In dem nordserbischen Ferienort Palic herrscht in diesem Winter Hochbetrieb. Tausende Kosovaren bevölkern seit Wochen die Hotels und Gasthäuser rund um den gleichnamigen See.
Sie suchen dort aber keine Erholung, vielmehr warten sie auf eine günstige Gelegenheit, um der Armut in ihrem Heimatland zu entkommen. Das Eintrittstor zu einer vermeintlich besseren Zukunft liegt nur wenige Kilometer entfernt: Über die Grenze zu Ungarn wollen die Flüchtlinge irregulär in die EU einreisen, um sich dort ein neues Leben aufzubauen.
Das Kosovo hatte sich 1999 im Zuge eines blutigen Konflikts unter Beteiligung der NATO von Serbien abgespalten. Im Jahr 2008 erklärte Pristina seine Unabhängigkeit, die jedoch bis heute von Belgrad nicht anerkannt wird. Der Kleinstaat zählt zu den ärmsten Ländern Europas. Etwa 40 Prozent der 1.8 Millionen Einwohner leben in Armut.
In Palic hat sich ein Netzwerk von Schleppern eingenistet, die sich ihre Dienste von den Fluchtwilligen teuer bezahlen lassen. An Nachfrage mangelt es nicht: Laut Medienberichten starten täglich etwa zehn Busse aus dem Kosovo in Richtung Palic.
Allein das Touristikunternehmen Adio Tours aus der Hauptstadt Pristina schickt an einem Februartag drei Busse mit etwa 150 Kosovo-Albanern an Bord auf die Reise.
«Wir haben die Unabhängigkeit, aber nichts zu essen», sagt der 27-jährige Hasan Fazliu, der seinen einjährigen Sohn in den Armen trägt. Die Fahrt nach Palic dauert etwa zehn Stunden. Endstation ist die Villa Lira, ein geheimer Treffpunkt der Schlepper.
«Ich bin hier mit meiner Frau und meinen beiden Kindern», erzählt der 32 Jahre alte Selman. «Wir zahlen 100 Euro für das Zimmer und sie verlangen 980 Euro, um uns nach Ungarn zu bringen.» Für einige ist dies unbezahlbar. Auch der 29-jährige Rizah, Vater eines Babys, kann sich die Dienste der Schlepper nicht leisten:
Währenddessen erreichen vier junge Kosovaren im Schneegestöber das Gasthaus Lira. «Wir werden es heute Abend auf eigene Faust probieren», sagen sie, nachdem sie erfahren haben, welche Preise die Fluchthelfer verlangen.
Anführer der Schlepper in Palic, die sich mit der lokalen Unterwelt verbündet haben, ist ein Mann namens Sami. «Macht eure Arbeit und kommt erst zurück, wenn sie erledigt ist», schnauzt er in sein Handy und lässt sich erst beruhigen, als einer seiner Mitstreiter ihm den Gewinn der vergangenen Nacht übergibt. An einem Tisch im Gasthaus zählt er das Geld.
Sami und seine Komplizen sind aber nicht die Einzigen, die von der Verzweiflung ihrer Landsleute profitieren. «Mein Chef ärgert sich, dass er nur zwei Busse besitzt. ‹Auch wenn ich fünf hätte, wären die Sitze eine Woche im Voraus ausverkauft›, hat er mir erzählt», berichtet einer der Busfahrer in Palic.
Seit Jahresbeginn haben bereits 13'000 Menschen in Ungarn Asyl beantragt. Ihre Zahl könnte sich 2015 auf insgesamt 100'000 belaufen, schätzt Antal Rogan, ein ranghoher Politiker der in Ungarn regierenden Fidesz-Partei. Dies wären mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.
Die Behörden im Kosovo lassen keinen grossen Ehrgeiz erkennen, die Massenflucht aus ihrem Land zu verhindern. Stattdessen sehen sie das Nachbarland in der Pflicht, die Ausreisen zu verhindern.
Die serbische Polizei gab unterdessen bekannt, innert drei Tagen nahezu 450 Kosovo-Albaner an der Ausreise gehindert und festgenommen zu haben. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die einen serbischen Pass beantragt haben.
Allein 60'000 solcher Anfragen wurden in den vergangenen Wochen nach Angaben Belgrads registriert. Die Kosovaren benötigen ein Visum, um in die EU einzureisen. Serbische Staatsangehörige können sich hingegen in den meisten EU-Ländern frei bewegen.
(sda/afp)