Wirtschaft
Wissen

Donut-Theorie: Wie wir gut leben können, ohne die Erde zu zerstören

Bild
bild: watson

Die Donut-Theorie sagt uns, wie wir gut leben können, ohne die Erde zu zerstören

Die britische Ökonomin Kate Raworth glaubt, ein Wirtschaftsmodell gefunden zu haben, das die Umwelt schont und die Ungleichheit beseitigt.
31.03.2018, 10:2631.03.2018, 23:30
Mehr «Wirtschaft»

In ihrem Buch «Wie viel ist genug?» legen Robert und Edward Skidelsky den Finger auf den wunden Punkt unserer gegenwärtigen Wirtschaftsordnung: «Der Kapitalismus hat einen unvergleichlichen Fortschritt bei der Schaffung von Wohlstand erzielt», stellen die beiden fest. «Aber er hat uns nicht in die Lage versetzt, zivilisiert mit diesem Wohlstand umzugehen.»

Dieses Paradox treibt auch die britische Ökonomin Kate Raworth um. In ihrem Buch «Die Donut-Ökonomie» stellt sie eine alternative Ordnung vor, die ohne die zerstörerischen Folgeschäden des Kapitalismus auskommt. «Wir haben eine Wirtschaft, die wachsen muss, unabhängig davon, ob dies unser Wohlergehen fördert oder nicht», bemängelt Raworth und fordert stattdessen: 

«Wir brauchen eine Wirtschaft, die unser Wohlergehen fördert, unabhängig davon, ob sie wächst oder nicht.»
Kate Raworth, «Die Donut-Ökonomie»

Zunächst jedoch ein kurzer Rückblick auf die Entstehung der Modelle der klassischen Ökonomie. Am Anfang stand Adam Smith. In seinem legendären Klassiker «The Wealth of Nations» entwickelte er die Idee einer Marktwirtschaft und das Prinzip der «unsichtbaren Hand». Dieses Prinzip führt dazu, dass menschliche Gier und Egoismus dank den Regeln des freien Marktes auf wundersame Weise Wohlstand für alle schaffen.

bild: ap/watson

Smith erkannte wohl das Prinzip der Marktwirtschaft, als Moralphilosoph war er jedoch unfähig, Modelle zu entwickeln, welche es ihm ermöglichten, wirtschaftliche Prozesse zu quantifizieren. Im 19. Jahrhundert übernahmen William Stanley Jevons und Léon Walras diese Aufgabe. Sie formulierten die Gesetzmässigkeiten, die heute noch die Grundlage der Gleichgewichtsmodelle der klassischen Ökonomie bilden.

Dabei stützten sich die beiden auf das erste thermodynamische Gesetz von Isaac Newton. «Wie Newton die physikalischen Bewegungsgesetze entdeckt hatte, welche die Welt von der Ebene eines einzelnen Atoms bis zur Bewegung der Planeten erklärten, so versuchten sie die ökonomischen Bewegungsgesetze zu enthüllen, die den Markt erklärten, vom einzelnen Verbraucher bis zum Nationalprodukt», stellt Raworth fest.

Dank Jevons und Walras konnten Ökonomen nun auf viele Stellen hinter dem Komma die wirtschaftlichen Vorgänge quantifizieren und mit logischen Gleichungen herleiten. In der Theorie gewannen sie damit Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Das Ganze hat jedoch einen Pferdefuss: In der Praxis hatten diese Modelle nur eine entfernte Ähnlichkeit mit der Realität.

In seinem Buch «The Origin of Wealth» beschreibt Eric Beinhocker, wie sich die Ökonomen in ihre Modelle verliebten und den Blick auf die Realität verloren:

«Mit Walras und Jevons begannen die Ökonomen, willkürliche Annahmen über eine perfekte Rationalität zu entwickeln mit dem einzigen Zweck, die Gleichgewichts-Gleichungen zum Funktionieren zu bringen.»
Eric D. Beinhocker, «The Origin of Wealth»

So wie die Priester sich das gemeine Volk vom Leibe hielten, indem sie ihre Schriften in Latein abfassten, schwelgten die Ökonomen nun in ihren mathematisch abgehobenen Modellen. Das änderte sich mit Paul Samuelson.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der amerikanische Professor vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) den Auftrag, ein Ökonomie-Lehrbuch für Ingenieure zu schaffen. Das Resultat war «Economics», das wohl einflussreichste volkswirtschaftliche Grundlagenbuch aller Zeiten. Bis heute werden die Lehrbücher nach diesem Rezept konzipiert, beispielsweise das gleichnamige Lehrbuch von Gregory Mankiw.

