Wirtschaft
Schweiz

Almosen für die Bauern? Bäuerin Christine Bühler zum BGE

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bild: laurent burst
Interview

Bäuerin Christine Bühler zum Grundeinkommen: «Niemand teert bei 35 Grad freiwillig eine Strasse»

Ohne staatliche Gelder müsste Christine Bühler den Milchwirtschaftsbetrieb aufgeben. Einem Grundeinkommen steht sie dennoch skeptisch gegenüber. Sie sagt, dass diese Idee wohl nur bei akademischen Berufen funktionieren würde.
16.05.2016, 11:0516.05.2016, 13:03
nadja schnetzler / bref magazin
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Frau Bühler, angenommen, die Bauern erhalten in Zukunft vom Staat keine Direktzahlungen mehr, dafür ein Grundeinkommen von 2500 Franken je Familienmitglied. Was hätte das für Ihren Betrieb für Auswirkungen?
Christine Bühler: Die Pouletmast könnten wir wohl weiterführen, die Milchwirtschaft müssten wir sofort einstellen. Und wie stark wir dann das Land noch bewirtschaften könnten, kann ich auch nicht sagen, da die Milchwirtschaft an die Landbewirtschaftung geknüpft ist. Selbst wenn wir die Poulets noch weiterproduzieren würden, bliebe die Frage, ob dann noch jemand in unserer Pouletmetzgerei arbeiten wollte. Nur Spezialkulturen mit Gemüse, Aprikosen oder Kräutern sind selbsttragend. Einen Hof mit Milch, Fleisch und Getreide selbstfinanziert zu betreiben ist heute aber praktisch unmöglich.

bref magazin
bref ist das Magazin der reformierten Kirchen. In der aktuellen Nummer zeigt bref 12 Ansichten von Frauen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Das Themenheft entstand in Zusammenarbeit mit dem Institut Zukunft. watson hat drei Interviews übernommen.

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Die Umstellung auf ein Grundeinkommen würde ja nicht von heute auf morgen stattfinden.
Nun ja, das stimmt. Die Schweiz könnte es auch einfach ausprobieren, schliesslich sind wir ein kleines Land. Wenn es nicht funktioniert, lässt sich ja wieder Gegensteuer geben. Und ob die diskutierten 2500 Franken der richtige Betrag sind, ist ja auch nicht unbedingt klar. Das müsste man alles testen. Ich finde die Idee, ein neues System zu suchen, um die Sozialleistungen auch in Zukunft erbringen zu können, sehr wichtig. Da sollte man alles prüfen, auch das Grundeinkommen. Dennoch frage ich mich, ob sich nicht zu viele aus der Verantwortung ziehen, wenn es ein Grundeinkommen gäbe. Was ist dann mit der Pflegefachfrau, die vielleicht nur noch fünfzig Prozent arbeiten will? Fällt am Ende das gesamte Gesundheitssystem auseinander?

«Die Schweiz könnte es auch einfach ausprobieren, schliesslich sind wir ein kleines Land. Wenn es nicht funktioniert, lässt sich ja wieder Gegensteuer geben.»
Christine Bühler, Landwirtin

Vielleicht würde die Pflegefachfrau mit der Hälfte ihres Pensums motivierter arbeiten? Und es gäbe Platz für eine weitere Person, die fünfzig Prozent arbeiten will?
Ja, das kann sein. Und vielleicht würde die Gesellschaft solche Berufe dann auch durch eine andere Brille sehen. Vielleicht würden diese Jobs auch einen besseren Ruf haben. Wer weiss. Heute wollen Jugendliche ja kaum mehr Berufe erlernen, in denen körperlich gearbeitet wird. Kopfarbeit hat einen besseren Status als die handwerkliche Arbeit. Das finde ich eine bedenkliche Entwicklung.

Das heisst, ein Grundeinkommen könnte den Status gewisser Arbeiten verändern?
Vielleicht. Ich würde das begrüssen. Denn ohne den Gerüstbauer lässt sich kein Haus renovieren. Und wenn immer weniger Personen solche Tätigkeiten ausführen wollen, werden sie vielleicht sogar besser bezahlt. Ich glaube, dass das Grundeinkommen eher in akademischen Kreisen funktionieren würde, nicht aber bei handwerklichen Berufen. Es geht doch niemand bei 35 Grad nach draussen und teert eine Strasse, wenn er nicht muss.

Wem würde ein Grundeinkommen am meisten nützen?
Wohl Eltern mit Kindern. Alleinerziehende Eltern vollbringen einen wichtigen Dienst an der Gesellschaft, der nicht honoriert wird. Ein bedingungsloser Betrag könnte diese Arbeit sichtbarer machen und sie dafür angemessen entlöhnen. Dass ein Grundeinkommen alle Sozialwerke überflüssig macht, glaube ich allerdings nicht. Es wird immer Leute geben, für die man trotz Grundeinkommen sorgen müsste. Und um diese müssen wir uns als Gesellschaft kümmern, gerade weil es die schwächsten sind. Geschieht dies nicht, zerfällt ein Land, eine Gemeinschaft.

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Was beschäftigt die Bäuerinnen in der Schweiz?
Die schwierige Einkommenssituation vieler Betriebe ist ein Dauerbrenner. Dann die mangelnde Wertschätzung der Konsumenten gegenüber Nahrungsmitteln. Wir möchten als Verband aufzeigen, was es alles braucht, bis ein Liter Milch da ist oder ein Brot aus dem Ofen kommt. Dahinter steckt nämlich sehr viel Arbeit. Aber auch die Beziehung von uns Bauern und der Gesellschaft ist etwas, was uns sehr beschäftigt.

