Parasiten – sie sind der Stoff, aus dem Alpträume sind. Die Tierchen haben eine schlechte Presse. Vermutlich liegt das nicht zuletzt daran, dass man ihnen vorwirft, keine eigene Leistung zu erbringen. Doch das stimmt nicht ganz: Manche Parasiten sind meisterhafte Manipulatoren, die ihre Opfer dazu bringen, Dinge zu tun, die sie sonst nie tun würden.
Jüngstes Beispiel ist die Wespenart Reclinervellus nielseni, deren hinterhältige Machenschaften die Radnetzspinne Cyclosa argenteoalba in eine willenlose Marionette verwandeln. Japanische Forscher haben die parasitäre Wespe und ihr Opfer untersucht und ihre Erkenntnisse in der aktuellen Ausgabe des Journal of Experimental Biology publiziert. Mit dieser bösen Wespe eröffnen wir unsere Liste:
Die Radnetzspinne Cyclosa argenteoalba spinnt ihre Netze im Süden der japanischen Hauptinsel Honshu. Wenn sie Pech hat, begegnet sie der Wespe Reclinervellus nielseni, die flugs ihre Eier im Körper der Spinne ablegt. Die Wespenlarven, die in der Spinne schlüpfen, greifen in den Hormonhaushalt ihrer lebenden Behausung ein, sodass die Zombiespinne anstelle ihres Fangnetzes eine Art schützenden Kokon webt.
Dorthin zieht sich die Spinne mitsamt ihrer tödlichen Fracht zurück, damit die Wespenlarve sich ungestört verpuppen kann. Zum Dank saugt die Wespenlarve ihr Opfer am Schluss noch aus.
Juwelwespen sind nicht besonders gross. Jedenfalls sind die blau-grün schillernden Wespen kleiner als Kakerlaken. Das hindert Ampulex compressa, wie sie fachsprachlich heisst, nicht daran, diese Insekten sozusagen als Geiseln zu nehmen. Der Wespen-Nachwuchs soll reichlich mit lebendem Proviant versorgt sein.
Die Wespe führt ihren perfiden Plan in mehreren Schritten aus: Zuerst lähmt sie die Kakerlake kurzzeitig durch einen Stich in die Brust. Darauf senkt sie ihren Stachel in das Gehirn ihres wehrlosen Opfers und lähmt die Region, die für den Fluchtreflex zuständig ist.
Nun packt sie die Kakerlake an einem Fühler und führt das willenlose Insekt wie einen Hund an der Leine zu ihrem Nest – wo sie ihm ein Ei an den Unterleib klebt. Die Larve, die daraus schlüpft, labt sich zuerst an den Körpersäften der Kakerlake, später bohrt sie sich in den Körper hinein und frisst ihr Opfer von innen auf.
Eine Wespenart der Gattung Glyptapanteles treibt die Kunst des parasitären Missbrauchs noch eine Stufe weiter: Sie benutzt die Raupe Thyrinteina leucocerae als lebendes Fresspaket und zugleich als Bodyguard für ihre Nachkommenschaft. Die Wespe legt ihre rund 80 Eier in der Raupe ab. Die geschlüpften Larven ernähren sich dann von deren Körperflüssigkeiten, bis sie gross genug sind. Dann fressen sie sich durch die Haut ihres Wirtes nach draussen und verpuppen sich dort.
Das ist nicht ungefährlich, denn Fressfeinde lauern überall. Doch nun fungiert die bereits tödlich geschwächte Raupe als Leibwächter: Sie hört auf zu laufen und zu fressen und schwingt den Kopf hin und her, um alles abzuwehren, was sich den Kokons mit den Wespen nähert. Erst wenn die Wespen schlüpfen, ist die Qual für die Raupe vorbei – sie stirbt.
Bleiben wir noch bei den Wespen, von denen so viele meisterhafte Parasiten sind. Zum Beispiel die Marienkäfer-Brackwespe. Wenn Dinocampus coccinellae auf einen Marienkäfer stösst, steht sie vor der Frage: Jetzt selber fressen oder für den Nachwuchs aufheben? Wenn sie sich für Letzteres entscheidet, sticht sie dem Käfer ein Ei in den Bauch.
Rund 20 Tage lang parasitiert die Wespenlarve dann in ihrem getupften Wirt, bevor sie ein Loch in dessen Bauch bohrt. Zwischen den Beinen des Käfers spinnt sie dann einen Kokon, sodass dessen zum Teil gelähmter Körper sie vor Fressfeinden schützt. Erstaunlich: Etwa 25 Prozent der so malträtierten Marienkäfer überlebt die Tortur.