Samuelson schaffte es, der Ökonomie ein modernes wissenschaftliches Kleid zu schneidern und ihr so den Anschein von Objektivität zu verleihen. «Gleichungen, so glaubte Samuelson, sollten gewissermassen die Muttersprache professioneller Ökonomen sein und ihnen dazu dienen, konfuses, ungenaues Denken zu sezieren und durch wissenschaftliche Präzision zu ersetzen», stellt Raworth fest.

Die Ökonomie ist heute die Königsdisziplin der Sozialwissenschaften. Ihre Theorien haben einen grossen Einfluss, selbst dann, wenn wir uns dessen nicht bewusst sind.

«Die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sowohl wenn sie im Recht, als auch wenn sie im Unrecht sind, sind einflussreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes beherrscht.» Das wusste schon John Maynard Keynes, der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts.

Im Lichte dieses Keynes-Zitats ist der aktuelle Zustand der Ökonomie bedenklich. Kate Raworth bringt es auf den Punkt:

«Die Bürger des Jahres 2050 werden in einer Geisteshaltung erzogen, die aus den Lehrbüchern aus den 1950er Jahren stammt, die auf den Theorien von 1850 beruhen.»
Kate Raworth, «Die Donut-Ökonomie»
Bild
bild: watson

In der digitalen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts wirken die ökonomischen Theorien wie die Autos auf der Insel Kuba. Seit Jahrzehnten werden sie zwar kunstvoll geflickt, sie sind jedoch hoffnungslos überholt. Wie will man mit dem Homo Oeconomicus, dem Pareto-Gleichgewicht oder dem Zwang nach stetigem Wachstum die Probleme einer Sharing Economy, des Null-Grenzkosten-Wachstums und eines Finanzsystems mit Peerlending und Kryptowährungen in den Griff bekommen?

Kate Raworth versucht es mit der Donut-Ökonomie. Sie will die beiden zentralen Herausforderungen der Menschheit unter einen Hut bringen: Ökologie und Gerechtigkeit. Dabei wählt sie die angelsächsische Süssspeise als Symbol. Das Loch in der Mitte stellt die Gesellschaft und ihre Probleme dar. Die Ökologie bildet den äusseren Rahmen.

Für die beiden Grundprobleme hat George Kuznets eine Kurve erfunden. Berühmt wurde dieser mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Ökonom, weil er in den 1930er Jahren auf Geheiss der US-Regierung das Bruttoinlandsprodukt definiert hat; die Einheit also, die nach wie vor als Massstab für die Grösse und den Wohlstand einer Volkswirtschaft gilt.

Kuznets hat zudem eine Theorie vertreten, die – sehr verkürzt –Folgendes besagt: Es muss zunächst schlechter werden, bevor es besser wird. Darstellen lässt sich die Theorie in einer auf den Kopf gestellten U-Kurve.

Was die Ungleichheit betrifft, stellt die Kuznets-Kurve folgende These auf: Die Einkommensungleichheit muss zuerst zunehmen, bevor sie wieder zurückgehen kann. Auf die USA bezogen, stimmte dies für die 50er Jahre. Der Zweite Weltkrieg hatte für eine so genannte «grosse Kompression» gesorgt, dass die Ungleichheit tatsächlich sank.

Bild
bild: watson

Die Spitzensätze für hohe Einkommen betrugen damals gegen 90 Prozent. Spätestens mit der neoliberalen Revolution in den 80er Jahren nahm die Ungleichheit wieder dramatisch zu. Heute hat sie – wie Thomas Piketty in seinem Buch «Das Kapital im 21. Jahrhundert» nachgewiesen hat – wieder einen rekordhohen Stand erreicht.

Auch die ökologische Kuznets-Kurve ist längst widerlegt worden. Sie will uns glauben machen, dass das Wirtschaftswachstum am Ende die Umweltprobleme, die es verursacht, wieder behebt. Es trifft zwar zu, dass die Menschen mit zunehmendem Wohlstand auch in einer intakten Umwelt leben wollen. Doch sie reduzieren dabei ihren ökologischen Fussabdruck nicht.

Im Gegenteil, der Ressourcenverbrauch einer Gesellschaft nimmt mit zunehmendem Reichtum zu.

«Wenn es sie tatsächlich gibt, wäre die Umwelt-Kuznets-Kurve ein Berg, den zu erklimmen sich die Menschheit nicht leisten kann, weil wir auf seinem Gipfel nicht würden überleben können.»
Kate Raworth, «Die Donut-Ökonomie»
Bild
bild: watson

Die Theorien und Modelle der klassischen Ökonomie werden schon länger in Zweifel gezogen. Es braucht keine überdurchschnittliche Intelligenz, um zu erkennen, dass ihre Grundannahmen fragwürdig sind. Der Homo Oeconomicus, der Mensch, der seine wirtschaftlichen Entscheidungen kühl und rational trifft, wird heute von den Verhaltenswissenschaften demontiert.

