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Warum musste sich Eos, die griechische Göttin der Morgenröte, ausgerechnet unsterblich in diesen Sterblichen verlieben? Es gelang ihr, Göttervater Zeus um den Finger zu wickeln: Widerstrebend erfüllte der ihr den Wunsch, ihrem Geliebten Tithonos das ewige Leben zu gewähren. Doch leider hatte sie vergessen, zugleich um ewige Jugend für Tithonos zu bitten, und so wurde der arme Kerl stets älter und verschrumpelter, ohne sterben zu können. Als am Schluss nur noch seine keifende Stimme übrig blieb, verwandelte Zeus ihn in eine Zikade, die Eos stets begleitete.
Das bittere Los des Tithonos ist eine Mahnung für uns. Die Lebenserwartung steigt unablässig, wir werden immer älter. Zwar gibt es immer mehr Achtzigjährige, die so fit sind wie früher manch Sechzigjähriger. Doch die Aussicht, unsere letzten Jahrzehnte womöglich in einem Pflegeheim dahinzudämmern, schreckt uns zutiefst.
Genauso schreckt uns aber der Tod. Kein Wunder also, dass eine ganze Reihe von Wissenschaftlern daran arbeitet, unser Leben zu verlängern. Gerade erst haben Forscher an der ETH Zürich 30 Gene gefunden, die bei verschiedenen Spezies – vermutlich auch beim Menschen – die Lebensdauer beeinflussen. Wurde ein besonders einflussreiches dieser Gene blockiert, nahm die Lebensspanne von Fadenwürmern um einen Viertel zu.
Diese Nachricht wird einen Visonär wie Aubrey de Grey in seiner Mission bestätigen. Der britische Biogerontologe will das Altern besiegen. Für de Grey ist klar: «Altern ist auf jeden Fall ungesund.» Der Prozess des Alterns, sagt er, beginne noch vor unserer Geburt. Lange Zeit sei er aber harmlos; ein Vierzigjähriger sei noch fast so fit wie ein Zwanzigjähriger. Doch dann beschleunigt sich der Verfall und nimmt Überhand. Das Altern, betont de Grey, sei mit Abstand die häufigste Todesursache.
De Grey hat – in Anspielung auf die sieben Todsünden («seven deadly sins») – «seven deadly things» ausgemacht, die uns ins Grab zwingen: sieben Ursachen des Sterbens. Dazu zählen beispielsweise Mutationen im Zellkern und in den Mitochondrien, Zellverlust und -schwund sowie die Ansammlung von Abfallstoffen in den Zellen. Für einige dieser «deadly things» werden bereits Therapien oder Reparaturmöglichkeiten erforscht.
Wenn es gelinge, den Alterungsprozess auszuschalten, würden die Menschen im Schnitt mindestens 1000 Jahre alt, behauptet de Grey. Dass dies für manche abschreckend klingt, liegt für ihn vor allem an der Vorstellung eines langen Siechtums, das heute oft mit einer langen Lebensdauer einhergeht. Doch der Biogerontologe meint 1000 Jahre in einem gesunden, jugendlichen Körper.
Einen anderen Ansatz verfolgt Ray Kurzweil. Der Futurologe, der seit 2012 als leitender Ingenieur auf der Lohnliste von Google steht, ist einer der eifrigsten Propagandisten des ewigen Lebens. Kurzweil ist davon überzeugt, dass der Durchbruch kurz bevorsteht. Etwa im Jahr 2024 soll die Biotechnologie menschliche Gene reparieren und optimieren können.
Und endgültig gestorben ist das Altern, so hofft Kurzweil, etwa im Jahr 2045. Dann werden Nanobots – winzige Roboter – alte oder defekte Zellen in unserem Körper austauschen und als Teil der Immunabwehr Krankheitserreger bekämpfen. Zu dieser Zeit werden wir auch unser Bewusstsein in der Cloud abspeichern können, das heisst, wir können per «Mind Uploading» virtuelle Kopien unserer gesamten geistigen Inhalte erstellen.
Auch Kurzweils Brötchengeber, der Internet-Gigant Google, befasst sich mit der Unsterblichkeit. Die Google-Gründung Calico soll nach «dem Algorithmus der Unsterblichkeit» suchen, wie Spiegel Online schreibt. Dazu will die Firma riesige unstrukturierte Datenmengen auswerten, um dergestalt neue Erkenntnisse zu gewinnen. Gemäss Google-Chef Larry Page soll Calico die Lebenserwartung der Menschen um mehrere Jahrzehnte erhöhen.
