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Frauen der Geschichte

Terezija Skringer: Zwischen Faschismus und Nächstenliebe

Frauen der Geschichte

Die Kroatin, die im Schatten eines zwielichtigen Gottesmannes unterging

Sie gründete Suppenküchen und liess Listen mit zu deportierenden Juden verschwinden: Terezija Skringer versuchte während des grauenvollen Krieges auf dem Balkan Menschenleben zu retten, während ihr Arbeitgeber, die katholische Kirche, sich mit den Faschisten verbrüderte.
08.07.2018, 17:1709.07.2018, 12:16
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Vieles an dieser Geschichte ist nicht «gesichert», wie man so schön sagt. Die Frau, um die es hier gehen wird, ist eine aus Erinnerungen geformte Gestalt – aus dem Gedächtnis ihrer Kinder und Albert T. Fischers, dem Autor ihres Lebens. Denn Terezija Skringer taucht kaum in amtlichen Dokumenten auf. Sie wurde nie Subjekt eines grösseren, kollektiven Gedächtnisses. Ganz anders als ihr ehemaliger Arbeitgeber, der Erzbischof Alois Stepinac, der von der katholischen Kirche bereits selig – und vielleicht auch bald heilig gesprochen wird. Als Märtyrer will ihn der Vatikan erinnert wissen, den einstigen Militärvikar von Zagreb, den engen Vertrauten der faschistischen Ustascha-Führer. 

In seinem mächtigen Schatten ist Terezija vergessen gegangen – bis ihr der Oltner Autor ein Denkmal gesetzt hat. Mehr als 20 Jahre lang hat er dafür die Spuren der Mutter seines Onkels verfolgt. 

Albert T. Fischer – «Die Sünderin und der Heilige»
Erst wollte Fischer nicht mitmachen beim Wettbewerb um die mörderischste Beschreibung der Kriege auf dem Balkan. Auch weil er genau weiss, wie sehr die Völker dieser Länder noch immer an den Folgen leiden und einander misstrauen. Fischer versuchte in seinem Buch über Tereijza Skringer möglichst allen Seiten gerecht zu werden – und er wurde es. Seine Zeilen sind die eines redlich bemühten Menschen, der sich mit Respekt und Feingefühl an die heikle Geschichte seiner Familie herantastet, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.

Albert. T. Fischer – Die Sünderin und der Heilige, 2017 im Münsterverlag erschienen und hier erhältlich.


Am 23. Mai 1915 kehrt Italien seinen traditionellen Bündnispartnern den Rücken und tritt an der Seite der Entente in den Ersten Weltkrieg ein. Die Donaumonarchie hatte sich auf dem Balkan breit gemacht, Italien wollte als Kompensation dafür das Südtirol. Aber der starrsinnige Kaiser Franz Joseph mochte sich auf einen solch «abscheulichen Räuberhandel» nicht einlassen. Lieber würde er alles verlieren und in Ehren zugrunde gehen. Das tut der alte Kaiser dann auch, er wird den Untergang seines Reiches nicht mit ansehen müssen. 

Das Begräbnis von Kaiser Franz Joseph I. am 30. November 1916.bild: bildarchivaustria

Ein paar Tage vor Italiens Kriegseintritt muss Francesco seine Osteria della Birra am Bahnhof von Genua schliessen, wo er bis anhin Bier aus der Schweiz, Deutschland und dem Habsburgerreich ausschenkte. Hier tummelten sich Heimwehdeutsche und Österreicher, die nun zum Feind erklärt worden waren. 48 Stunden bekommt er Zeit, um sein Lokal zu verlassen. 

Francesco stammte aus dem Entlebuch, dieser ärmsten aller Talmulden der Innerschweiz, wo man ihn einfach Franz nannte. Ein bisschen etwas hatte er gespart, einfach weil er überhaupt nie etwas anderes tat als tagein tagaus zu arbeiten.

Mit 14 war er Liftboy im Hotel Gotthard am Bahnhof Luzern, mit 24 kellnerte er sich durch die damals noch schicken Speisewagen der Dampfzüge. Und jetzt, mit 33, sass er als unfreiwilliger Passagier in einem solchen – neben ihm seine Serviertochter, die junge Studentin Terezija. Auch sie wurde ausgewiesen, als Bürgerin des österreichisch-ungarischen Agram wollte man sie nicht mehr in Italien haben. 

