Kugel, Würfel, Kegel – diese geometrischen Körper sind uns bestens bekannt. Schon etwas weniger vertraut dürften uns Formen wie Volltorus oder Oktaeder sein. Aber was zum Teufel ist ein Scutoid?
Zuerst einmal ist es die vielleicht spektakulärste wissenschaftliche Sensation dieses Jahres. Immerhin handelt es sich um eine neu entdeckte geometrische Form – sowas passiert nicht alle Tage. Umso erstaunlicher also, dass diese neue Form in der Natur massenhaft zu finden ist – und zwar auch in unserem Körper.
Entdeckt haben die neue geometrische Form denn auch nicht Mathematiker, sondern Biologen: Ein Team um den spanischen Entwicklungsbiologen Luis Escudero von der Universität Sevilla stiess darauf, als es der Frage nachging, welche Form Epithelzellen haben. Diese Zellen bilden ein- oder mehrlagige Schichten, die als oberste Zellschicht tierisches und menschliches Haut- und Schleimhautgewebe bedecken.
Bisher ging man davon aus, dass solche Zellen in flachen Schichten die Form von Prismen aufweisen, damit sie möglichst dicht aneinander liegen. Die Forscher untersuchten nun, wie sich dies bei gekrümmten Flächen oder sich ausdifferenzierenden Zellverbänden verhält. Hier wäre eine spezielle Form eines Prismas gefragt, nämlich das Frustum (Kegelstumpf). Bei diesem Körper sind die einander gegenüberliegenden Flächen nicht gleich gross:
Durch Computerberechnungen kamen die Wissenschaftler nun einer anderen Form auf die Spur, die in einigen Fällen passender erschien und sich als komplexer erwies: das Scutoid. Auch diese Zellformen sind prismanoid – das heisst, sie bestehen aus einem Fünfeck und einem gegenüberliegenden Sechseck –, weisen aber an einer der langen Kanten ein Dreieck auf:
Durch diese spezielle Form können die Zellen sehr dicht gepackte gekrümmte Zellschichten bilden. Scutoide sind bei solchen Zellschichten maximal raumfüllend, da sie keine Zwischenräume bilden:
Zur grossen Überraschung der Biologen zeigte sich, dass diese spezielle Form den Mathematikern gar nicht bekannt war. Damit stellte sich zugleich die Frage, wie diese neue geometrische Form benannt werden sollte. «Scutoid», so schreiben die Forscher in ihrer Studie, die im Fachmagazin Nature Communications erschien, verdankt sich als Bezeichnung dem Scutellum von einigen Insektenarten, besonders von Käfern. Dies ist ein keilförmiger Teil des Thorax, der von oben gesehen ähnlich aussieht wie Scutoid.
Solche Zellverbände aus Scutoiden kommen vermutlich in allerlei unterschiedlichen Geweben vor, beispielsweise im Fliegenauge. Die Biologen sind zudem überzeugt, dass die Kenntnis der neuen Form das Züchten von Organen erleichtern könnte.
(dhr)