Im Herbst 1919 besetzte der italienische Dichter und Militärfreak Gabriele D’Annunzio zusammen mit 2000 Freischärlern die Stadt Fiume (heute Rijeka in Kroatien). In der Folge errichtet er einen Stadtstaat der bizarren Art: Freie Liebe paarte sich mit Militarismus, libertäre Anarchie mit einem Führerkult. D’Annunzio wollte Italien mit einem neuen Krieg wieder zu alter Grösse führen.
In einem Manifest erläuterten D’Annunzio und seine Anhänger ihre Anliegen wie folgt:
D’Annunzios grotesker Stadtstaat ging nach 15 Monaten im Chaos unter. Seine Ideen jedoch überlebten. Sein grösster Bewunderer hiess Bennito Mussolini – und der macht bald dort weiter, wo D’Annunzio aufgehört hatte: mit dem Faschismus.
In der jüngsten Ausgabe von «Foreign Affairs» greift Pankaj Mishra die seltsame Geschichte D’Annuzios auf, und er tut dies mit gutem Grund. Rassismus und religiöser Hass sind wieder auf dem Vormarsch. Frauenhass wird zelebriert und Moral wird als political correctness verhöhnt.
In den Dreissigerjahren waren Philosophen wie Martin Heidegger und Dichter wie Ezra Pound glühende Anhänger des Faschismus. Auch heute findet man im rechtsextremen Lager beileibe nicht nur grölende Glatzköpfe, die Nazi-Parolen skandieren. Der Milliardär Peter Thiel beispielsweise ist einer der Vordenker im Silicon Valley und begründet seine Unterstützung für Trump mit dem Argument, dass dieser mit der Abrissbirne nach Washington gehen und die marode Demokratie zertrümmern würde. Mit den gleichen Argumenten wünscht sich erstaunlicherweise auch der linke Philosoph Slavoj Zizek einen Sieg Trumps.
Stehen wir also vor einem Comeback des Faschismus? Nein, sagt Sheri Berman ebenfalls in «Foreign Affairs. Der neue Populismus sei zwar ein Krisensymptom, aber keine revolutionäre Bewegung wie der Faschismus. Berman argumentiert wie folgt:
Der Faschismus der Zwischenkriegsjahre sei nur möglich gewesen, weil die demokratischen Institutionen noch viel zu wenig weit entwickelt und deshalb instabil waren. «Die meisten Länder hatten noch keine Erfahrung mit der Demokratie – und wussten daher nicht, wie die dazu notwendigen Institutionen funktionierten», so Berman.
Die Grosse Depression gab den jungen Demokratien den Todesstoss. Das Massenelend trieb die Menschen in die Arme von Mussolini und Hitler. «Die Faschisten hatten eine überzeugende Kritik an der Demokratie zu bieten und eine Alternative», so Berman. «(...)In ihrem neuen System würden die Bürger vor den schlimmsten Auswirkungen des Kapitalismus geschützt sein.»
Heute hingegen seien die demokratischen Institutionen viel stabiler, und zudem gebe es auch keine Wirtschaftskrise im Ausmass der Grossen Depression. «Deshalb», so Berman, «haben die rechten Extremisten in den Vereinigten Staaten heute viel weniger Optionen und Gelegenheiten als ihre Gesinnungsgenossen in den Zwischenkriegsjahren.»
Bermans Argumente sind die gleichen wie diejenigen, welche die gemässigten Trump-Fans vorbringen. Als US-Präsident könne er gar keinen grossen Schaden anrichten, sagen sie, weil es im ausgeklügelten System der «checks and balances» der US-Demokratie gar nicht die Möglichkeiten dazu gebe. Eine Mauer gegen Mexiko beispielsweise sei eine Illusion, der Kongress würde niemals die dafür nötigen Mittel bewilligen.
Wer sich auf diese Sichtweise verlässt, geht ein grosses Risiko ein. Trump umgibt sich heute schon mit Beratern, die Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen geben. Sein Wahlkampf-Manager Stephen Bannon ist Chef des Onlineportals Breitbart, das nur noch wenig vom ehemaligen Nazi-Kampfblatt «Stürmer» entfernt ist. «Jeder, der die Rechte des ersten Amendments liebt (das Recht auf freie Meinungsäusserung, Anm. d. Red.), sollte sich grosse Sorgen machen. Bannon hätte beste Chancen, der ideologische Vordenker im Weissen Haus zu werden», schreibt Edward Luce in der «Financial Times».
Trump hat bereits angekündigt, was er im Fall eines Wahlsieges zu tun gedenkt: Hillary Clinton ins Gefängnis werfen, die Folter wieder einführen und einen globalen Handelskrieg vom Zaun reissen. Dazu kommt seine offene Bewunderung für Wladimir Putin, der eben im Begriff ist, seine «gelenkte Demokratie» in eine offene Diktatur zu verwandeln.
Kehren wir zu D’Annunzio zurück. «Er hat seine Verachtung für Frauen eingebettet in einen hypermaskulinen Traum von Grösse, Selbstaufopferung, Macht und Eroberung», stellt Mishra fest. «Diese Phantasie wird heute wieder von aggressiven Männern über alle Rassen und ethnischen, nationalen und religiösen Grenzen geteilt. Von Männern, die überzeugt sind, dass der direkteste Weg zur eigenen Macht über die Beherrschung und Herabsetzung von all denjenigen führt, die verwundbar erscheinen.»
Trotz vermeintlich stabilen demokratischen Institutionen ist Faschismus wieder eine ernsthafte Bedrohung geworden. Ein Wahlsieg Trumps würde den Populisten aller Couleurs gewaltigen Aufwind verleihen. Auch in der Schweiz sähen sich die Kämpfer gegen eine eingebildete Elite, die Blochers, Köppels und Somms, bestätigt.