Genua um 1900.
Genua um 1900.bild: ceraunavoltagenova

20 Jahre alt war sie erst und voller Sehnsucht nach einem aufregenden Leben. Sie war von ihrem behüteten Zuhause weggelaufen, um der Heirat mit einem banalen Arzt zu entkommen, die ihre Eltern für sie arrangiert hatten. Terezija wollte sich nicht für irgendeinen Mann aufsparen. Sie nahm sich, was sie wollte. Und gerade wollte sie Francesco. Er schien ihr kein Spiesser zu sein, er roch nach Abenteuer. Und er war verliebt in die junge Frau, die bereits sein Kind unter dem Herzen trug. 

So fuhren die beiden ihrer gemeinsamen Zukunft entgegen, die  Terezija, einmal zur täglichen Gegenwart geworden, bald nicht mehr ertragen konnte.  

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Im Hotel Münsterhof in Zürich bekamen sie zwei getrennte, unbeheizte Zimmer. Francesco begann wieder als einfacher Kellner zu arbeiten. Resa, wie sie von allen hier genannt wurde, brachte Pit zur Welt und stand nach ein paar Tagen wieder hinter dem Buffet. Sie arbeiteten und stritten viel, zwei hitzige Temperamente durch eine wilde Leidenschaft aneinander gebunden. Bald gebar Resa ihren zweiten Sohn Pepe, doch das Paar heiratete noch immer nicht. Francescos Schwestern redeten deshalb gern abfällig über Resa.

Als der Krieg 1918 zu Ende ging, hatte Francesco bereits das Hotel Grütli in Lugano übernommen. Es stand direkt am unteren Ende der Seilbahn, die zum Bahnhof führt, und sicher würden es bald mehr Touristen beehren, jetzt, wo wieder Frieden herrscht. 

Die Ausrufung des SHS-Staates unter der Herrschaft der serbischen Dynastie Karađorđević.
Die Ausrufung des SHS-Staates unter der Herrschaft der serbischen Dynastie Karađorđević.bild: muzej-jugoslavije

Auf Resas Heimatboden entstand indes das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Das Habsburgerreich gab es nicht mehr, ihre Geburtsstadt Agram wird zu Zagreb – und sie zur Bürgerin des SHS-Königreichs, von dessen Namen die Österreicher verächtlich meinten, er würde von «Sie Hassen Sich» kommen. (In Wahrheit war es die serbokroatische Abkürzung für Srba, Hrvata, Slovenaca.) Was hätten sie auch anderes sagen sollen, sie, die von einer gewaltigen Monarchie mit rund 53 Millionen Menschen zu einer unbedeutenden Zwergenrepublik zusammengeschrumpft waren.

Davon abgesehen hatten die Österreicher recht: Belgrad, das Zentrum dieses neuen Staates, sah seinen Jahrhunderte alten Traum eines Grossserbiens erfüllt. Kroatien wollte von Anfang an kein Teil davon sein, doch darauf gab Serbien wenig, genauso wenig wie auf die Wünsche der Slowenen, Albaner, Makedonier, Monte-Negriner, Bosnier oder Herzegowiner. Das Schmachten in einem neuen Völkerkerker begann. 

Als Resa endlich einen Brief aus Zagreb erhielt, eröffnete dieser ihr die traurige Nachricht, dass ihre Mutter im Sterben lag. Sie wollte sofort hinfahren, doch Francesco liess sie nicht gehen. Sie zu begleiten und dafür das Hotel zu schliessen, hielt er für völlig verrückt. Überhaupt verstand er nicht, warum sie nun plötzlich nach Hause reisen wollte, wo sie dieses doch verlassen hatte. 

Eine Postkarte von Zagreb, um 1910. 
Eine Postkarte von Zagreb, um 1910. 

Doch Resa lässt sich nicht davon abbringen. Pit und Pepe lässt sie bei Franceso, dann macht sie sich auf nach Zürich, fährt über Buchs und Graz nach Zagreb.