Auf die Analyse von gigantischen Datenmengen setzt auch die Firma Human Longevity Inc. (HLI) des Biochemikers Craig Venter. Der Name ist Programm: Das Unternehmen will Altersleiden wie Krebs, Herzkrankheiten und Demenz aus der Welt schaffen, indem massenweise menschliche Genome analysiert, gespeichert und mit Gesundheitsdaten abgeglichen werden. Davon verspricht sich die Firma neue Diagnoseverfahren und Therapien.
Was auf den ersten Blick verlockend klingt, wäre mit ein paar Problemen verbunden – teils sehr offensichtlichen, teils aber auch eher überraschenden. Offensichtlich ist beispielsweise das Problem der Überbevölkerung. Demographisch hätte die Unsterblichkeit gravierende Auswirkungen: Kinder wären dann wohl nur noch als Ersatz für jene geringe Zahl von Menschen erlaubt, die an Unfällen oder Verbrechen sterben würden.
Welche Auswirkungen eine quasi kinderlose Gesellschaft auf unsere menschliche Verfasstheit hätte, lässt sich kaum abschätzen. Dass sich der Wunsch nach Nachkommen jedenfalls nur schwierig unterdrücken lässt, hat schon die Ein-Kind-Politik in China gezeigt.
Schon heute gibt es im Gesundheitssystem eine Tendenz zur Zweiklassengesellschaft. Wer arm ist, stirbt früher. Da die Unsterblichkeit vermutlich nicht auf einen Schlag für alle Menschen verfügbar wäre, dürften sich zumindest in einer Übergangszeit soziale Spannungen aus dem Umstand ergeben, dass die einen – sicherlich die Reichen – bereits unsterblich wären, während die anderen – die Armen – nach wie vor ins Gras beissen müssten.
Wer sich bisher über soziale Ungerechtigkeiten mit dem Gedanken hinwegtrösten konnte, dass am Ende doch alle ins Grab sinken müssen, müsste dann in ohnmächtiger Wut zusehen, wie die Schönen und Reichen weiterleben, während er selber dahinwelkt.
Weniger offensichtlich ist dagegen ein möglicherweise fatales Problem: Eine Gesellschaft ohne Tod könnte schnell zu einer Gesellschaft ohne Veränderung erstarren. Denn eine Gesellschaft ohne Tod wäre notgedrungen eine Gesellschaft ohne Kinder, genauer: ohne Fortpflanzung. Die Sterblichkeit des Menschen hängt nämlich mit seiner Sexualität zusammen: Beides sind gewissermassen Programme, die nicht so sehr dem Individuum als der Erhaltung der Art dienen.
Sex ist die Rekombination von Erbanlagen in einer neuen Generation und damit eine Fortpflanzungsstrategie, die schnell auf veränderte Lebensbedingungen reagieren kann. Dazu gehört der einprogrammierte Tod, der Platz für diese neue Generation schafft und verhindert, dass die Alten die Ressourcen der Jungen verbrauchen. Organismen, die sich beispielsweise über Zellteilung vermehren, sind denn auch nicht zwangsläufig sterblich wie wir.
Verändern würde sich wohl auch die Art, wie wir unsere Beziehungen leben. Die Formel «bis dass der Tod euch scheidet» wäre nahezu sinnlos. Wer würde noch sein gesamtes, 1000-jähriges Leben mit demselben Partner verbringen?
Ein weiteres mögliches Problem der Unsterblichkeit: Langeweile und Überdruss. Es scheint, als ob das Bewusstsein der Endlichkeit des Lebens – symbolisiert in der Sanduhr – den Menschen dazu zwingt, die ihm zur Verfügung stehende, kurze Zeit gut zu nutzen.
Ein unendliches Leben, so steht zu befürchten, könnte schnell unendlich langweilig werden. Man hätte zwar endlich die Zeit, um alle Klassiker der Weltliteratur zu lesen, sich alle Serien anzuschauen – aber würde man es auch wirklich tun? Oder würde dann der Suizid zur Seuche einer angeödeten, lebensüberdrüssigen Menschheit werden?
So kommen wir zum Schluss wieder zum bedauernswerten Tithonos. Der britische Dichter Alfred Tennyson legte ihm diese Worte in den Mund:
Und so wäre mir eine ETH-Erfindung bedeutend lieber, die einen schmerzlosen Kippschalter mit einbauen könnte 😑!