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Funksprüche verraten Schicksal der Flugpionierin Earhart

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Amelia Earhart in Lae, Neuguinea, vor dem Take off zu ihrer letzten Reise. Bild: EPA/NATIONAL ARCHIVES

«Helft uns schnell!»: Forscher rekonstruieren Amelia Earharts Schicksal aus ihren Notrufen

27.07.2018, 20:26
Daniel Huber
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Was geschah mit Amelia Earhart und ihrem Navigator Fred Noonan, als sie im Juli 1937 bei ihrem Flug über dem Pazifik verschwanden? Mehr als 80 Jahre nach dem tragischen Ende ihres Versuchs, mit ihrer Lockheed Electra als erster Mensch die Erde am Äquator zu umrunden, ist das Schicksal der Flugpionierin immer noch ein Rätsel. 

Jetzt werfen Experten neues Licht auf die letzten Tage der wagemutigen Frau, die 1932 als erste Pilotin den Atlantik überflogen hatte. Richard Gillespie von «The International Group for Historic Aircraft Recovery» (TIGHAR) und sein Team haben alle Funksprüche Earharts analysiert, die nach ihrem Verschwinden in der Pazifikregion und in Nordamerika aufgefangen wurden. 

FILE - In this May 1937 file photo, aviator Amelia Earhart and her navigator, Fred Noonan, stand in front of their twin-engine Lockheed Electra airplane in Los Angeles, prior to their historic flight  ...
Earhart und ihr Navigator, Fred Noonan. Bild: AP/AP
Flugpionierin und Medienstar der 30er-Jahre
Die am 24. Juli 1897 in Kansas geborene Amelia Earhart kam aus wohlhabendem Haus. 1920 durfte sie zum ersten Mal in einem Flugzeug mitfliegen; von da an wollte sie unbedingt selber fliegen. Gegen den Widerstand ihrer Eltern erwarb sie eine Fluglizenz und erwarb 1921 ein eigenes Flugzeug. Mit dieser Maschine stellte sie kurz darauf einen Höhenweltrekord für Frauen auf. Berühmt wurde Earhart 1928, als sie als erste Passagierin einen Nonstop-Flug über den Atlantik machte. 1932, ein halbes Jahr nach ihrer Heirat, überquerte sie als erste Frau den Atlantik im Alleinflug. Danach folgten weitere Rekordflüge – bis zum fatalen Versuch, als erster Mensch die Erde am Äquator zu umrunden. Sie verschwand am 2. Juli 1937 mit ihrem Navigator Fred Noonan vor dem letzten Zwischenstopp. Am 5. Januar 1939 wurde sie für tot erklärt.   
Earhart war überzeugte Pazifistin und Feministin, die ihre Popularität nutzte, um diese Anliegen voranzutreiben.  

Notruf im Radio

Das Funkgerät der Lockheed Electra war zwar nur für Distanzen von wenigen hundert Kilometern ausgelegt, doch neben der gewählten Primärfrequenz sendete das Gerät die Funksprüche auch in höheren, sogenannten harmonischen Oberschwingungen aus. Diese Oberschwingungen können über bedeutend grössere Distanzen empfangen werden, doch die Tonqualität ist dabei unvorhersehbar. 

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Manche dieser Oberschwingungen wurden von Privatleuten auf dem Radio empfangen, als sie an der Kurzwellen-Wählscheibe drehten. 57 Berichte über solche aufgefangene Notrufe stuft Gillespie als glaubwürdig ein; die jeweiligen Empfänger befanden sich an verschiedenen Orten in Nordamerika und wussten nichts voneinander. 

Im Gegensatz zur gängigen These, wonach Earhart in den Ozean abstürzte, nachdem ihr der Treibstoff ausgegangen war, glaubt Gillespie, es sei der Pilotin gelungen, auf einem Riff vor Gardner Island (heute Nikumaroro) zu landen. Von dort aus soll Earhart ihre Notrufe abgesetzt haben. 

FILE - This July 1, 1937 file photo supplied by The International Group for Historic Aircraft Recovery (TIGHAR), is the only known picture of Amelia Earhart's Lockheed Electra taking off from Lae ...
Earharts Lockheed Electra beim Start in Lae auf Neuguinea. Bild: AP/The International Group for Historic Aircraft Recovery

Die Hoffnung schwindet

Und die wurden von Mal zu Mal hoffnungsloser. Mabel Larremore aus Amarillo in Texas, die am Abend des 2. Juli 1937 – an jenem Freitag, als Earhart und Noonan verschwanden – gerade ihr Radio ausschalten will, vernimmt die Stimme der Pilotin und hört eine gute halbe Stunde lang zu, wie Earhart ihre Lage schildert. 

«Flugzeug abgestürzt auf eine unbekannte Insel. Klein. Unbewohnt.»

Die Maschine liege teilweise im Wasser, Navigator Noonan sei schwer verletzt und benötige sofortige Hilfe. Auch sie selber sei verletzt, aber nicht so schwer.  Am 3. Juli fängt Nina Paxton aus Ashland in Kentucky einen Notruf Earharts auf:  

«Unser Flugzeug hat fast keinen Treibstoff mehr. Überall ist Wasser. Sehr dunkel. Wir müssen hier weg. Wir können hier nicht lange bleiben.»
FILE - In a June 26, 1928 file photo, American aviatrix Amelia Earhart poses with flowers as she arrives in Southampton, England, after her transatlantic flight on the "Friendship" from Burr ...
Ihr grösster Erfolg: Earhart am 26. Juni 1932 in Southhampton nach ihrem Nonstopflug über den Atlantik. Bild: AP/AP

Einen Tag später hört der 16-jährige Dana Randolph in Rock Springs, Wyoming:

«Dies ist Amelia Earhart. Schiff ist auf einem Riff südlich des Äquators. Station KH9QQ.»