Die Geliebten des Kaisers

Die Spanische Grippe hatte ihre Mutter völlig entkräftet, mit fahlem Gesicht lag sie im Bett. Unter Tränen bat sie ihre Tochter um Verzeihung für die Heirat, in die sie sie zu zwingen versucht hatte. Der Vater, der den Kindern von Offizieren der kaiserlichen Garde einst Kroatisch beigebracht hatte, war ein Greis geworden. Er schien gemeinsam mit der Donaumonarchie zusammengefallen zu sein – und der Anschluss ans orthodoxe Serbien gab ihm den Rest.

Schon immer hatten sich die Kroaten nach Budapest, Wien und Rom gerichtet und sich als Grenzvolk der westlichen Zivilisation verstanden. Dem Papst galten sie als Bollwerk der Christenheit. Die Serben hingegen waren orthodox, rund 500 Jahre unter der Knute der Osmanen schauten sie nach Konstantinopel, fühlten sich dem Morgenland zugehörig und sahen sich als Erben des byzantinischen Kulturkreises.

Der Traum eines freien Kroatiens war abermals geplatzt, und die Skringers trauerten nun dem Kaiserreich hinterher, war es doch das kleinere Übel gewesen. Und vielleicht weinte Resas Mutter auch ein wenig über den Tod Franz Josephs, der nach 68 Regierungsjahren müde geworden, noch vor dem Ende des Krieges gestorben war. Von ihm wollte sie nun ihrer Tochter erzählen. Vom Kaiser, der seine Gemahlin Sissi liebte, und sich dennoch immer wieder ein paar Liebschaften ausserhalb dieser Ehe gönnte. 

Am liebsten tat er dies bei seinen Jagdausflügen. Rund 55'000 Hirsche, Gämsen, Wildschweine und Auerhähne soll der Kaiser in seinem Leben erlegt haben – und die armen Tiere sind ihm allesamt vor die Flinte getrieben worden. Dafür zeugte er ein paar neue Lebewesen: 80 allein in Ischl, erzählten die Leute. 

Kaiser Franz Joseph bei der Jagd in Ischl, um 1900.
Kaiser Franz Joseph bei der Jagd in Ischl, um 1900.bild: austria-forum

Im Jahre 1894 verschlug es ihn in die Steiermark, in sein Jagdschloss Mürzsteg, wo er sich die Nächte mit der jungfräulichen und wohl behüteten Tochter des Stallmeisters versüsste. Sie wurde schwanger, woraufhin der Kaiser der Familie ein paar frisch geprägte Dukaten zukommen liess. Er vermittelte dem Mädchen auch einen Mann, einen in Wien tätigen Sprachlehrer, damit sie nicht in Schande zu leben hatte. Der Kaiser sei gut zu ihr gewesen, sagte Resas Mutter.

Vielleicht hatte sie sich die Geschichte von Resas kaiserlicher Abkunft auch nur ausgedacht, Pit und Pepe jedenfalls glaubten ihr ganzes Leben lang daran, dass Franz Joseph ihr eigentlicher Grossvater gewesen war.

Resa blieb in Zagreb, machte eine Sprachausbildung an der Universität und pflegte ihren Vater, bis er seiner Frau hinterherstarb. Sie wollte nicht zurück in die Schweiz, nicht zurück zu Franceso und diesem engen Leben, das nichts Erfüllendes für sie bereithielt. Niemand in der Stadt wusste, dass sie zwei Buben in der fernen Schweiz hatte. Hätte man davon gewusst, so wäre sie wohl auch hier mit hässlichen Worten bedacht worden. Keine gute Katholikin verlässt einfach ihre Kinder, was für ein Verbrechen, sowas machten doch nur dreckige Huren, sagten Francesos Schwestern. 

Francesco heiratete die Deutsche Elisabeth Sacher, eine stolze Frau, die kein Interesse daran hatte, die Buben der «kroatischen Schlampe» zu adoptieren. 1921 gebar sie selbst einen Sohn – und so nahmen Francescos Schwestern Pit und Pepe für einige Jahre bei sich auf. Resa schrieb Briefe und erkundigte sich nach ihren Kindern, doch Elisabeth verbot Francesco, ihr zu antworten. 

