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Mit ihrem eigenen Vater, dem Papst Alexander VI., habe sie sich vergnügt – und auch nach ihren älteren Brüdern Cesare und Juan griffen ihre gierigen, verführerischen Hände. Die Borgias, eine «Familie von Teufeln» (Victor Hugo), die den Heiligen Stuhl mit ihren blutschänderischen Perversitäten besudelte.
Lucrezia Borgia ist eine Gestalt, die längst zum Mythos geworden ist. Gewoben aus Fetzen tatsächlich gelebten Lebens, bösartigen Gerüchten und sittlich verletzter Empfindsamkeit. Zur Weiterverarbeitung den nachfolgenden Jahrhunderten übergeben, wo man je nach Geschmack des Zeitgeistes auch gern etwas Neues hinzufügte – so zum Beispiel einen Balkon am Borgia-Palast, von dem sie ihre Liebhaber in den Tod gestürzt haben soll. Nur wurde der erst gebaut, als Lucrezia schon längst nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Allein ihre Herkunft bietet genug Stoff, diese Frau mit wilden, verbrecherischen und leidenschaftlichen Zügen zu füllen. Sie war die Tochter eines Papstes, der lebendige und sehr öffentlich zur Schau gestellte Beweis des väterlichen Zölibatbruchs. Sie war aber längst nicht die einzige Frucht, die aus einer solch verbotenen Verbindung hervorging. Im freizügigen Rom der Renaissance war es keine Seltenheit, dass Priester, Kardinäle, Bischöfe und Päpste Kinder zeugten. Man nannte sie beschönigend «nipoti» (Neffen) – und betrieb mit ihnen Nepotismus in seiner reinsten Form: Die Geistlichen vergaben ihren Bastardsöhnen ertragreiche Pfründen, einen Teil des Kirchenstaates oder den Kardinalstitel.
Diese kirchlichen Herren waren keine Vorbilder für das fromme Volk. Sie lasen nicht aus dem Evangelium, sondern verschacherten Ämter, verkauften den Himmel und die göttliche Gnade. Manch einer, an dem die Sorge um sein Seelenheil nagte, leerte angstvoll sein ganzes Erspartes in die Ablasskasse, um dem Fegefeuer zu entgehen. Die römische Kurie machte Gott zum Bürgen des Sündengeschäfts, schamlos verstrickte sie den Herrn in ihre vor Dreck strotzenden, irdischen Geschäfte.
Bis einem Mann der Kragen platzte und er laut herausschrie, was sein Jahrhundert von diesem unheiligen Schacher hielt. Der Mann hiess Martin Luther und seine Empörung, 1517 in Wittenberg ausgestossen, sollte bald in ganz Europa widerhallen.
37 Jahre zuvor, am 18. April 1480, wird Lucrezia mitten in diese sündige römische Welt hineingeboren. Sie ist das dritte Kind, das der Liebesbeziehung des Kardinals Rodrigo Borgias mit der verheirateten Vanozza de’ Cattanei entspringt. Ihre Brüder heissen Cesare und Juan, zwei Jahre nach Lucrezia folgt Jofré. Der Vater gibt seiner Tochter einen unchristlichen Namen, er denkt dabei an die antike Heldin Lucrezia, die sich nach einer Vergewaltigung eigenhändig einen Dolch in die Brust stösst, um ihrem nun ehrlos gewordenen Leben ein Ende zu bereiten.
Noch hält er sich im Verborgenen, besucht seine Geliebte durch den Hintereingang. Denn Rodrigo will nicht Kardinal bleiben. Er hat Grösseres im Sinn.
Mit acht Jahren wird Lucrezia ins Haus von Adriana de Mila geschickt, einer Cousine ihres Vaters. Dort soll sie einen adligen Schliff bekommen, sie wird von Privatlehrern in Latein, Griechisch, Malen, Musik, Tanz und im Schmieden von Versen unterrichtet. Sie spricht Italienisch, Spanisch und Französisch. Doch bei aller Bildung, die den adligen Frauen zukommt, lautet auch in der Renaissance die Faustregel: Sie sollen mit ihrem Wissen niemals die Männer überflügeln.