Mehrere Versuche sind unternommen worden, um das Bruttoinlandsprodukt neu zu definieren. Es ist absurd, dass wir davon ausgehen, dass Kriminalität und Unfälle uns wohlhabender machen, während Zufriedenheit und Glück in keiner volkswirtschaftlichen Statistik auftauchen. Bisher sind die Versuche, ein alternatives Bruttoinlandsprodukt zu formulieren, gescheitert.

Schliesslich ist auch der Wachstumszwang der Volkswirtschaften längst als Problem erkannt worden. Auf den Punkt gebracht hat dies der US-Ökonom Kenneth Boulding mit seinem inzwischen legendären Zitat:

«Wer in einer begrenzten Welt an unbegrenztes Wachstum glaubt, ist entweder ein Idiot – oder ein Ökonom.»
Kenneth Boulding

Der technische Fortschritt macht es möglich, dass wir dies heute ändern können. Auf unseren Dächern können wir dank Solarzellen erneuerbare Energie herstellen. 3D-Drucker werden globale Supply Chains mit ihren ökologisch unsinnigen Transportwegen überflüssig machen. Vernünftig eingesetzt, können Roboter und künstliche Intelligenz unsere Arbeit humaner machen.

bild: shutterstock/watson

Auch die Arbeitskultur befindet sich im Umbruch: Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verschwindet, starre Hierarchien werden durch flexible, auf Projekte bezogene Gruppen ersetzt. In der Finanzwirtschaft übernimmt das Peerlending traditionelle Funktionen der Banken.

In der Industrie sorgt eine Kreislaufwirtschaft dafür, dass Rohstoffe nicht verschleudert, sondern recycliert werden. Schritt für Schritt entwickelt sich so eine neue Wirtschaftsordnung. Dabei gibt es keine Berührungsängste mit der Tradition. Genossenschaften und das Prinzip der Allmende beispielsweise werden wieder heftig diskutiert, denn sie lassen sich sehr gut mit einer Sharing Economy verbinden.

Die klassischen Modelle der Ökonomie hingegen haben auf die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft kaum brauchbare Antworten. «Es ist wirklich an der Zeit, dass die Ökonomen die törichte Suche nach ökonomischen Bewegungsgesetzen aufgeben», fordert daher Raworth.

«Stattdessen sollten sie an den Designertisch herantreten und Platz nehmen neben jenen innovativen Architekten, Industrieökologen und Produktegestaltern, die an der Spitze der regenerativen Revolution stehen.»
Kate Raworth, «Die Donut-Ökonomie»
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
23 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Blaugrana
31.03.2018 12:32registriert Januar 2017
Interessante Übersicht zu den aktuell gängigen Ökonomie-Modellen. Wie so oft leider bei Watson wirken die Analysen aber irgendwie unfertig. Wie funktioniert nun das Donut-Modell von Raworth? Sind die stabil gehaltenen Annahmen des Modells realistischer? Was sagen andere namhafte ÖkonomInnen dazu? Gibt es auch kritische Rezensionen?
Warte gespannt auf Löpfe‘s 2. Teil zur Thematik! Und hole mir in der Zwischenzeit das Buch. 😊
1940
Melden
Zum Kommentar
avatar
Señorita equidad
31.03.2018 12:08registriert Januar 2016
Wäre spannend etwas mehr über die Donut-Theorie zu erfahren und nicht nur, warum es eine neue Theorie brauch
1300
Melden
Zum Kommentar
avatar
raues Endoplasmatisches Retikulum
31.03.2018 11:30registriert Juli 2017
Die klassische Ökonomie stösst laut Artikel an Grenzen, aber was sagt dann diese Donaut-Theorie aus?
Die Zentralen Probleme Umwelt und Gerechtigkeit? Wenn ich den Artikel so lese habe ich die Befürchtung, dass Gerechtigkeit in diesem Kontext schon normativ aufgeladen ist. Wobei ich auch hier eine tiefergehende Erklärung vermisse.
1016
Melden
Zum Kommentar
23
Steuereinnahmen sprudeln: Stadt Zürich legt 9. positiven Rechnungsabschluss in Folge vor

Die Steuereinnahmen sprudeln in der Stadt Zürich: Sie weist in der Jahresrechnung 2023 deshalb unter dem Strich ein Plus von 231 Millionen Franken aus. Das Ergebnis kam damit um 571 Millionen Franken besser heraus, als es das Budget vorausgesehen hatte.

Zur Story