Faschismus und christliche Nächstenliebe

1929 ruft König Aleksandar die Diktatur aus und tauft sein Königreich Jugoslawien. Der kroatische Abgeordnete Ante Pavelic flüchtet daraufhin ins Exil zu Mussolini, wo er den revolutionären kroatischen Geheimbund Ustascha gründet. Mit dem Schlachtruf «Tod allen Serben» plant er die Befreiung Kroatiens. 

Ante Pavelic, der Gründer der faschistischen Ustascha-Bewegung und Diktator des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH).
Ante Pavelic, der Gründer der faschistischen Ustascha-Bewegung und Diktator des Unabhängigen Staates Kroatien (NDH).bild: i.4pcdn.org

Systematisch werden seine Landsleute unterdrückt. Bald gehen alle wichtigen Ämter in Kroatien an Serben. Resa hat Glück, sie behält ihre Stelle als Sprachlehrerin am Mädchengymnasium. Das Personal einer Bildungseinrichtung für Mädchen schien die Machthaber offenbar wenig zu interessieren.

Allmählich fand sie sich im Umfeld der frühen Ustascha wieder, denn auch sie sehnte sich nach einem unabhängigen Kroatien. Sie war überzeugt davon, dass ein friedliches Zusammenleben nur in einer völkisch reinen Nation möglich sei, hierin teilte sie die typisch rassische Ansicht ihrer Zeit. Und als Kroatin war sie gläubige Katholikin und hielt einen Menschen erst für vollwertig, wenn er der Kirche angehörte. 

Hier lernte Resa dann auch Alois Stepinac kennen, diesen intelligenten, stolzen Mann, der einst mit einem Mädchen verlobt gewesen war, doch dann von ihm verlassen wurde. Die Zurückweisung überwand er nie gänzlich. Er doktorierte in Philosophie und Theologie – und liess sich 1930 zum Priester weihen. Auch Resa hatte kein Interesse an ihm, ihre Situation mit den Kindern war schwierig genug. Sicher bewunderte sie ihn, aber von Liebe konnte keine Rede sein.

Alois Stepinac als Kardinal.
Alois Stepinac als Kardinal.bild: wikimedia

Er wurde Resas Beichtvater, allein ihm erzählte sie von ihren Kindern, die sie verlassen hatte. Er sah darin nichts Verwerfliches, schliesslich sei sie ja nach Zagreb gekommen, um das Werk Gottes zu verrichten. 

Resa wurde von Stepinac zur Fürsorgerin der Armen auserkoren, sie arbeitete bald als operative Leiterin der zu gründenden kroatischen Caritas. Stepinac handelte dabei im direkten Auftrag des Vatikans, die wohltätige Einrichtung sollte weltweit ein Beispiel für christliche Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft geben. Natürlich war das grosse Ziel dahinter, den ganzen Balkan für den richtigen Glauben zu gewinnen.

Mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie büsste auch die katholische Kirche an Macht ein. Die galt es nun zurückzugewinnen, sich vor allem gegen die Orthodoxie zu behaupten. Und Stepinac war ein eifriger Krieger für den rechten Glauben, ein Befürworter der oftmals erzwungenen Bekehrung von Orthodoxen, Juden, Muslimen und Protestanten – auf kroatischem Boden sollten allein Katholiken wandeln. Dies liess sich eigentlich nur in einem freien, unabhängigen Kroatien verwirklichen: Der Kampf der Ustascha war also auch der Kampf der Kirche, hunderte Priester wirkten in dieser zunehmend faschistischen Bewegung. 

Soldaten der Leibwachen-Brigade des Poglavnik, einer Eliteeinheit der Ustascha-Miliz.
Soldaten der Leibwachen-Brigade des Poglavnik, einer Eliteeinheit der Ustascha-Miliz.bild: wikimedia

Und während Stepinac als Belohnung für seine Strebsamkeit zum jüngsten Bischof geweiht wurde, rekrutierte Resa Helferinnen in allen Kirchengemeinden, sammelte Lebensmittel, trieb Spenden ein und gründete Suppenküchen. Sie kämpfte nur gegen einen Feind: den Hunger im Land. 

