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Schweizer Firma kassiert Millionen für ein Flüchtlingslager in Österreich, wo 1500 Menschen unter freiem Himmel schlafen müssen

Zahlreiche Flüchtlinge in der österreichischen Unterkunft Traiskirchen müssen draussen schlafen. 
Zahlreiche Flüchtlinge in der österreichischen Unterkunft Traiskirchen müssen draussen schlafen. Bild: EPA/APA

Schweizer Firma kassiert Millionen für ein Flüchtlingslager in Österreich, wo 1500 Menschen unter freiem Himmel schlafen müssen

Im österreichischen Flüchtlingslager in Traiskirchen herrschen prekäre Verhältnisse. Es fehlt an fast allem, nicht einmal Betten gibt es. Für die Betreuung der Asylbewerber ist die Schweizer Firma ORS zuständig. ORS reagiert jetzt und hat eine Untersuchung angeordnet. 
25.08.2015, 10:3826.08.2015, 11:05
Felix Burch
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Die Lage ist chaotisch in der Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen in Niederösterreich. Bis zu 4500 Menschen werden laut dem Innenministerium im Lager untergebracht. Ausgelegt ist es für 1800 Flüchtlinge. 

Heinz Patzelt, Generalsekretär Amnesty International Österreich.
Heinz Patzelt, Generalsekretär Amnesty International Österreich.Bild: EPA/APA

Dies führte zu einer Intervention von Amnesty International (AI). Die Menschenrechtsorganisation war mit sechs Leuten einen Tag lang im Flüchtlingslager und berichtet von einem «strukturellen Versagen». Die Unterkunft sei völlig überbelegt, die medizinische und soziale Versorgung unzureichend. Heinz Patzelt, Generalsekretär von AI Österreich, sagte kürzlich: «Als wir vor Ort waren, mussten rund 1500 Menschen in Traiskirchen im Freien schlafen, dazu kommen noch jene, die ausserhalb des Geländes übernachten. Ein unhaltbarer Zustand.»

Die ORS verdient an Flüchtlingen Millionen 

Seither hat sich laut AI im Lager selber wenig getan. «Es gibt zwar einen Aufnahmestopp, als Erfolg alleine können wir das aber noch nicht bezeichnen», sagt AI zu watson. Zudem seien jetzt zumindest weitere Ärzte auf das Gelände gelassen worden. Das war zuvor nicht der Fall.  

«Die ORS teilt die Meinung der Kommission von Amnesty International hinsichtlich der unglaublichen Unterbringungsbedingungen in der Betreuungsstelle in Traiskirchen.»
Roman Della Rossa, ORS-Sprecher

Die Schweizer Firma ORS verdient mit Flüchtlingen Geld. Sie hat sich auf die Betreuung von Asylsuchenden und Flüchtlingen spezialisiert und ist im Auftrag des österreichischen Innenministeriums auch für die Menschen in Traiskirchen zuständig. Gegenüber watson nimmt die ORS erstmals umfassend Stellung zum Fall: «Die ORS teilt die Meinung der Kommission von Amnesty International hinsichtlich der unglaublichen Unterbringungsbedingungen in der Betreuungsstelle in Traiskirchen», sagt ORS-Sprecher Roman Della Rossa. Eine kurzfristig anberaumte Untersuchung gehe jeder einzelnen Kritik von AI nach. «Verbesserungen werden sofort umgesetzt, wo dies möglich ist», sagt Della Rossa. 

Unter den Flüchtlingen, die kein Dach über dem Kopf haben, sind auch Kinder und Frauen. Nach wie vor gibt es in Traiskirchen unbegleitete Minderjährige, die nicht geschützt sind.  
Unter den Flüchtlingen, die kein Dach über dem Kopf haben, sind auch Kinder und Frauen. Nach wie vor gibt es in Traiskirchen unbegleitete Minderjährige, die nicht geschützt sind.  Bild: EPA/APA

Laut verschiedenen österreichischen Medien zahlte der Staat der Firma ORS, die ihren Hauptsitz in Zürich hat, für die Betreuung von Asylbewerbern letztes Jahr 21 Millionen Euro (22.7 Millionen Franken). Insgesamt setzt der Konzern pro Jahr 70 Millionen Franken um. Wie viel ORS pro Asylbewerber – auch für solche ohne Betten – bekommt, will die Firma nicht preisgeben; man stehe mit den Auftraggebern in einem Vertragsverhältnis und könne deshalb keine Angaben machen. 