Am 11. August 1492 schleppt Adriana Lucrezia am frühen Morgen schon auf den Petersplatz. Ein paar Stunden später steht da hoch oben auf dem Balkon ihr Vater, stattlich und mächtig, mit seinen starken Händen segnet er das jubelnde Volk unter ihm. Rodrigo Borgia ist der neue Papst. Alexander VI. Er hat es geschafft – dank seinem Wahlhelfer Ascanio Sforza, der die Kardinäle mit Pfründen, Ämtern, Abteien und Bistümer von der Richtigkeit dieser Wahl überzeugte.
Dass Alexander VI. als der verruchteste und moralisch deformierteste Vater in die Kirchengeschichte eingehen wird, weiss er nicht. Und selbst wenn er es gewusst hätte, hätte es ihn wahrscheinlich wenig gekümmert. Kritik kann diesem Mann nichts anhaben. Alles, was ihn interessiert, ist seine Familie. Seine Borgia-Bastarde. Um ihnen eine Karriere zu ermöglichen, lässt er sich als ihren Vater eintragen, führt seine Sprösslinge öffentlich und in masslosem Prunk ganz Rom vor. Er will ein Borgia-Imperium – und er wird es bekommen.
Irgendwo inmitten des tobenden Pöbels recken sich zwei Arme in Richtung Papst, sie halten ein zwölfjähriges Mädchen in die Höhe, es ist Lucrezia, und zum ersten Mal mag sie vielleicht das Ausmass der Mächtigkeit ihres Vaters im Herzen gespürt haben, das sich fortan immer mehr mit Stolz über ihre Herkunft anzufüllen beginnt.
Doch sie bleibt ein Mädchen. Ihre Rolle beschränkt sich auf das Gattinnensein. Nun, da ihr Vater Papst ist, hat sie eine Wertsteigerung auf dem Heiratsmarkt erfahren. Der fleissige Sforza hat durch seinen Wahleinsatz noch etwas gut bei Alexander VI. – und schlägt seinen Verwandten Giovanni Sforza als Gatte vor, den verwitweten Stadtherrn von Pesaro.
Lucrezia wird nicht gefragt. Obwohl der Papst dem Prinzip des Ehekonsenses verpflichtet wäre, hält er es wie ein typischer Adliger der Renaissance: Die Heirat sollte politischen Nutzen bringen, an Liebe war hier nicht zu denken.
Mit 13 Jahren kriegt Lucrezia also ihren ersten Ehemann. Geheiratet wird in der Peterskirche, der 27-jährige Giovanni kniet mit seiner Angetrauten auf silbernen Kissen zu Füssen Alexanders VI. Die Mutter ist nicht geladen, das Los einer Papstgeliebten.
Giovanni kehrt danach zurück nach Pesaro, wegen der Jugendlichkeit der Braut soll die Ehe erst später vollzogen werden. Aber offenbar wird sie in den ganzen vier Ehejahren nicht vollzogen. Nicht in Pesaro und auch nicht in Rom, wo die beiden gemeinsam im Palazzo Santa Maria di Portico wohnen. Dieser hat einen direkten Zutritt zur Peterskirche und damit auch zum Papstpalast.
Alexander VI. ist nicht zufrieden mit seinem Schwiegersohn. Er ist träge, sitzt untätig herum, während er aus der päpstlichen Kasse besoldet wird. Ein schneidiger Feldherr ist etwas anderes. 1497 beginnt Giovanni zu dämmern, dass die Borgia ihn loswerden wollen. In der Nacht flieht er auf seinem Pferd nach Pesaro, wo sein Pferd tot unter ihm zusammenbricht.