Vielleicht war für sie dieser Dienst an den Bedürftigen eine Art Wiedergutmachung für das Verlassen ihrer eigenen Kinder. Wie eine reuige Sünderin kehrte sie zurück in den Schoss der Kirche, diesen warmen und gnädigen Schoss, wo ihr vergeben würde, wenn sie nur genug Wiedergutmachung leistete. 

Resa war fest im Glauben. Die Kirche war für sie die unangefochtene Heilsbringerin, die Hüterin moralischer Werte. Sie sah nicht, dass diese religiöse Einrichtung genauso weltlich agierte wie alle anderen Institutionen, dass die priesterliche Lossprechung von Sünden nicht nur ein Gnadenakt, sondern vor allem ein einträgliches Geschäft war. Mit all den schlechten Gewissen ihrer Gläubigen, mit ihrer Angst vor drohenden Höllenqualen liessen sich im Laufe der Jahrhunderte prächtige Kirchen bauen. 

Sie sah auch die entsetzlichen Verbrechen der Ustascha nicht, in die sie selbst nie verwickelt gewesen war. Niemand sollte wegen seiner Herkunft verfolgt, gequält oder gar getötet werden, das war Resas feste Überzeugung. Den politischen und religiösen Führern der Ustascha musste eine so redliche Frau recht kommen: Ihre humanen Taten dienten als Deckmantel, unter dem sich all die Gräuel versteckt hielten.

Auschwitz des Balkans

1941 überfällt Hilter Jugoslawien und der König flieht ins Exil nach Grossbritannien. Pavelic übernimmt mit seiner Ustascha die Führung. Am 10. April proklamiert er den Unabhängigen Staat Kroatien, der so unabhängig gar nicht war: Ein Marionettenstaat der Nazis, in dessen Konzentrationslagern einzig die Gaskammern fehlten.

Hitler schüttelt Ante Pavelic die Hand.
Hitler schüttelt Ante Pavelic die Hand.bild: pinterest

In Jasenovac wurden Serben, Bosnier, Herzegowiner, Juden, Roma und politische Oppostitionelle mit Beilen, Äxten und Hämmern abgeschlachtet. Manche wurden bei lebendigem Leib verbrannt, andere kochte man in siedendem Wasser. Weit über 100'000 Menschen fanden hier einen unvorstellbar grausamen Tod. 

Mord und Totschlag durchzogen das Land, auch Titos Partisanen und seine Volksbefreiungsarmee waren nicht zimperlich. 

Der «Srbosjek» (Serbenschneider), der von der Ustascha in Jasenovac benutzt wurde, um die Gefangenen zu töten.
Der «Srbosjek» (Serbenschneider), der von der Ustascha in Jasenovac benutzt wurde, um die Gefangenen zu töten.bild: wikimedia

Und mittendrin Erzbischof Stepinac, nunmehr auch Militärvikar von Zagreb, der mit den Ustascha-Führern zusammensass, Audienzen und Konferenzen mit ihnen abhielt und sich doch nicht verantwortlich fühlte für all die Gewalt, die von dieser Regierung ausging. 

Erzbischof Alois Stepinac (rechts aussen) mit anderen Prälaten und Führern der Ustascha an der Beerdigung von Marko Došen, 1944.
Erzbischof Alois Stepinac (rechts aussen) mit anderen Prälaten und Führern der Ustascha an der Beerdigung von Marko Došen, 1944.bild: wikimedia

Seine Proteste erschöpften sich in schriftlichen Beschwerden an Pavelic. Und als 1941 die Ustascha 260 serbische Bewohner der Gemeinde Glina in ihre Kirche trieben, um danach wild in die Menge zu stechen und zu schiessen, schrieb dieser Gottesdiener dem Diktator, dass es nicht erlaubt sei, «auch nur einen Serben zu töten, solange man ihm keine Schuld nachweise, für die er den Tod verdient habe».

Wer nicht zum Katholizismus konvertieren wollte, wurde von der Ustascha umgebracht: Serbische Zivilisten in ihrer orthodoxen Kirche in Glina, die zwischen Mai und August 1941 immer wieder Schauplatz v ...
Wer nicht zum Katholizismus konvertieren wollte, wurde von der Ustascha umgebracht: Serbische Zivilisten in ihrer orthodoxen Kirche in Glina, die zwischen Mai und August 1941 immer wieder Schauplatz von Massakern wurde.bild: wikimedia

Bis heute ist Stepinacs Beteiligung an den Verbrechen der Ustascha umstritten. Was hat er getan oder vielmehr unterlassen, um seine göttliche Mission zu erfüllen? 

