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Geri Müllers schwerer Gang zum Stadthaus – und was es mit dem «Spiessrutenlauf» auf sich hat

Spiessrutenlaufen in einem Stich aus dem Jahr 1776.
Spiessrutenlaufen in einem Stich aus dem Jahr 1776.Bild: Wikipedia/pd
Geschichte eines Begriffs

Geri Müllers schwerer Gang zum Stadthaus – und was es mit dem «Spiessrutenlauf» auf sich hat

Geri Müllers Rückkehr ins Stadthaus von Baden nach der Nacktselfie-Affäre war ein «Spiessrutenlauf» vor den Medienleuten. Dieser Begriff bezeichnete einst eine barbarische Strafe. 
08.09.2014, 14:4508.09.2014, 15:19
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Keiner hätte wohl gern in der Haut des Badener Stadtammanns stecken wollen, als er heute nach der Nacktselfie-Affäre seine Arbeit wieder aufnahm. Auf dem Weg zum Stadthaus musste Geri Müller an einer Reihe von Medienleuten vorbei – ein veritabler Spiessrutenlauf. 

«Spiessrutenlauf» – Journalisten holen diesen Begriff aus der Soldatensprache gern aus dem Köcher, wenn sie die unangenehme Situation beschreiben wollen, in der sich jemand befindet, der sich den mitleidlosen Blicken seiner Gegner stellen muss. Doch was ist eigentlich eine «Spiessrute» und was bedeutete «Spiessrutenlauf» ursprünglich?

Im Rhythmus des Trommelschlags

Spiessrutenlaufen war eine grausame Strafe, die in den Söldnerarmeen des 17. bis 19. Jahrhunderts üblich war. Wie das ebenfalls äusserst brutale Kielholen in der Seefahrt endete diese Disziplinarstrafe manchmal mit dem Tod des Bestraften. 

Beim Spiessrutenlauf bildeten hundert oder mehr Soldaten laut Wikipedia eine rund zwei Meter breite Gasse, durch die der Verurteilte mit nacktem Oberkörper und mit auf der Brust zusammengebundenen Händen mehrmals gehen musste, wobei ihn jeder Soldat mit einer Hasel- oder Weidenrute (Spiess- oder Spitzrute genannt) auf den Rücken schlug. 

Der Unglückliche konnte die mörderische Strafe nicht etwa abkürzen, indem er möglichst schnell durch die Gasse lief – wie dies der Wortteil «Lauf» nahelegt. Im Gegenteil, der Verurteilte musste langsam im Rhythmus des Trommelschlags gehen, während die Schläge auf ihn einprasselten. Um ihn zum langsamen Gehen zu zwingen, schritt ein Unteroffizier voraus und hielt ihm die Säbelspitze vor die Brust. 

Darstellung eines Spiessrutenlaufs in Russland.
Darstellung eines Spiessrutenlaufs in Russland.Bild: crcb.org

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Gleichwertig mit der Todesstrafe

Wenn der Verurteilte nicht mehr gehen konnte, erteilte man ihm die Schläge trotzdem: Er wurde einfach auf Stroh gelegt und erhielt dann die festgesetzte Anzahl Streiche. Als gleichwertig mit der Todesstrafe galt die Verurteilung zu einem sechsmaligen Spiessrutenlaufen durch eine Gasse von 300 Mann an drei Tagen, wobei jeweils ein Tag überschlagen wurde. Kaum jemand überlebte diese Tortur. 

Abgeschafft wurde das Spiessrutenlaufen erst im 19. Jahrhundert: In Preussen immerhin schon 1806, in Österreich 1855 und in Russland sogar erst 1863. Als Begriff im übertragenen Sinn hat es bis heute überlebt. (dhr)

Spiessgasse
Der Ursprung der barbarischen Strafe liegt vermutlich im Lanzengericht der Landsknechte, also der zu Fuss kämpfenden Söldner des 15. und 16. Jahrhunderts. Deren Hauptwaffe, der Spiess, diente auch als Mittel zur Bestrafung von Soldaten, die mit ihrem Verhalten die Ehre des Landsknechts-Regiments befleckt hatten. Die Landsknechte bildeten eine Spiessgasse, durch die der zum Tod Verurteilte gehen musste, während seine Kameraden auf ihn einstachen. 
Spiessgasse von Landsknechten im 16. Jahrhundert.
Spiessgasse von Landsknechten im 16. Jahrhundert.Wikipedia/PD

 

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