Keiner hätte wohl gern in der Haut des Badener Stadtammanns stecken wollen, als er heute nach der Nacktselfie-Affäre seine Arbeit wieder aufnahm. Auf dem Weg zum Stadthaus musste Geri Müller an einer Reihe von Medienleuten vorbei – ein veritabler Spiessrutenlauf.
«Spiessrutenlauf» – Journalisten holen diesen Begriff aus der Soldatensprache gern aus dem Köcher, wenn sie die unangenehme Situation beschreiben wollen, in der sich jemand befindet, der sich den mitleidlosen Blicken seiner Gegner stellen muss. Doch was ist eigentlich eine «Spiessrute» und was bedeutete «Spiessrutenlauf» ursprünglich?
Spiessrutenlaufen war eine grausame Strafe, die in den Söldnerarmeen des 17. bis 19. Jahrhunderts üblich war. Wie das ebenfalls äusserst brutale Kielholen in der Seefahrt endete diese Disziplinarstrafe manchmal mit dem Tod des Bestraften.
Beim Spiessrutenlauf bildeten hundert oder mehr Soldaten laut Wikipedia eine rund zwei Meter breite Gasse, durch die der Verurteilte mit nacktem Oberkörper und mit auf der Brust zusammengebundenen Händen mehrmals gehen musste, wobei ihn jeder Soldat mit einer Hasel- oder Weidenrute (Spiess- oder Spitzrute genannt) auf den Rücken schlug.
Der Unglückliche konnte die mörderische Strafe nicht etwa abkürzen, indem er möglichst schnell durch die Gasse lief – wie dies der Wortteil «Lauf» nahelegt. Im Gegenteil, der Verurteilte musste langsam im Rhythmus des Trommelschlags gehen, während die Schläge auf ihn einprasselten. Um ihn zum langsamen Gehen zu zwingen, schritt ein Unteroffizier voraus und hielt ihm die Säbelspitze vor die Brust.
Wenn der Verurteilte nicht mehr gehen konnte, erteilte man ihm die Schläge trotzdem: Er wurde einfach auf Stroh gelegt und erhielt dann die festgesetzte Anzahl Streiche. Als gleichwertig mit der Todesstrafe galt die Verurteilung zu einem sechsmaligen Spiessrutenlaufen durch eine Gasse von 300 Mann an drei Tagen, wobei jeweils ein Tag überschlagen wurde. Kaum jemand überlebte diese Tortur.
Abgeschafft wurde das Spiessrutenlaufen erst im 19. Jahrhundert: In Preussen immerhin schon 1806, in Österreich 1855 und in Russland sogar erst 1863. Als Begriff im übertragenen Sinn hat es bis heute überlebt. (dhr)