Für Resa jedenfalls war er ein Heiliger. Sie vernichtete doch in seinem Auftrag Listen mit zu deportierenden Juden. Dafür büssen musste allerdings nicht er, sondern Resa. Sie wurde verraten, von den Nazis gefangen genommen und nach Graz verschleppt, wo sie ein Schnellgericht zum Tod durch Erhängen verurteilte. Nur durch seine weitreichenden Beziehungen bekam Stepinac seine Freundin frei.

Resa Skringer
Terezija Skringer in ihrer Grazer Gefangenschaft. Es ist das einzige Bild, das von ihr noch existiert. bild: wiener stadt- und landesarchiv

Resa war jetzt 51 Jahre alt, und der Krieg hatte an ihr genagt. Die Augen leergeräumt und an den Rändern dunkel geworden. Auch redete sie nur noch wenig. Tito, in ihren Augen ein gottloser Kommunist, regierte nun ihre Heimat. Der Mann liess die von ihr mitbegründete Caritas einfach auflösen, womit er ihre ganze Arbeit der letzten 25 zerstörte.

Und jetzt wurde auch noch Stepinac festgenommen und vor Gericht gezerrt. Man stiess ihr leuchtendes Ideal vom Sockel und sie konnte nicht einmal etwas dagegen tun – sie wurde als Zeugin nicht zugelassen. Man verurteilte Stepinac zu 16 Jahren Zwangsarbeit. Der Aufschrei unter den Katholiken war gross, dort verehrte man ihn schon jetzt als Märtyrer. 

1998 wurde der Mann von Johannes Paul II. selig gesprochen, 2016 hob ein kroatisches Gericht das alte Urteil gegen ihn wegen Formfehlern auf. Zu einer Neubeurteilung seiner Rolle während des Krieges kam es nicht. Der Vatikan, namentlich der Schweizer Kardinal Kurt Koch, bemüht sich derweil allerdings um Stepinacs Heiligsprechung. 

Alois Stepinac (links aussen) 1946 an seinem Prozess, in dem er zu 16 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. 
Alois Stepinac (links aussen) 1946 an seinem Prozess, in dem er zu 16 Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. 

Nur von Resa spricht niemand. Von der Frau, deren gute Taten als Schutzschild für die Verbrechen der Ustascha herhalten mussten.

Südamerika, der Kontinent der Heimwehnazis

1950 erhält sie einen Brief ihres Sohnes Pit aus Brasilien. Er hat dort geheiratet und ist gerade Vater einer Tochter geworden. Und bevor sie sich, inzwischen eine ältere, alleinstehende Frau, völlig von Existenzängsten zerfressen lässt, fasst sie den Entschluss, ebenfalls nach Sao Paulo zu ziehen. 

Dass es nicht einfach werden würde, war Resa bewusst. Bäte sie beim Regime um eine Ausreise, würde man sie wohl wegen Verdachts auf illegale Auswanderung festnehmen. Glücklicherweise hatte sie noch immer ein gültiges Visum für die Schweiz. Also reiste sie erst nach Zürich und von dort aus nach Brasilien. 

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Der jugoslawische Staatspräsident Tito in weisser Sommeruniform an einer Sportparade 1947. Als Marschall führte Tito im 2. Weltkrieg die kommunistischen Partisanen im Kampf gegen die deutschen und italienischen Besatzer Jugoslawiens, die faschistischen Ustascha und die königstreuen Tschetniks. Nach dem Krieg wurde er zunächst Ministerpräsident (1945–53) und schliesslich Staatspräsident (1953–80) seines Landes.Bild: AP NY

Dank ihrer kirchlichen Verbindungen bekam sie eine Stelle in der Diözese in Sao Paulo. Der zuständige Erzbischof meinte, sie könne an der Gründung der Caritas Brazil mitwirken. Resa war überglücklich. Allerdings lief Vieles noch chaotisch und sie tat sich schwer mit der portugiesischen Sprache. 