Als Earhart die Koordinaten durchgibt, schwächt sich das Signal ab; es ist nichts mehr zu verstehen. Am Abend des selben Tages vernimmt Howard Coons in San Francisco: 

«Noch am Leben. Beeilt euch. Sagt Ehemann, alles in Ordnung.»

Letzter Notruf, dann Stille

Es ist schon der 5. Juli, als Betty Klenck aus St.Petersburg in Florida eine verzweifelte Earhart um Hilfe rufen hört. Das Wasser stehe schon auf Kniehöhe. Der vermutlich letzte Notruf wird am frühen Morgen des 7. Juli empfangen. Thelma Lovelace aus St.Johns in New Brunswick vernimmt Earharts Stimme: 

«Könnt ihr mich hören? Könnt ihr mich hören? Dies ist Amelia Earhart. Dies ist Amelia Earhart. Bitte antworten. Wir haben Wasser aufgenommen, mein Navigator ist schwer verletzt; wir benötigen medizinische Versorgung und brauchen Hilfe; wir können nicht mehr lange durchhalten.»
FILE - In this file photo taken on or about July 2, 1937, American aviator Amelia Earhart, left, and her navigator, Fred Noonan, right, pose beside their plane with gold miner F.C. Jacobs at Lae, New  ...
Earhart und Noonan (r.) mit einem Goldschürfer auf Neuguinea kurz vor dem Start zur letzten Etappe. Bild: AP/AP

Nach diesem Notruf fängt ein Funker auf Howland Island am frühen Abend noch ein schwaches Signal auf und vernimmt Sprachfetzen, in denen der Name Earhart fällt. Diese dürften aber – wie Gillespie glaubt – vom Funkverkehr eines Flugzeugs stammen, in dem sich das Gespräch um die Suche nach Earhart drehte. Ohnehin wäre die Flut zu diesem Zeitpunkt zu hoch gewesen; Earhart hätte das Funkgerät dann nicht in Betrieb nehmen können. 

In this undated photo, aviator Amelia Earhart, left, and navigator Fred Noonan pose with a map of the Pacific Ocean showing the planned route of their round-the-world flight. (AP Photo)
Earhart und Noonan mit einer Karte der geplanten Flugroute über den Pazifik. Bild: AP/AP

Im Rhythmus der Gezeiten

In der Tat folgen fast alle Notrufe dem Gezeitenwechsel, wie er auf der Insel stattfand: Earhart konnte nur dann Funksprüche absetzen, wenn der Motor ihres Flugzeugs in Betrieb war, ohne dass Gefahr bestand, dass er vom Meerwasser überschwemmt wurde. Dies war jeweils vom späten Abend bis zum frühen Morgen der Fall. Laut Gillespie ist dieses zeitliche Muster das stärkste Indiz, das für seine Hypothese spricht. 

Gillespie vermutet, dass die Lockheed Elektra am Morgen des 9. Juli endgültig vom Riff ins Meer gespült wurde und versank – die Meeresboden fällt dort steil ab. An diesem Tag überflogen mehrere amerikanische Flugzeuge Gardner Island und sahen dort kein Flugzeug. 

Mögliche Position von Earharts Flugzeug, einer Lockheed Elektra, nach der Notlandung auf dem Riff bei Gardner Island (Nikumaroro).
An diesen Stellen auf dem Riff befand sich Earharts Flugzeug möglicherweise in den Tagen nach der Notlandung, bis es am 9. Juli versank.  Bild: tighar.org

Skelettüberreste

Gillespies Hypothese wird von einer Studie des Anthropologen Richard Jantz von der Universität von Tennessee gestützt, die dieser im März dieses Jahres in der Fachzeitschrift «Forensic Anthropology» veröffentlichte. Jantz verglich Messungen von Skelettüberresten, die auf Gardner Island gefunden wurden und später verloren gingen, mit überlieferten und zum Teil geschätzten Körpermassen von Earhart. Er kam zum Schluss, dass die gefundenen Knochen besser zu Earhart als zu 99 Prozent der Menschen aus einer Vergleichsgruppe passen. 

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Jantz' Hypothese kann nicht mit einer DNA-Analyse erhärtet werden, weil die angeblichen Überreste von Earhart verschwunden sind. Auch die  Funkspruch-Analyse der TIGHAR-Experten dürfte noch kein wasserdichter Beweis dafür sein, dass Earhart und Noonan tatsächlich auf Garner Island notlandeten und dort einige Tage überlebten. Wie die berühmte Flugpionierin ihre letzten Stunden verbrachte, wird man wohl nie genau wissen. 

FILE - This undated file photo shows Amelia Earhart, the first woman to fly solo across the Atlantic Ocean. A federal judge has dismissed a Wyoming man’s lawsuit claiming a group secretly found the mi ...
Amelia Earhart wurde am 5. Januar 1939 für tot erklärt. Bild: AP/AP

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