Eine Scheidung war zu dieser Zeit ein grundsätzliches Tabu, doch man konnte eine Ehe für ungültig erklären. Ein Grund dafür war deren Nichtvollzug. Dafür musste sich Giovanni allerdings für impotent erklären. Wie peinlich für einen jungen Mann, der mitten in der Blüte seines Lebens steht. Zunächst weigert er sich. Ein Verwandter rät ihm, seine Potenz unter Beweis zu stellen. In mittelalterlichen Eheprozessen und vereinzelt auch noch in der Renaissance war dies eine gängige Praxis: Der Mann sollte in Gegenwart von Zeugen mit einer anderen Frau schlafen. Doch soweit kommt es nicht. Der Papst macht Druck und bietet ihm viel Geld, sodass der gekränkte Giovanni letztlich die Impotenz-Papiere unterschreibt.
Doch seine Rache sollte die Borgias bis in die heutige Zeit verfolgen. Überall verbreitet er das Gerücht, dass seine Ehe nur aufgelöst worden sei, damit der Papst und sein Sohn Cesare ungestört Blutschande mit Lucrezia treiben könnten.
Es ist nicht das erste Mal, dass Alexander VI. die Kirche für seine Zwecke missbraucht. Lucrezias Bruder Cesare ist 18 Jahre alt, als ihm sein Vater den Kardinalshut übergibt. Papstneffen akzeptierte man bis anhin in der Kurie, aber einen Sohn?
Der zweitälteste Sohn Juan wird derweil zum Oberbefehlshaber der päpstlichen Armee ernannt. Unverholen verwandelt der mächtige Borgia den Heiligen Stuhl in ein Familienunternehmen, er, der spanische Emporkömmling, der von den alteingesessenen italienischen Adelsfamilien mit Neid und Hass beäugt wird.
Das unschöne Resultat ist ein toter Juan, der im Jahr 1497 im Tiber treibt. Alexanders VI. Klageschreie über den Verlust seines Lieblingssohnes erfüllen nächtelang die Räume seines Palastes. Doch vorsichtiger macht es ihn nicht. Unerschrocken spielt er das gefährliche Spiel weiter.
Der denkbar unreligiöse Cesare will seinen roten Hut ablegen und die Rolle Juans als Kriegsherr übernehmen. Papa macht's möglich. Noch niemals zuvor besass ein Kardinal die Frechheit, von seinem Amt zurückzutreten. Kardinal blieb man bis an sein seeliges Ende. Cesare nicht. Er sollte sich in der Romagna – im norditalienischen Gebiet um Ravenna – ein neues Herzogtum für die Borgia zusammenerobern.
Nun, da er sich wieder gänzlich frei in der weltlichen Welt bewegen darf, sucht sich der Frauenheld und Draufgänger eine Ehefrau. Er wendet sich nach Spanien, an den Hof Friedrichs von Neapel, wo dessen angeblich ausnehmend hässliche Tochter Carlotta wohnte. Doch sie will den arroganten Borgia nicht. Also stöbert er auf französischer Seite, bei den Feinden Spaniens, und findet dort Charlotte d'Albert, die Schwester des Königs von Navarra.
Diese Ehe strahlt fortan böse in Lucrezias Leben hinein. Denn Ferdinand der Katholische tobte über diese päpstliche Hinwendung zu Frankreich, und droht in grossmächtiger Manier, Alexander VI. abzusetzen. Der Papst zeigt sich davon unbeeindruckt. Sein Sohn Cesare kriegt für seinen Romagna-Feldzug französische Unterstützung – der Fall liegt klar. Die päpstlichen Interessen haben sich auf die andere Seite geschaukelt – und die Abkömmlinge des spanischen Hofes sind nicht mehr länger erwünscht.
Zu diesen gehört auch Alfonso von Aragonien, der zweite Gatte Lucrezias, ein gut aussehender und sanfter Mann und der rechtmässige Erbe des napolitanischen Throns. Der Papst hatte ihn gemeinsam mit Cesare für Lucrezia ausgesucht, doch nun passt er nicht mehr in deren Politik. Die Franzosen erheben Anspruch auf Alfonsos Platz. Und mit der Papsttochter hat man bereits Grösseres im Sinne.