Stepinac wurde derweil von Papst PIus XII. zum Kardinal ernannt. Nach sechs Jahren Gefangenschaft entliess man ihn in seine Heimatgemeinde Krasic, wo er in seinem Elternhaus unter Hausarrest gestellt wurde. Als Resa von der Ernennung hörte, schrieb sie Stepinac überschwängliche Briefe, endlich, so fand sie, bekam der Geschundene und zu unrecht Beschuldigte die Anerkennung, die er verdiene. 

Wahrscheinlich wurde die jugoslawische Regierung durch diese Zeilen des Lobes überhaupt auf Resa aufmerksam. Ihr Visum sei nicht mehr gültig, hiess es aus Belgrad, sie sei dort wegen schwerwiegender Verstösse gegen das Gesetz angeklagt. Sie musste zurück in die Schweiz reisen und sich dort beim jugoslawischen Konsulat in Bern melden. Resa wurde zur Geisel des Systems – und als solche wurde sie gezwungen, einst jugoslawisches Vermögen, Fluchtgelder und Wertpapiere durch Erpressung ihrer Besitzer nach Kroatien rückzuführen.

Ein Pfeife rauchender Tito, 1950. Hier hatte er schon mit Stalin gebrochen und nahm für Jugoslawien in Anspruch, einen eigenen Weg zum Sozialismus zu gehen.
Ein Pfeife rauchender Tito, 1950. Hier hatte er schon mit Stalin gebrochen und nahm für Jugoslawien in Anspruch, einen eigenen Weg zum Sozialismus zu gehen.bild: wikimedia

Das war der Preis dafür, dass sie fortan unbehelligt in Brasilien leben durfte. Und Resa zahlte ihn beschämt. 

Zurück in Sao Paulo wurde sie von ihrem Sohn Pit in die österreichische Firma eingeladen, wo er als Werkleiter arbeitete. Er führte sie überall herum, bis Resas Gesicht plötzlich ganz weiss wurde. Sie konnte kaum mehr atmen. Sie hatte ihren Peiniger aus Graz in der Halle gesehen. Den Nazi, der sie zu den Verhören schleppte und sie an den Haaren wieder aufrichtete, wenn sie auf dem Weg dahin zusammenklappte. Den Mann, der sie schlug, wenn sie auf die Fragen zu leise antwortete und der ihr drohte, sie in ihrer Zelle umzubringen. Einer von zahllosen Handlangern, ein kleiner Fisch nur, aber einer, der mit Grausamkeiten nicht geizte.

Resa sann nicht auf Rache, sie wollte nur ihren Sohn nicht in diesem Rattennest wissen, denn, «wo du eine Ratte siehst, leben hunderte», sagte sie. Und tatsächlich strömten sie nach dem Krieg in grosser Zahl entlang der Rattenlinien nach Südamerika, sie kamen aus Deutschland, Österreich, Italien und dem Balkan, hiessen Mengele, Eichmann oder Pavelic – und einige von ihnen waren ausgestattet worden mit Pässen aus dem Vatikan. 

Resa Skringer
Dinko Sakic, ein Kommandant des faschistischen Konzentrationslagers Jasenovac, mit seiner Frau in Argentinien. Er flüchtete gemeinsam mit dem Ustascha-Führer Pavelic. Ihm wurde 1999 der Prozess wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit gemacht, er bekam 20 Jahre Gefängnis und starb in Haft. Beerdigt wurde er in Zagreb – in seiner Ustascha-Uniform.

Pit schrieb einen Brief an die Leitung seiner Firma in Linz, seine Mutter erwähnte er darin nicht. Man mahnte ihn zur Gelassenheit. Wahrscheinlich hatte man ihn als ahnungslosen Schweizer sogar extra für die Stelle als Werkleiter auserkoren. Doch jetzt begann er Fragen zu stellen. Es ging nicht lange, und er bekam den Hass seiner Mitarbeiter zu spüren. Pit fürchtete um die Sicherheit seiner Familie. Also versuchte er Verständnis für die Heimwehnazis zu heucheln, er freundete sich mit ihnen an, und sie luden ihn zum Dank an ihre Feste ein. Dort hörte er sich an, wie sie sich brüsteten mit ihren vergangenen Heldentaten – vielleicht würde er ja Näheres über die Vorgänge in Graz erfahren. 