Nicht immer sind Wespen die Täter – manchmal sind sie auch das Opfer: Die Gallische Feldwespe (Polistes dominulus) zum Beispiel sollte es tunlichst vermeiden, auf eine Larve des Parasiten Xenos vesparum zu treffen. Der auf Wespen spezialisierte Schmarotzer, dessen Name «Wespenfeind» bedeutet, bespringt das Insekt, bohrt sich in dessen Leib und lebt von da an von dessen Blut.
Die Wespe wächst dadurch langsamer, sie vernachlässigt aber zusehends auch ihre Pflichten im Wespenstaat. Im Sommer verlassen dann alle infizierten Wespen das Nest und fliegen – wie von Geisterhand gesteuert – zu einem bestimmten Ort, an dem sich weitere infizierte Wespen einfinden.
Dort verlassen die männlichen Parasiten den Körper ihres Wirtes, der dabei stirbt, und paaren sich mit den Weibchen. Diese bleiben in ihrer Wespe und strecken nur ihre Genitalien zur Paarung heraus. Die Wespen mit den weiblichen Parasiten kehren dann zurück und legen nach einem Winterschlaf die Xenos-vesparum-Larven auf Blätter ab.
Der Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum) ist ein grosser Manipulator: Der Saugwurm infiziert zunächst Schnecken, von denen er als Larve in einem Schleimball wieder ausgeschieden wird. Ameisen, die sich am Schneckenschleim gütlich tun, nehmen die Larven auf. Eine davon – der sogenannte Hirnwurm – setzt sich im Ameisenhirn fest.
Die befallene Ameise verhält sich tagsüber normal, aber abends kehrt sie nicht ins Nest zurück, sondern klettert auf einen Grashalm und beisst sich an der Spitze fest. Dort oben ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass sie mitsamt dem Grashalm von einem Schaf oder einem Rind gefressen wird – dem Endwirt des Parasiten. Im Darm des Pflanzenfressers bildet der Leberegel Eier, die dann mit dem Kot ausgeschieden werden.
Plagiorhynchus cylindraceus ist ein Parasit, der als Endwirte Singvögel befällt. Mit ihrem Kot gelangen die Larven dieses Kratzwurms in Rollasseln (Armadillidium vulgare) – und aktivieren in den Zwischenwirten ein selbstmörderisches Verhalten. Die befallenen Asseln wagen sich nämlich viel häufiger auf hellen Untergrund – wo sie besser zu entdecken sind. Und sie verstecken sich viel weniger unter Blättern und dergleichen als ihre nicht von Parasiten befallenen Artgenossen.
Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Asseln von einem Vogel gefressen werden – und der Wurm seinen Lebenszyklus vollenden kann.
Pferdehaarwürmer leben im Larvenstadium als Parasiten in Insekten und als erwachsene Tiere frei im Süsswasser. Paragordius tricuspidatus ist der schmucke lateinische Name einer Wurm-Art, die als Larve in Waldgrillen lebt. Lange geht das für beide Seiten gut, doch wenn der Wurm sein Fortpflanzungsalter erreicht, bringt er seinen Wirt – vermutlich mit Hormonen – dazu, sich ins nächste Gewässer zu stürzen.
Für die Grillen, die gar nicht schwimmen können, ist das fatal. Paragordius tricuspidatus kümmert das wenig; er sucht sich im Wasser einen Partner zur Fortpflanzung, um die nächste Parasitengeneration in die Welt zu setzen.
Kaum ein Parasit ist weiter verbreitet als Toxoplasma gondii. Der Hauptwirt des Einzellers ist die Katze, aber als Zwischenwirt befällt er auch gern unsere Spezies – jeder dritte Mensch ist mit ihm infiziert. Sinnvoller sind allerdings Nager als Zwischenwirt, denn sie sind bevorzugte Beutetiere der Katzen.
Befallene Ratten oder Mäuse zeigen nun ein auffälliges Risikoverhalten: Sie sind grundsätzlich aktiver und weniger ängstlich in neuen Situationen als nicht infizierte Tiere. Mäuse bewegen sich keck quer durch den Raum, statt sich vorsichtig den Wänden entlang vorzutasten. Ratten haben plötzlich eine Vorliebe für den Duft von Katzenurin – gegen den sie sonst aus naheliegenden Gründen eine deutliche Abneigung hegen. Riechen befallene männliche Ratten Katzenurin, aktiviert das zudem die Hirnregion, die das Sexualverhalten steuert.
Manche Wissenschaftler vermuten, dass auch infizierte Menschen mehr Risiken eingehen, als sie es sonst tun würden. Es gibt beispielsweise Indizien, dass sie mehr Verkehrsunfälle verursachen. Dazu kommen Hinweise für ein erhöhtes Schizophrenie-Risiko. Die Beweisführung ist jedoch schwierig, da man Menschen nicht mutwillig zu Forschungszwecken mit Toxoplasmose infizieren kann.