1500 – das heilige Jahr – wird für Lucrezia zum Schicksalsjahr. Ihr Sohn Rodrigo ist noch kein Jahr alt, sie ist inzwischen zu etwas wie der Pimera Donna Italiens aufgestiegen, stets herausgeputzt und mit golden glänzendem Haar empfängt sie Kardinäle in ihrem prächtigen Palast und nimmt sie mit ihrer fröhlichen Art für sich ein. Leben kann sie unbekümmert mit der Hand in der Papstkasse. Zuversichtlich und von Liebe erfüllt schaut sie in die Zukunft, die eines Nachts jäh in sich zusammenfällt.
Alfonso ist auf dem Weg zum Palast seiner Frau, als er von maskierten Männern überfallen wird, die ihm ihre Dolche in den Körper rammen. Lucrezia fällt beim Anblick ihres blutüberströmten Alfonso in Ohnmacht. Der Verletzte wird in den Gemächern des päpstlichen Apartamento gesund gepflegt, Lucrezia selbst versorgt ihn – und postiert Wachen vor seiner Tür.
Am 18. August stehen die Männer ihres Bruders Cesare vor dem Krankenzimmer. Die Wachen haben sie verhaftet, ein Komplott sei aufgedeckt worden. Die fassungslose Lucrezia wird zum Papst geschickt, der sie über die Sache aufklären sollte. Als sie zurückkommt, ist ihr Mann tot. Erdrosselt von Cesares Hauptmann. Die vom Bruder brutal zur Witwe Gemachte bricht geräuschlos zusammen. Sie klagt nicht. Sie schweigt eisern, doch in ihr drin glüht die Wut auf ihre Familie.
Die Botschafter verbreiten diesen ungeheuerlichen Skandal in ganz Europa. Nun ist auch der Papstpalast entweiht, der Vatikan zum blutbesudelten Tatort geworden. Nichts unterscheidet ihn mehr von einem weltlichen Fürstenhof.
Lucrezia zieht sich mitsamt ihrem Schmerz zurück nach Nepi. Es ist ein Schmerz, der sie ganz bleich gemacht hat, fast schon durchsichtig. Über Nepi herrscht die Papsttochter seit zwei Jahren, den Titel hat ihr der Vater zugeschanzt.
Zwei Monate vergehen, 60 Tage in «Missmut und Verdruss», wie sie einem vertrauten Diener schreibt. Dann taucht unverhofft ihr Bruder Cesare in Nepi auf. Sein Feldzug in die Romagna führt ihn hier vorbei.
Und was macht Lucrezia? Sie verzeiht ihrem Bruder den Gattenmord. Er habe in Notwehr gehandelt, lügt er seiner Schwester dreist ins Gesicht. Cesare, der an der Hochzeit von Lucrezia und Alfonso als Einhorn verkleidet auf die Bühne trat – in der Verkörperung der jungfräulichen Reinheit –, während die Syphilis bereits an seinem Gesicht frass. Cesare, der den Geliebten hinterrücks erdrosseln liess. Hat Lucrezia ihm Glauben geschenkt? Oder wollte sie einfach Frieden schliessen? Wir wissen es nicht. Sicher ist nur, dass sie sich mit der Familie wiedervereint und nach Rom zurückkehrt.
Die Heiterkeit kehrt ein Jahr nach dem Tod ihres Gatten wieder in ihr Herz und ihre Augen zurück. Lucrezia ist jetzt 21 Jahre alt.
Ein paar Mutige tauchen schon auf und wollen die von einer Aura der Gefahr umwitterten Papsttochter zur Frau. Doch Lucrezia wehrt sich einige Zeit erfolgreich gegen die Kandidaten. Über ihre Gatten käme ja doch nur das Unglück, sagt sie.