«Dass Menschen in Österreich im Freien schlafen müssen, ist eine Katastrophe.»
Heinz Patzelt, Generalsekretär Amnesty International Österreich

«Ergreifen laufend Massnahmen»

Dass es in Traiskirchen immer noch nicht genug Betten gibt, Menschen im Freien schlafen müssen, bezeichnet AI als Katastrophe. ORS-Sprecher Della Rossa verweist darauf, dass es seit des «rasanten Anstiegs des Flüchtling-Stroms ab Mai dieses Jahres» schlicht zu wenig Räume für die Flüchtlinge gebe. Das Innenministerium habe die ORS «mit der Räumung aller nur denkbaren Zimmer, Aufenthalts- und Schulungsräume beauftragt» und trotzdem habe der Platz schon nach wenigen Wochen nicht mehr ausgereicht, um die Personen wenigstens in einem Bett mit einem Dach über dem Kopf unterzubringen. 

ORS nicht das erste Mal in den Schlagzeilen
Die ORS Service AG hat ihren Sitz in Zürich. Ihre Kernkompetenz ist das Betreuen von Asylsuchenden und Flüchtlingen. Die Firma, die 1992 gegründet wurde, bezeichnet sich selber als kompetente Partnerin für Bund, Kantone und Gemeinden. Die ORS beschäftigt 450 Mitarbeiter und betreut pro Tag 4500 Asylsuchende. Die ORS geriet bereits im Jahr 2012 in die Schlagzeilen. Damals hiess es, im Asylzentrum Eigenthal bei Kriens LU herrschten Missstände. 
Alexandra Karle, Sprecherin von Amnesty International Schweiz, ist kritisch, was die Betreuung von Asylsuchenden durch gewinnorientierte Unternehmen wie die ORS angeht. «Wenn am Personal gespart wird, besteht die Gefahr, dass Asylsuchende nurmehr verwaltet werden und vor allem die Effizienz und Fragen der Sicherheit im Vordergrund stehen», sagt Karle. (feb)   

Della Rossa meint weiter, die Einschränkung der Betreuung müsse man im Kontext mit den räumlichen Gegebenheiten sehen. Der jetzige Zustand sei eine Notsituation, trotzdem würden laufend Massnahmen wie der Schutz für Frauen bei der Benutzung von Nasszellen oder die dezentrale Ausgabe von Essen ergriffen. 

Das Flüchtlingslager, das etwa 20 Kilometer weit entfernt von Wien liegt, aus der Vogelperspektive. 
Das Flüchtlingslager, das etwa 20 Kilometer weit entfernt von Wien liegt, aus der Vogelperspektive. Bild: EPA/APA

Politiker reagieren 

Nach dem AI-Bericht über Traiskirchen wird in Österreich über ein Durchgriffsrecht bei der Unterbringung von Asylbewerbern diskutiert. Damit würde der Bund in den Gemeinden selber Unterkünfte errichten können – auch gegen den Willen von Ländern und Gemeinden. Diese waren bisher wenig kooperationsbereit. Zudem ist eine Quote für Gemeinden in Relation zur Wohnbevölkerung vorgesehen. Das Ganze soll ab Oktober möglich sein, muss aber noch vom Parlament genehmigt werden. 

Flüchtlingschaos in Mazedonien (Spiegel Online)

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Flüchtlingschaos in Mazedonien (Spiegel Online)
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quelle: x01157 / ognen teofilovski
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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bijouxly
25.08.2015 10:59registriert Dezember 2014
Diese Firma ist mir schon lange suspekt. Die WOZ hat vor Jahren einmal einen spannenden Artikel dazu gebracht. Ich habe einmal einen redaktionellen Artikel über ein Asylheim in unsererr Nähe geschrieben. Gemeinde und Behörde waren sehr kulant - doch von der ORS war es unmöglich, etwas zu vernehmen, Gespräch mit einem Mitarbeiter? Nicht möglich und das ginge auch niemanden was an. Auf der Sozialdirektion, wo ich von ihnen hinverwiesen wurde, wurde ich ungläubig gefragt "Was wollen Sie denn da wissen?" nein, das müsse man so genau nicht wissen - so viel zur Transparenz.
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zombie1969
25.08.2015 12:28registriert Januar 2014
"Die Schweizer Firma ORS verdient mit Flüchtlingen Geld"
Konkret: Die Schweizer Firma ORS verdient mit Flüchtlingen Geld das der Steuerzahler erst mit harter Arbeit erwirtschaften muss.
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The oder ich
25.08.2015 12:03registriert Januar 2014
Es gibt halt einfach Sachen, die muss der Staat selber machen. Solche Aufgaben kann er nicht an Private abschieben: das gilt für den Asylbereich, aber noch viel mehr für polizeiliche Aufgaben. Billiger kommt es so oder so nicht (die Privaten sind ja gewinnorientiert), und wenn der Staat die Leistungsvereinbarungen ernsthaft kontrolliert, hat er sogar noch zusätzliche Aufwände.
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