Wie meinen Sie das?
Ein Bereich der Gesellschaft zu sein, der Direktzahlungen, also praktisch Almosen von den anderen erhält, das ist für viele nicht einfach. Deshalb kann man fast sagen, dass die Bauern und Bäuerinnen ein Grundeinkommen erhalten. Es ist aber nicht bedingungslos, sondern geknüpft an eine bestimmte Leistung. Dem Selbstbewusstsein tun diese Direktzahlungen aber nicht besonders gut. Gerade die Männer auf den Betrieben leiden oft unter dieser Situation. Und das kriegen natürlich auch die Frauen mit.

«Viele Frauen in meinem Alter sind frustriert, wenn sie auf ihr berufliches Leben zurückblicken. Sie merken, dass sich ihre Leistung nirgends manifestiert hat.»
Bäuerin Christine Bühler

Bauernbetriebe sind in der Regel Familienbetriebe. Ein Grundeinkommen könnte Bäuerinnen auch Unabhängigkeit und Sicherheit verschaffen.
Das Thema der finanziellen Absicherung beschäftigt heute viele Bäuerinnen. Ob ein Grundeinkommen da eine Hilfe wäre, kann ich nicht sagen. Es ist aber bereits heute so, dass Bäuerinnen sich zum Beispiel vom Betrieb einen Lohn auszahlen lassen und dann Arbeitslosengeld beziehen, wenn sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben können. Die Arbeiten auf dem Hof können sie dann im Anstellungsverhältnis in Prozenten angeben und mit den Sozialversicherungen abrechnen.

Warum ist das so wichtig?
Tut die Frau das nicht, ist sie einfach als «nicht erwerbstätig» erfasst und nicht abgesichert. Das ist heute einfach nicht mehr akzeptabel. Eine weitere Möglichkeit ist, die Frau zur Mitbewirtschafterin zu machen. Dazu muss sie aber über eine landwirtschaftliche Ausbildung mit Nachweis verfügen. Von den Bäuerinnen beanspruchen leider viel zu wenige diesen Status. Viele in meinem Alter sind frustriert, wenn sie auf ihr berufliches Leben zurückblicken. Sie merken, dass sich ihre Leistung nirgends manifestiert hat.

Gibt es denn auch Frauen mit eigenem Hof?
Ja, die gibt es immer mehr. Frauen übernehmen häufig Nischenbetriebe an schwierigen und nicht lukrativen Lagen. Dort punkten sie mit extremer Innovation. Das ist eindrücklich zu sehen.

«Aber gerade die Männer haben da im ersten Moment nicht immer Verständnis, wenn ihre Frauen die Selbständigkeit suchen.»
Christine Bühler, Landwirtin

Beispielsweise?
Eine Bäuerin hat angefangen, Apfelringe von ihren Hochstammbäumen zu dörren – heute beschäftigt sie mehrere Angestellte und konnte auch den «Apfelringliturm» im Schweizer Pavillon an der Expo in Mailand beliefern. Aber gerade die Männer haben da im ersten Moment nicht immer Verständnis, wenn ihre Frauen die Selbständigkeit suchen. Sie wollen sich lieber auf die althergebrachten Produkte und Methoden stützen.

Willst du ein bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz?

Was brauchen die Bäuerinnen in Zukunft, damit es ihnen gutgeht?
Neben der festgeschriebenen und effektiven Gleichstellung und einer besseren finanziellen Lage brauchen Bäuerinnen vor allem Raum. Man muss sie machen lassen, sie ihren eigenen Betriebszweig entwickeln lassen.

Was ist Ihre Selbständigkeit innerhalb vom Familienbetrieb?
Wir haben neben unserer klassischen Milchwirtschaft eine Pouletmast aufgebaut, die zusätzlichen Ertrag zu unserem angestammten Geschäft generiert. Unterdessen ist das ein eigenständiger Bereich, für den heute nur ich zuständig bin. Ich wollte das so.

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bild: laurent burst
Christine Bühler ist diplomierte Bäuerin, Präsidentin des Schweizerischen Bäuerinnen- und Landfrauenverbands und Vizepräsidentin des Schweizerischen Bauernverbands.
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Quelle: «Nordwestschweiz»
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162 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Der Beukelark
16.05.2016 13:10registriert Januar 2016
Es geht sehr wohl jemand bei 35 Grad die Strasse teeren und im Altersheim die alten Leute pflegen, wenn halt auch gut entlöhnt wird. Das sich "Büezer" gegen das bedingungslose Grundeinkommen aussprechen ist mir unverständlich. Gerade ihre Berufe würden aufgewertet und besser entlöhnt. Bei den Akademikerm wird sich nicht viel ändern.
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Ril
16.05.2016 13:56registriert Mai 2015
Frau Bühler liefert im Interview jede Menge Argumente für das BGE, aber kaum eines dagegen.
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TodosSomosSecondos
16.05.2016 14:05registriert April 2016
Sicher teert jemand auch bei einem BGE bei 35 Grad die Strasse.. aber vielleicht dann nicht mehr für 3200 im Monat sondern für einen anständigen Lohn. Typisch SVP-Bauern-Heuchlerei. Die Subventionen ermöglichen den Bauern ein anständiges Einkommen, warum das nicht für jedermann möglich machen?
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