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Die grosse Süssstoff-Lüge 

Verschwörungstheorien in der Wirtschaft

Die grosse Süssstoff-Lüge 

Cola light? Ein Killerdrink! Diätjoghurt? Brandgefährlich! Erstaunlich viele Menschen halten den in beiden Produkten enthaltenen Süssstoff Aspartam für pures Gift, mit dem uns mächtige Konzerne krank machen. 
16.01.2015, 17:5218.01.2015, 11:28
Yasmin El-Sharif / Spiegel Online
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Ein Artikel von
Spiegel Online
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Bild: KEYSTONE

Die Theorie

Kaum anzunehmen, dass diese Frage ernst gemeint ist. «Würden Sie freiwillig ein Glas Methanol oder Formalin trinken?», heisst es auf Internet-Seiten wie zentrum-der-gesundheit.de und zeitenschrift.com. Wer nicht gerade todesmutig ist, wird diesen Vorschlag denn auch verneinen. Ein rasches Ableben nach einem kräftigen Schluck Methanol wäre gewiss. 

Was so absurd klingt, kommt unserem täglichen Konsumverhalten dennoch ziemlich nah, meinen Verschwörungstheoretiker. Ihnen zufolge schlucken Millionen Menschen Methanol und andere Gifte, indem sie vorzugsweise braune koffeinhaltige Brause zu sich nehmen, die mal als «Light», mal als «Zero» beworben wird. Oder sie verzehren die «schlanken» Varianten von Fruchtjoghurts, Kaugummis und Bonbons. Denn überall ist Aspartam enthalten, auch bekannt unter den Namen Nutrasweet, Canderel oder E951. Eigentlich aber müsste es Krebsauslöser, Dickmacher und Killergift genannt werden. Denn Aspartam sei nichts anderes als das, sagen die Verschwörungstheoretiker. 

Warum wir dennoch weiter nach Light-Produkten greifen? Ganz einfach, weil die US-Industrie, Spitzenpolitiker, Wissenschaftler und das Imperium der Rockefellers erstens unter einer Decke und zweitens dahinter stecken. Trotz massiver Warnungen aufrechter, unbestechlicher Gruppen im Internet, kann sich das süsse Gift so immer weiter ausbreiten. Heute steckt es in mindestens 5000 Produkten und wird in 100 Ländern weltweit von mehr als 250 Millionen Menschen verzehrt, von denen viele nicht ahnen, woher ihre Diabetes, ihre ständigen Kopfschmerzen, Depressionen, Seherkrankungen und ihr ungezügelter Appetit kommen. Sie greifen im Supermarkt daher immer weiter nach den als gesund angepriesenen Produkten, machen die reichen Aspartam-Besitzer noch reicher und schaufeln sich selbst ihr Grab. 

Was steckt dahinter? 

Als der amerikanische Chemiker James Schlatter 1965 im Auftrag seines Arbeitgebers G. D. Searle & Company an der Entwicklung eines Geschwürmedikaments forschte, entdeckte er zufällig Aspartam. Die häufig erzählte Geschichte dazu: Schlatter hantierte angeblich gerade mit Aminosäuren herum, wühlte in seinen Unterlagen, leckte seinen Finger, um ein Blatt Papier zu greifen – und war überrascht von dem extrem süssen Geschmack, den die Aminosäuren hinterlassen hatten. Aspartam und die Firmensparte Nutrasweet waren geboren. Bis der Süssstoff zu einem dicken Geschäft wurde, dauerte es allerdings noch lange. Die US -Lebensmittelbehörde liess Aspartam erst Anfang der Achtzigerjahre vollständig zu, in Deutschland ist der Lebensmittelzusatzstoff seit 1990 auf dem Markt. 

So weit, so unauffällig. Die Verschwörungsanhänger aber wittern bereits ein Komplott dahinter, dass 1977 Donald Rumsfeld an die Spitze von G. D. Searle berufen wurde. Der frühere und spätere republikanische Verteidigungsminister war damals schon sehr einflussreich in Washington und soll bei seiner späteren Rückkehr in die Politik unter anderem dafür gesorgt haben, dass Arthur Hull Hayes Chef der bislang Aspartam-skeptischen Lebensmittelbehörde FDA wurde – und dort prompt den Süssstoff zuliess. Klar, das passt gut zusammen. Und liefert ein weiteres Indiz, dass Konzerne viel Geld und Energie in die Lobbyarbeit stecken. 

