Im Hotelzimmer von Salah Abdeslam – einem der Terroristen von Paris – wurden Spritzen und Nadeln gefunden. Standen die Attentäter unter Drogen? Impften sie sich Mut ein, betäubten sie ihre Gehirne und Herzen, um ihren abscheulichen Mordanschlag ohne Zögern durchziehen zu können?
Gesichert ist das alles noch nicht. Die Instrumente könnten auch dazu verwendet worden sein, Sprengstoffgürtel herzustellen.
Fest steht allerdings, dass der Handel mit einer Droge namens Captagon im Nahen Osten seit dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs blüht – das haben Nachforschungen der Nachrichtenagentur Reuters und des Time Magazine ergeben. Der Verkauf der Droge innerhalb Syriens sowie nach Jordanien, in den Libanon und vor allem an Saudi-Arabien spüle Millionen von Dollar ins Land. Damit werden Waffen gekauft. Und die Kämpfer auf beiden Seiten mit dem «Mutmacher-Stoff» versorgt – damit sie sich fortwährend auf den Füssen halten können.
Eine Menge Hände greifen im mittleren Osten nach Captagon, neben syrischen Gangs hat auch die Hisbollah ihre Finger in diesem dreckigen Handel, genauso wie Mitglieder der saudischen Königsfamilie: Im Oktober hatte die libanesische Polizei Prinz Abdel Mohsen Bin Walid Bin Abdulaziz am Flughafen von Beirut festgenommen. An Bord seines Privatflugzeuges entdeckten Ermittler zwei Tonnen der Amphetamin-Pillen und Kokain, verpackt in 40 Koffer. Die Maschine wollte damit nach Saudi-Arabien fliegen.
Der Katalysator für die Ausbreitung von Captagon ist der syrische Bürgerkrieg. Und egal, auf welcher Seite sie stehen, die Sucht nach den kleinen Pillen vereint sie alle: königliche und unkönigliche Saudis, Anti-Assad-Rebellengruppen, Salafisten, Hisbollah-Milizen – und nicht zuletzt die vom Krieg gezeichnete, vollkommen verzweifelte Zivilbevölkerung.
Captagon gibt dir das Gefühl, unbesiegbar zu sein. Die syrischen Kämpfer macht es unerschrocken, sie fühlen sich mächtig:
Journeyman ist ein unabhängiges Unternehmen mit Sitz in England, das weltweit Dokumentationen aus gefährlichen Regionen vertreibt und koproduziert. Eine davon ist «Syria's War Drug». Die Macher dieses Dokfilms begleiteten den libanesischen Investigativ-Journalisten Radwan Mortada in illegale Captagon-Fabriken, wo die Pillen mit Hilfe von Schokoladenmaschinen gestanzt werden. Sie besuchten junge Captagon-Junkies in einem Armenviertel von Beirut und sprachen mit dem Assad-Oppositionellen Abu Sus, der im Jahr 2014 rund sechs Millionen Dollar mit dem Verkauf von Captagon verdient hatte.
Mortada sitzt mit ein paar arbeitslosen Jungs in einem düsteren Loch von Wohnung irgendwo in Beirut. Der eine zerhackt seine Captagon-Pillen und zieht sie sich in die Nase. Dann würden sie am schnellsten wirken. Man könne sie aber auch mit Ecstasy nehmen oder mit Hasch, alles sei möglich. Er erzählt, dass die Droge auch an den Universitäten vertickt werde. Mortada soll es nicht versuchen, man komme nicht wieder davon los:
Ein anderer Süchtiger sagt: «Du fühlst nichts mehr.» Viel wissen sie nicht über die Droge, die sie alles vergessen lässt. Nur, dass sie von Syrien kommt.
Von dort aus wird sie nach Jordanien, nach Saudi-Arabien oder eben in den Libanon geschmuggelt. Aber inzwischen gibt es auch hier schon Captagon-Fabriken. Das Filmteam besucht eine, die nicht weit ausserhalb Beiruts liegt.
«Wie viel produzieren Sie täglich?», fragt Mortada. Das komme darauf an, ob Elektrizität da sei, wie viel verlangt werde, und ob die Schmuggelwege offen seien, erwidert einer der Fabrikanten. Auf die Frage, wer die Drogen bestelle, kriegt der Journalist keine Antwort. Die Männer verstecken die Ware in Taschentuch-Paketen, das sei das Einfachste. Manchmal stecken sie es auch in Salate, Shampoo-Flaschen oder Haargel-Dosen.
Viele der Rebellen sind inzwischen in den Libanon geflohen. Mortada trifft zwei Ex-Kämpfer in der Bekaa-Ebene, wo sie jetzt leben.
Dass sich Soldaten mit Drogen aufputschen, ist kein neues Phänomen: Bereits im Zweiten Weltkrieg dopte sich die Wehrmacht, allen voran die Piloten und die Besatzungen gepanzerter Fahrzeuge. Sie bekamen das Pervitin – das heutige Crystal Meth – ganz offiziell von ihren Vorgesetzten. Bei den Deutschen trug das Zeug allerdings andere Namen: «Göring-Pillen» oder «Panzerschokolade».
Im Vietnam- und Koreakrieg war es nicht viel anders. Die Attentäter von Mumbai griffen ebenso zu Pillen wie der «IS»-Terrorist, der im Juli dieses Jahres in Tunis ein Blutbad anrichtete. Im Fall von Paris bleiben die Ergebnisse der Laboruntersuchungen noch abzuwarten.