Haben Sie schon mal von Ihrem Sarg geträumt?
Luc Lindegger: Ja, mehrmals. Als ich während meiner Bachelorarbeit viel damit zu tun hatte. Aber es waren keine Alpträume.
Wie kommt man auf die Idee, einen Sarg zu entwerfen?
Ursprünglich wollte ich für meine Bachelorarbeit einfach etwas mit alternativen, biologisch abbaubaren Materialien machen. Da gibt es eine Firma in New York, die Pilzmaterial als Styroporersatz produziert.
Pilz als Kunststoffersatz?
Ja. Die geben organisches Material in eine Form und impfen das mit Sporen. Der Pilz frisst dann die ganze Form aus, sein Myzel bindet das Material. Am Schluss hat man einen weissen Klumpen in der gewünschten Form. Die Firma stellt daraus zum Beispiel Verpackungsblöcke her, aber auch Dinge wie ein Surfboard. Darüber habe ich meine theoretische Arbeit geschrieben. Und danach suchte ich eine praktische Anwendung.
Und da sind Sie auf den Sarg gekommen?
Nein, zuerst wollte ich etwas mit Blumentöpfen machen. Ich wollte etwas von den Eigenschaften des Pilzes ins Produkt hineinbringen, damit ein zusätzlicher Nutzen entsteht. Meine Idee war, Behälter herzustellen, die sich von selber auflösen.
Da sind wir ja schon beim Auflösen ...
Ja. Die Idee war, dass die Bäume in den Baumschulen beim Umpflanzen nicht aus den Töpfen genommen werden müssten. Aber das war nicht praktikabel. Also hab ich mich gefragt, was vergräbt man denn sonst noch, was sich auflösen soll?
Särge zum Beispiel.
Genau. Und weil ich ursprünglich vom Verpackungsmaterial ausging, habe ich der Arbeit den Untertitel «Die letzte Verpackung» gegeben. Übrigens gibt es da schon Projekte, zum Beispiel ein Sarg aus Kaffeesatz. Von dort kam ich auf die Problematik der Wachsleichen. Also die Leichname, die auch nach 20 Jahren Grabesruhe nicht richtig verwest sind.
Haben Sie denn schon einmal so eine Leiche gesehen?
Nein. Ich war beim Bestatter, aber es hatte keine Wachsleichen da. Aber er hat mir erzählt, dass es auch hier in Zürich ein Problem damit gibt.
Das Problem der Wachsleichen gibt es ja schon länger. Da haben sich auch schon andere um eine Lösung bemüht, zum Beispiel an der Empa St. Gallen ...
Ja, es gibt diese Firma, FS Rapid Rot.
Machen die auch Pilzsärge?
Nein, die fügen die Pilzsporen extra bei, in einer Art Starter-Kit, das am Sarg angebracht wird. Gewissermassen wie ein Zündwürfel.
Bei Ihrem Verfahren gibt es keinen «Zündwürfel». Besteht da der ganze Sarg aus Pilzmaterial?
Nicht zwangsläufig. Sicher die Sargeinlage. Die äussere Hülle, der eigentliche Sarg, kann aber auch ein Züri-Sarg sein. Auf den hat jeder Zürcher Anspruch – laut dem Bestatter entscheiden sich 90 Prozent der Leute für dieses Modell. Das eignet sich für Feuer- und Erdbestattungen. Für mein Sargmodell habe ich das styroporähnliche Material der New Yorker Firma verwendet. Das wird mit Druck und Wärme in Form gepresst und sieht aus wie eine Spanplatte.
Dieses Material trägt aber nichts zur Zersetzung der Leichen bei.
Nein. Der Pilz in diesem Material ist tot. Die Zersetzung wird durch die Sargeinlage gefördert. Die ist nicht an mein Sargmodell gebunden und kann relativ leicht normiert und angepasst werden.
Die ist wie eine Schicht, die man in den Sarg reinlegt?
Man nennt das Ausschlag. Bei den üblichen Särgen liegt Sägemehl am Boden, das die Leichenflüssigkeit aufnehmen soll. Darüber liegt ein Tuch, das an den Wänden angetackert wird, der Innenausschlag. Ich habe mir gedacht, ich stelle eine Einlage her, die den Ausschlag ersetzt. Es gibt zwei Ausführungen: Die erste, die ich angefertigt habe, besteht aus weichen Wölkchenstrukturen und hat in der Mitte längs eine Rille, dort könnte man auch Sägemehl reinstreuen. Da hat es auch einen Griff dran, damit der Bestatter das gut tragen kann. Die zweite Ausführung imitiert den Faltenwurf eines Tuches.
Das Verfahren ist übrigens nicht nur dafür geeignet, Leichen zu zersetzen. Es gibt auch Pilze, die Schwermetalle an sich binden können. Unsere Friedhöfe sind ja immer mehr verseucht mit Medikamenten. Und mit den Toten beerdigt man Herzschrittmacher und dergleichen.
Haben Sie reale Versuche mit dem Material gemacht, zum Beispiel mit Tierkadavern?
Nein, ich habe keine Versuche gemacht, ob das funktioniert,
ob sich die Leichen zersetzen. Da müsste man noch weiter am Material arbeiten. Es ist ja immer so bei solchen Abschlussprojekten, dass es noch ein weiter Weg wäre bis zur Praxisreife.
Wie hat eigentlich Ihr Umfeld auf das Sarg-Projekt reagiert?
Ich hatte am Anfang einige Bedenken. In der Diplomarbeit befasst man sich ja meistens mit einem Thema, mit dem man dann auch später beruflich zu tun hat. Und ich hatte auch Bedenken; ich mach jetzt einen Sarg, was sagen die Leute dazu? Aber es wurde gut aufgenommen. Wenn ich erzählte, was ich mache, bekam ich eigentlich immer positive Reaktionen. Ein Kollege meinte, der Tod sei das letzte Tabuthema. Brüste und Ärsche, damit könne man niemanden mehr schockieren.
Sie haben noch keine Anfragen bekommen, zum Beispiel von Friedhofsämtern?
Nein, bisher nicht.
Und wenn nun solche Anfragen kämen? Könnten Sie sich vorstellen, solche Särge und Sargeinlagen kommerziell herzustellen?
Ich habe nie geplant, Sargbauer zu werden. Wenn es aber einen Interessenten gäbe, der auch das Know-how hätte, um das umzusetzen, dann wäre ich nicht grundsätzlich abgeneigt, mir das näher anzuschauen. Aber es wäre sicher ein gutes Auskommen, wenn man regelmässig solche Einlagen liefern könnte – ein todsicheres Geschäft!