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Bild: AP

Doch diese Erkenntnis ist alles andere als überraschend und noch lange kein Beweis für die Gefährlichkeit von Aspartam. Fakt ist: Bislang gibt es keine ernst zu nehmende, das heisst fehlerfreie und unabhängige medizinische Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem Verzehr des Süssstoffs und Krankheiten wie Krebs oder ähnlichen Gesundheitsschäden nachweisen konnten. Ja, es gab Untersuchungen, etwa die gern zitierte Studie der Ramazzini Foundation an Nagetieren. Doch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) kam zu dem Schluss, dass auch diese Studie «keinen wissenschaftlichen Beweis dafür liefert, die Verwendung von Aspartam in Lebensmitteln nochmals zu überdenken». 2013 erklärte die Behörde den Süssstoff erneut für unbedenklich. 

Aspartam besteht aus Eiweissbausteinen, die nach dem Essen wieder in diese zerfallen. Die drei entscheidenden Bestandteile sind Methanol und die Aminosäuren Phenylalanin und Asparaginsäure. Menschen mit der Stoffwechselkrankheit Phenylketonurie dürften daher tatsächlich ein Problem bekommen, wenn sie Aspartam zu sich nehmen. Aber auch das reicht nicht aus, um den Süssstoff generell zu verteufeln. 

Jetzt auf

Gefährlicher für deutlich mehr Menschen ist das Methanol in mit Aspartam gesüssten Produkten, das allerdings auch in Obst- und Gemüsesäften vorkommt. Die EFSA empfiehlt, pro Tag maximal 40 mg Aspartam pro Kilogramm Körpergewicht zu sich zu nehmen, um nicht zu viel Methanol im Körper abzubauen. Man müsste als Normalgewichtiger morgens, mittags und zwischendurch literweise Light-Limonade trinken, um diese Menge zu erreichen. Selbst ein Kind mit 20 Kilo Körpergewicht kann der EFSA zufolge täglich eineinhalb Liter mit Aspartam gesüsste Limonade trinken, ohne den Grenzwert zu erreichen (bitte nicht als Handlungsempfehlung missverstehen!). 

Umstritten bleibt, ob der Süssstoff nun den Appetit anregt (und so langfristig eher noch dicker macht) oder als Diätmittel taugt. 

Nicht nachweisbar ist ein Zusammenhang der Familie Rockefeller mit der Firma Nutrasweet – die zwischenzeitlich dem Saatgutkonzern Monsanto gehörte und mittlerweile im Besitz eines privaten Investmentfonds ist. 

Und wenn es wahr wäre? 

Mal ehrlich: Wären Sie schockiert, wenn Aspartam tatsächlich ein fieses Gift wäre und wir nur sehr langsam die maliziöse Wirkung merkten? Was macht das bisschen Aspartam schon aus gegenüber den vielen anderen Alltagsgiften, die wir als normal empfinden – seien es die Abgase der Geländewagenmonster in unseren Städten, das tägliche Glas Wein (aus dem allzu oft die tägliche Flasche wird), das gegrillte, leicht verkohlte Steak, die fettige Currywurst oder der überzuckerte Kuchen? Wer unsicher ist, sollte es vielleicht mit Philippus Aureolus Theophrastus Bombast von Hohenheim halten. Der besser unter dem Namen Paracelsus bekannte Arzt wusste schon im 16. Jahrhundert: Dosis sola venenum facit. Allein die Menge macht das Gift. 

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3 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Statler
16.01.2015 21:40registriert März 2014
In der Abstimmung fehlt ein Punkt: «Nein, weil's scheusslich schmeckt» - und das tut das Zeug. Es ist schlicht widerlich. Wenn ich süss will, dann nehm ich Zucker. Und der ist - wie alles - in Massen genossen auch nicht schädlich.
Interessanterweise steht übrigens in Kalifornien auf Kaugummis, und anderem Light-Zeugs das Aspartam enthält, drauf «It's known to cause cancer» - aber, hey, all die anderen Gifte sind ja genauso tödlich, warum sollten wir da nicht auch diesen Müll in uns reinschaufeln - seltsame Argumentation, Watson...
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