Kurz bevor der Lander «Philae» am frühen Mittwochmorgen von der Raumsonde «Rosetta» abgekoppelt wurde, um seinen siebenstündigen Sinkflug auf die Oberfläche des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko anzutreten, hatten die Techniker im Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt gemerkt, dass ein Triebwerk oben auf dem Landemodul nicht ordnungsgemäss funktionierte. Dennoch gab die ESA grünes Licht für die Landung.
Tatsächlich erreichte «Philae» wie geplant den vorgesehenen Landeplatz auf dem Kometen. Doch da die Harpunen nicht auslösten, die den Lander auf «Tschuri» verankern sollten, prallte er von der Oberfläche ab und landete erst nach zwei Hüpfern endgültig. Nun steht das Landemodul an einer eher schattigen Stelle, so dass nicht sicher ist, ob es auf seinen Solarpanels genügend Licht erhält. Derzeit nutzt «Philae» seine Batterie, die eine Kapazität von rund 60 Stunden hat.
Während der kleine Lander langsam auf den Kometen zuschwebte, fieberten nicht nur die Verantwortlichen der ESA mit, sondern auch Rudolf Bleuler, Chefingenieur und CEO der Firma Realtechnologie in Oberrieden am Zürichsee. Seine Firma hatte zusammen mit einem niederländischen Unternehmen das Triebwerk gebaut. Bleuler sprach mit watson über die Gründe für die Fehlfunktion.
Herr Bleuler, angesichts der enormen Entfernung und der nach wie vor kargen Datenlage kann man über die Gründe für die Fehlfunktion des Triebwerks wohl nur spekulieren. Haben Sie eine Hypothese, was die Ursache dafür sein könnte?
Rudolf Bleuler: Tatsache ist, dass der Drucksensor, der das Öffnen des Drucktanks als erfolgreich oder fehlgeschlagen anzeigen sollte, einen Wert angezeigt hat, der weder das eine noch das andere nachwies. Er registrierte also einen Wert, der physikalisch gar nicht möglich war. Es war von uns in der Software festgelegt, dass ein unsinniger Wert vorsichtshalber als fehlgeschlagen interpretiert wird.
Das ursprüngliche Ziel der «Rosetta»-Mission war ja der Komet 46P/Wirtanen, der rund dreimal kleiner ist als 67P/Tschurjumow-Gerassimenko und daher auch eine viel kleinere Anziehungskraft hat. Das Triebwerk sollte dies kompensieren. Wäre es bei «Tschuri» überhaupt zum Einsatz gekommen?
Nein, es ist tatsächlich so, dass der eigentliche Abstiegsschub für 67P nicht gebraucht wurde, da dieser Komet eine bedeutend stärkere Gravitation aufweist.
Hätte denn der Einsatz des Kaltgas-Schubantriebs die beiden Hüpfer des Landemoduls verhindern können?
Es wäre natürlich gut gewesen, wenn der Schub als Niederhaltekraft nach dem Aufsetzen hätte eingesetzt werden können. Zumal auch der Abschuss der Ankerharpunen nicht ausgelöst werden konnte.
Wie wäre in diesem Fall der Einsatz ausgelöst worden? Durch Berührungssensoren an den Landebeinen?
Ja, das sogenannte «Touch Down Signal», das von den Landebeinen generiert wurde, ist direkt mit dem Schubsystem verbunden und hätte über die Steuerung das Ventil vor der Düse aktiviert.
Wie Sie bereits erwähnt haben, hatten auch die Harpunen nicht ausgelöst, die den Lander hätten fixieren sollen. Könnte diese Fehlfunktion in Zusammenhang mit dem Versagen des Triebwerks stehen?
Nein, die zwei Systeme sind absichtlich vollständig voneinander getrennt entwickelt worden.
Die Raumsonde war ja über 10 Jahre im All unterwegs, bevor sie ihr Ziel erreichte, davon fast drei Jahre in einer Art «Winterschlaf». Es ist sicher schwierig, Geräte zu bauen, die so lange unter solchen Umständen funktionsfähig bleiben müssen. Könnte der lange Aufenthalt im Weltraum das Triebwerk in Mitleidenschaft gezogen haben?
Ja, das ist ein Hauptrisiko, das bei solchen auf einen einzigen Einsatz hin gebauten Komponenten grundsätzlich immer existiert.
Die Entwicklung des Kaltgas-Schubantriebs für «Philae» begann etwa 1998. Würde das Gerät heute anders konzipiert und gebaut?
Nach den Erfahrungen dieser Mission sicher, ja. Die Software wurde auch während der Reise noch mehrmals den Verhältnissen angepasst. Es ist aber auch zu berücksichtigen, dass die finanziellen Mittel und die zur Verfügung gestellte Zeit unzureichend waren, um ein wirklich für alle Situationen abgesichertes System zu entwickeln.
Ich kann mir vorstellen, dass Sie am Mittwoch ein Wechselbad der Gefühle erlebt haben. Wie haben Sie die Landung – und die Nachricht von der Fehlfunktion – erlebt?
Es war eine absolut positive Lebenserfahrung. Die durch alles durchgehende Kollegialität unter allen an der Systementwicklung beteiligten Teams war nach den vergangenen zehn Jahren sofort wieder da. Die Stimmung am Landerkontrollzentrum am DLR in Köln war von einer erstaunlichen äusserlichen Ruhe und Konzentration geprägt.
Befürchten Sie aufgrund der Fehlfunktion einen Imageschaden für Ihre Firma und die Schweizer Industrie?
Es ist schon so, dass in den Medien sehr schnell von Versagen gesprochen und geschrieben wird. Ich hoffe nicht, dass das zu einem Imageschaden für die Schweizer Industrie führt. Es ist zu bedenken, dass eine grosse namhafte europäische Firma, die ursprünglich dieses System hätte entwickeln und bauen sollen, kurz vor dem Ablieferungstermin der ersten Strukturmodelle ausgestiegen ist. Sie war nicht in der Lage, eine Lösung zu präsentieren. Es musste dann vom DLR kurzfristig jemand gefunden werden, der unter enormem Zeitdruck fähig war, eine Pionierleistung zu erbringen. Und das kann ich mit einigem Stolz von dem, was meine Kollegen mit mir zusammen hingebracht haben, sagen. Auch wenn jetzt einiges nicht wunschgemäss funktioniert hat. Es hat eine enorme Risikobereitschaft gebraucht, um da überhaupt mitzumachen.