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Kaum werden die Tage kürzer und der Herbstwind weht, haben Erkältungen und Grippe wieder Hochsaison. Wenn die Nase trieft und der Hals brennt, sucht man in der Apotheke nach einem Mittel, das die Beschwerden möglichst schnell lindert. Und verlässt das Geschäft kurz darauf mit Lutschtabletten.
Doch was viele nicht wissen: Zahlreiche handelsübliche, rezeptfreie Medikamente enthalten neben schmerzlindernden Substanzen auch Antibiotika. Dies, obwohl Halsschmerzen zu 80 Prozent von Viren verursacht werden, gegen die Antibiotika nichts ausrichten können.
«Die Beimischung ist bestenfalls nutzlos, wenn nicht sogar schädlich», erklärt Michael Schneider. Der Berner Hausarzt engagiert sich gemeinsam mit anderen Ärzten und Apothekern für einen sachgemässen Umgang mit den Medikamenten. Die vor zwei Jahren ins Leben gerufene Gruppe NEXT (Neue Expertenstrategie zur Therapie von Halsschmerzen) wird von der Firma Reckit Benckiser AG finanziell unterstützt, die selber ein antibiotikafreies Halsschmerzmittel herstellt.
Antibiotika sind äusserst wirksame Mittel. Seit der Anwendung von Penicillin ab dem zweiten Weltkrieg sterben weit weniger Menschen an Infektionskrankheiten. Doch wegen der verbreiteten Einnahme verlieren immer mehr Substanzen ihre Wirkung. Denn die Bakterien sind äusserst lernfähig. Durch ihre rasante Fortpflanzung sind sie schnell in der Lage, eine Resistenz zu entwickeln und können diese auch an andere Stämme weitergeben.
Immer mehr Menschen sprechen nicht mehr auf die gängigen Mittel an. Ärzte müssen dann auf sogenannte Reserve-Antibiotika zurückgreifen. Doch manche Patienten sind sogar gegen diese bereits resistent.
Das in Halsweh-Lutschtabletten enthaltene Antibiotikum Tyrothricin spiele dabei aber kaum eine Rolle, beteuern die Pharmaunternehmen. «Es sind keine Resistenzen oder Kreuzresistenzen mit anderen Bakterien bekannt», teilt etwa die Firma Novartis Consumer Health mit, welche die Kassenschlager der Produktelinie Mebucaine herstellt. Dazu gehören auch Mebu-Lemon, Mebu-Cherry sowie Lemocin.
Die Firmen sind zudem der Meinung, die Mittel seien wichtig, um die eindringenden Bakterien zu dezimieren. Bei einer Vireninfektion geschehe es oft, dass die anderen Keime die Schwäche des Patienten ausnutzen und sich ebenfalls stark vermehren, heisst es vonseiten der Firma Melisana. Ihr Produkt Sangerol wirke lokal, ohne dass Tyrothricin vom Körper aufgenommen werde.
Eine andere Auffassung vertritt Jacques Gubler, Chefarzt der medizinischen Poliklinik am Kantonsspital Winterthur: Die in Lutschtabletten enthaltenen Antibiotika könnten die Selektion von resistenten Bakterien begünstigen, betont der Facharzt für Innere Medizin und Infektiologie. Zudem werde die normale Bakterienflora im Hals-Rachenraum sowie im Magen-Darmtrakt gestört.
«Damit wird der wirksamste Schutz gegen krankmachende Bakterien und Pilze geschädigt und die Empfänglichkeit für weitere Infektionen kann steigen», stellt der von der Gruppe NEXT unabhängige Arzt klar. Bei oberflächlichen Halsentzündungen seien Antibiotika unnötig. Sie seien höchstens bei komplizierten Infektionen gerechtfertigt, müssten dann aber in anderer Form verabreicht werden.
In den meisten Apotheken sind die grell-gelben Packungen gleich hinter der Theke gut sichtbar aufgereiht. Die Hersteller-Konzerne bezahlen für die prominente Platzierung. Mit der grossen Bekanntheit der Lutschtabletten und der omnipräsenten Werbung ist dies für beide Seiten ein gutes Geschäft.
Zurückhaltender geht aber zum Beispiel die Bahnhof Apotheke im Zürcher Hauptbahnhof mit den Halsweh-Medikamenten um. Natürlich würden sie auch hier häufig von eiligen Kunden verlangt, sagt Yves Platel, der sich ebenfalls in der Gruppe NEXT engagiert. «Doch wenn immer möglich raten wir zu antibiotikafreien Lutschtabletten und klären sie über den Sachverhalt auf», sagt der Apotheker.
Hat jemand Fieber und besteht Verdacht auf eine bakterielle Infektion, schickt man die Person zum Arzt. In diesem Fall können Antibiotika angezeigt sein, doch in anderer Dosierung, weiss Platel. «In Lutschtabletten-Form sind sie nicht wirksam.»
Antibiotika beeinflussen die Darmflora nachhaltig. Neuere Tests haben nachgewiesen, dass die Zusammensetzung der zahlreichen verschiedenen Bakterien, die eine Funktion bei der Verdauung einnehmen, bis zu vier Jahre nach der Behandlung Veränderungen aufweist. Obwohl daraus keine direkten Beschwerden entstehen müssen, ist nicht auszuschliessen, dass dieses Phänomen langfristig Auswirkungen hat.
Auch der Bundesrat ist besorgt. Vor zwei Jahren hat er ein nationales Programm lanciert. Die Bundesämter für Gesundheit, Veterinärwesen und Landwirtschaft sollen gemeinsam eine Strategie ausarbeiten, um die Resistenzen einzudämmen. Denn die Mittel werden auch in der intensiven Tierhaltung und im Pflanzenschutz verwendet. Bis erste Massnahmen umgesetzt werden, kann es jedoch noch dauern.
Derweil ist die Gruppe NEXT bereits aktiv. Die beteiligten Experten sind international vernetzt und bieten Weiterbildungen für Mitarbeitende von Apotheken an, um sie für das Halsschmerz-Thema zu sensibilisieren. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage hat ergeben, dass drei Viertel der Bevölkerung nichts über die Antibiotika in gängigen Halsweh-Lutschtabletten weiss. Dies, obwohl viele gegenüber Antibiotika kritisch eingestellt sind.