Aber der Papst sucht weiter und sein kuppelndes Auge schielt gierig zum Herzogtum Ferrara herüber, zum Erbprinzen Alfonso aus der mächtigen Familie der Este. Doch dieser ist ganz und gar nicht willig, Alexanders VI. Wunsch nachzukommen. Eine rufgeschädigte Papstbrut, eine Borgia, ein Bastard sollte nicht das überall für seinen glänzenden Hof und sein kulturelles Leben hochgeschätzte Ferrara verschmutzen. Ferrara war indes nicht besser. Der Grossvater Alfonsos zeugte über zwanzig aussereheliche Kinder.
Lucrezia gefällt die Vorstellung nach Ferrara zu gehen. Sie selbst nimmt nun Verhandlungen auf, sie will nicht mehr länger passiv herumgeschoben werden auf dem Schachbrett der mächtigen Männer. Und nicht nur das. Der Papst will dem kleinen Ferrara zeigen, dass seine Tochter sehr wohl heiratswürdig ist. Dies sollte sie beweisen, indem sie während seiner Abwesenheit die gesamte Christenheit regiert. Eine Propagandaaktion des ausgefuchsten Papstes, die jedoch für helle Aufregung sorgt. Eine Frau leitet die Geschicke des Vatikans!
Noch immer zögert das Haus Este, stellt am Ende unerhörte Forderungen an den Papst, der diese zähneknirschend erfüllt. Der Pontifex wird geradezu erpresst, am Ende fliessen unzählige Juwelen und eine Mitgift von 100'000 Dukaten nach Ferrara, wertvolle Stoffe und päpstliche Kastelle wechseln ihren Besitzer. Schliesslich ist da noch Cesare, der in der benachbarten Romagna wütet und der jederzeit einen Abstecher in die unbeugsame Stadt unternehmen könnte, um das Haus Este zum Teufel zu jagen.
Am 16. August 1501 wird der Ehevertrag im Vatikan unterzeichnet. Doch es sollte nochmals fast ein halbes Jahr verstreichen, bis die Eheleute in Ferrara endlich aufeinandertreffen. Ihr Sohn Rodrigo muss sie in Rom zurücklassen – so steht es im Vertrag.
Lucrezia fasziniert die Menschen, die strahlende Schönheit lächelt sich direkt in die Herzen der Ferraresen. Bei ihrem Einzug in die Stadt trägt sie ein Kleid aus goldgewirktem Tuch und dunkler Seide, darüber hat sie einen Hermelinmantel geworfen. Sie sieht aus wie eine Königin – doch dann plötzlich scheut ihr Maultier, aufgeschreckt von dem Getöse – und wirft seine Reiterin unsanft zu Boden. Lucrezia steht auf, grinst den Schmerz weg und setzt ihren Weg fort. Die Menge jubelt in voller Bewunderung der unkomplizierten Papsttochter zu.
Liebe ist es nicht, was die beiden Eheleute verbindet. Wie könnte sie es auch sein, der Leim ihres Bündnisses ist die Politik. Und doch entwickeln Lucrezia und Alfonso Respekt füreinander, sie werden schwere Jahre durchzustehen haben und erfahren, dass sie sich aufeinander verlassen können.
Lucrezia muss sich allerdings erst an das Leben in Ferrara gewöhnen. Ihr Schwiegervater Ercole I., der amtierende Herzog, gestattet ihr kein derart luxuriöses Leben mehr, er hat keine Kirchenkasse wie der Papst, aus der sie sich bedenkenlos bedienen könnte. Sie fordert mehr Geld, andernfalls würde sie lieber mit ihren Hofdamen Hungers sterben, droht sie. Der Herzog bleibt ungerührt.
Ihre ersten Jahre am Hof sind von vielen oberflächlichen Festivitäten bestimmt. Lucrezia ist eitel, verwendet Stunden auf ein glanzvolles Auftreten. Sie kleidet sich stets nach der neusten Mode, ein eigener Alchemist liefert ihr Puder. Sie besitzt über 1300 Schmuckstücke, darunter Ketten und Ohrringe aus Diamanten, Perlen Rubinen und Smaragden, auch ein Fächer mit einem Griff aus purem Gold findet sich in ihrem Inventar.