Resa half derweil den bedürftigen Menschen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie wusste, dass einige von ihnen nicht grundlos nach Brasilien gekommen waren. Es war auch nicht allen möglich gewesen, völlig makellos aus diesem schlimmen Krieg herauszukommen. Sie verurteilte niemanden, sie hörte sich auch ihre Geschichten vom angeblichen Widerstand an. Vielleicht wusste sie manchmal selbst nicht mehr, ob sie je auf der richtigen Seite gestanden hatte.

Pavelic posiert mit Mönchen des Franziskanerordens, 1940er.
Pavelic posiert mit Mönchen des Franziskanerordens, 1940er.bild: blessedquietness

Denn auch ihr Beichtvater in Brasilien erzählte ihr von einer korrupten Kirche, einer, die sich der Unterdrückung und der Verfolgung unzähliger Menschen schuldig gemacht hatte. Deren Geschäft nur vordergründig das der Liebe und Barmherzigkeit ist, in Wahrheit seit Jahrhunderten nur nach immer mehr Macht giert.

Doch Resa hielt sich an das, was sie täglich sah: Wie die Diener der Kirche Suppenküchen, Spitäler und Schulen gründeten – all das aufopfernde Geben – ohne das gierige Nehmen.

Selbstzweifel einer alten Frau

Das Jahr 1958 brachte viel Schmerz in Resas Leben. Franceso starb und nur kurze Zeit darauf verlor sie auch ihren erstgeborenen Sohn Pit. Er wurde in Buenos Aires erschossen. Niemand ging der Sache wirklich nach. Vielleicht war er den Heimwehnazis unbequem geworden, er hatte auch in Argentinien für einen Ableger der österreichischen Firma gearbeitet. 

Dann stirbt auch Stepinac, und Resa kann für sein Begräbnis nicht nach Hause fliegen. Sie hatte kein Geld. Sie lebte jetzt mit Pits Witwe und ihren Enkelkindern im Gemeinschaftshaus der Diözese, wo sie in der Nacht die traurigen Augen ihrer verlassenen Buben plagten. 

Sie fühlt sich schuldig an Pits Tod. Alles, wofür sie ihre Kinder verlassen hat, liegt in Trümmern. 1965 wird auch Brasilien zur Diktatur und Resa, jetzt 70-jährig, ist allmählich müde geworden. Von Selbstzweifeln zerfressen fragt sie sich, ob sie vielleicht genauer hätte hinsehen müssen. Doch am Ende hat sie doch ihr Möglichstes getan.

Resa stirbt in einem Altersheim im Sottoceneri, wo sie ihr Sohn Pepe untergebracht hat. Immerhin muss sie all das Grauen nicht mehr miterleben, das die jugoslawischen Völker einander schon bald in neuen Kriegen antun. 

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Babalu
08.07.2018 22:56registriert Mai 2014
Im Zentrum von Zagreb wird jedes Jahr eine Messe zum Gedenken an Ante Pavelic an seinem Todestag abgehalten. Demos dagegen gibt es kaum bis gar nicht.
Die häutige kroatische Währung, kuna, wurde von 1941-45 im faschistischen Kroatien eingeführt.
Die Nostalgie nach dem (suveränem) faschistischen Kroatien von 1941-45 war das Leitmotiv für die „Unabhängigkeitsbewegung „ unter Tudjman.
Heute bekleiden nach wie vor einige bekennende Faschisten hohe politische Ämter in Kroatien.
Gesellschaftlich wird dieses Gedankengut verharmlost.
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felice
08.07.2018 21:15registriert Juli 2016
Frau Rothenfluh, ich bin Fan von Ihnen, weil sie sehr gute Geschichten sehr gut erzählen. Merci
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Gummibär
08.07.2018 20:40registriert Dezember 2016
Danke für diesen hervorragenden Beitrag. So viele verborgene und vergessene bewegende Lebensgeschichten finden niemanden der sich wie T.Fischer die Mühe nimmt nachzuforschen und mit Akribie aufzuschreiben.
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