsetzen kann und die sich schnell neues Wissen aneignen könnne. Man kann diese Leute mit diesen Methoden somit sehr schnell und effizient auf neue Situationen loslassen.

Klar entsteht daraus nicht unmittelbar ein neues Produkt, weil die Methoden für Umfeldanalysen, Zusammenhänge, gesellschaftliche Dynamiken, Kundenwünsche, Firmenklima, Marktpotential etc. nützlich sind, die man anschliessend in die Produktgestaltung einfliessen lassen kann.

Wer glaubt, da wäre kein komparativer Vorteil dahinter, der braucht nur mal Software zu nutzen, die zwar alle quantifizierbaren Ingenieursrequirements perfekt erfüllt... aber die so nutzerunfreundlich ist, dass man sie am liebsten nach 2 Minuten an die Wand klatschen würde.

In einer immer komplexeren und schneller werdenden Welt braucht ein nachhaltig erfolgreiches Unternehmen mehr als nur gute Ingenieure - sie brauchen *zusätzlich* Leute, die Methoden haben, mit deren Hilfe den wandelnden Kontext lesen, mit den Ingenieuren zusammenarbeiten und ihnen den Rücken freihalten können. Brückenbauer, Kreativköpfe, Organisatoren...

Aber vielleicht ist es dafür einfach noch zu früh und es müssen noch ein paar Dinosaurier mehr untergehen.
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