Und sie liebt die Poesie. Die Papsttochter ist stets umgeben von Dichtern, Malern und Philosophen. Sie hört sich die Vorträge von Erasmus von Rotterdam an, Tizian malt das Venusfest für Alfonsos Studio. Sie lässt sich verehren in schmeichelnden Zeilen – und einmal verliebt sie sich auch. In Pietro Bembo, den schneidigen Kardinal und humanistischen Gelehrten, der ihr so feurige Briefe schreibt. Als Lucrezia ihm ihre goldene Haarlocke zuschickt, ist der Absender ganz trunken vor Freude:
Vielleicht haben sich die Lippen der leidenschaftlich Liebenden mal berührt, mehr aber wohl nicht. Denn Lucrezia wird von ihrem oft abwesenden Mann überwacht. Und sie weiss, was mit Frauen passiert, die einen Mann aus der Familie der Este hintergeht. Noch immer ist das Gesetz von Alfonsos Grossvater in Kraft, dem Mann mit den zwanzig Bastarden: Ehebrecherische Gattinnen werden hingerichtet, auf der Richtstätte hinter dem Schloss. Die Este sind rachsüchtige und unerbittliche Fürsten.
Das bedenkt sie sicher auch, als sie sich ein paar Jahre später in Francesco Gonzaga verliebt, den Markgrafen von Mantua – den Mann ihrer Schwägerin Isabella d'Este, mit der sie einen sehr untergründigen Rivalitätskampf in den Gebieten des Kunstsammelns, des Mäzenatentums und der Schönheit ausficht. Isabella wird ihrer Zeit gefeiert als die gebildeteste Frau der Renaissance, als «prima donna del mondo».
Lucrezia ist jung, in ihr tobt eine stürmische Seele und sicher ist sie hungrig nach Zärtlichkeit und Anerkennung. Ihr Mann ist oft weg, und selbst wenn er da ist, lodert nicht die Leidenschaft zwischen den beiden, sie sind ein sehr pragmatisches Paar.
Auch diese Liebschaft hat Lucrezia ziemlich sicher nicht gänzlich ausgelebt, das Feuer blieb in den Briefen drin, in denen Francesco schreibt, er habe mit ihr «einen grossen Schatz gefunden».
Immer wieder erleidet die junge Frau Fehl- und sogar Totgeburten. Und einmal liegt sie danach sterbenskrank für längere Zeit im Bett. Als die Mönche schon Totengebete an ihrem Bett murmeln, kämpft sich die 22-Jährige erschrocken ins Leben zurück. Womöglich hängen die amourösen Abenteuer ihres Gatten mit ihren schwierigen Geburten zusammen. Er vergnügte sich mit Hofdamen genauso wie mit Dirnen und vollbusigen Schankmädchen und brachte so die Syphilis ins Ehebett.
Erst nach sechs Ehejahren, im Jahr 1508, kommt erstmals ein Sohn zur Welt, der das Kindesalter überlebt. Ercole mit der platten Nase, der seinem Vater auf den Thron folgen wird.
1505 stirbt Alfonsos Vater und er muss den Thron in einer Zeit besteigen, die von ihm viel Klugheit und Kraft fordert. Auch Lucrezia ist bereits vaterlos, der Papst erlag zwei Jahre zuvor der Malaria. Der Borgia, der ein Leben lang alles für seine Familie tat, stirbt einen einsamen Tod. Und während Lucrezia trauert, feiern nicht wenige das Ableben des verdorbenen Pontifex mit diabolischen Gerüchten:
Mit Alexanders Tod fällt auch das Borgia-Imperium in sich zusammen. Der neue Papst, Julius II., ein Erzfeind der Borgias, sorgt dafür, dass Cesare seine eroberten Städte in der Romagna abgeben muss, er wird verhaftet und an Spanien ausgeliefert. Dort gelingt es ihm, aus der obersten Spitze des Turmes mit Hilfe einer seidenen Schnur zu fliehen, doch war dies sein letztes Husarenstück. Der einst so erfolgreiche Condottiere, den Machiavelli als idealen Prototypen eines «Principe» hält, findet sein Ende im Dienste seines Schwagers, dem König von Navarra. 1507 gerät er während einer Belagerung in einen Hinterhalt und wird von zwanzig bewaffneten Reitern getötet.
1509 bis 1512 sind Schicksalsjahre für Ferrara. Es herrscht Krieg, der wieder einmal von den Expansionsträumen und der Schaukelpolitik des Papstes ausgelöst wird. Am Ende schmiedet Julius II. die Heilige Liga, verbündet sich plötzlich mit Spanien und Venedig gegen Frankreich, weil ihm Ludwigs XII. Macht in Italien zu viel wird. Alfonso, gerade noch Heeresführer der päpstlichen Armee, wird nun exkommuniziert, weil er sich nicht gegen Frankreich stellen will.
Lucrezia regiert Ferrara gemeinsam mit dem Rat von zehn Bürgern. Sie versucht, in der Stadt Ruhe zu bewahren und treibt Geld ein für den Krieg. Sogar Teile ihrer so lieben Schmucksammlung versetzt sie. Ihre Welt besteht nun nicht mehr länger aus Glanz, Prunk und Schmeicheleien, aus Gedichten und Liebschaften. Jetzt geht es um ihr Leben, das Leben ihrer Familie. Und sie bewährt sich in dieser schwierigen Zeit.
Julius II. Rachegelüste gegen Ferrara müssen immens gewesen sein, denn er selbst zieht eine Rüstung an und stolziert durchs Heereslager. Eines Nachts schlägt gar eine Kanone in sein Zimmer ein, sodass nun der Wunsch umso mehr in seinem Herzen brennt, Ferrara mitsamt den schlagkräftigen Geschützen seinem Kirchenstaat einzuverleiben.
Doch Ferrara bekommt Hilfe vom «Ritter ohne Furcht und Tadel», vom französischen Chevalier de Bayard und seinen Truppen.
An einem Ostersonntag, dem 11. April 1512, wird die Entscheidungsschlacht ausgetragen. Ein fürchterliches Gemetzel tobt, während Julius II. seinen «Urbi et orbi»-Segen erteilt. Ritter Bayard schlägt die päpstliche Armee und der Pontifex schliesst Frieden mit Ludwig XII.
Ferrara atmet erst auf, als der Papst am 21. Februar 1513 seine Seele aushaucht. Nachfolger wird Leo X., ein Medici, den Lucrezia noch als jungen Kardinal aus ihrer Zeit in Rom kennt.
Die harten Kriegsjahre haben Lucrezia sehr verändert. Ihre in jungen Jahren so freudig ausgelebte Oberflächlichkeit scheint wie ausradiert. Mit 39 Jahren lässt sie sich ihr goldenes Haar abschneiden. Ihr ganzer Stolz hing ein Leben lang daran. Gerade hat sie ihr Kind verloren, ein kleines Mädchen, das nur noch die Nottaufe erfahren durfte, dann holte es Gott zu sich. Was will sie mit ihren schönen Locken auch, wo sie doch nicht mehr aus dem Bett aufstehen wird. Lucrezia spürt, dass es dem Ende zugeht. Ihre Eitelkeit hat sie bereits abgestreift, es fehlt nur noch die päpstliche Benediktion, um vor den Herrn zu treten. Papst Leo X. erteilt sie ihr.
Alfonso kümmert sich bis zum Schluss rührend um seine Gattin. Die Kinder sollen sie jetzt nicht mehr besuchen, sie will nicht, dass sie dem mütterlichen Zerfall beiwohnen.
In der Nacht des 24. Juni 1519 halten die Ärzte ein letztes Mal eine Kerze vor den Mund der Herzogin. Die Flamme bleibt still.