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SVP-Politiker vermietet sein Hotel als Asylzentrum an den Kanton 

Im ehemaligen Hotel Sternen sollen ab August 2015 Flüchtlinge einquartiert werden. Die Gemeinde wehrt sich gegen die Unterbringung. 
Im ehemaligen Hotel Sternen sollen ab August 2015 Flüchtlinge einquartiert werden. Die Gemeinde wehrt sich gegen die Unterbringung. pascal meier

SVP-Politiker vermietet sein Hotel als Asylzentrum an den Kanton 

Bald sollen im Sternen in Menziken bis zu 90 Flüchtlinge einziehen – die Gemeinde prüft rechtliche Schritte gegen das Projekt. Brisant: Vermieter der Liegenschaft ist SVP-Politiker Hans Marti, der von 1994 bis 2001 selber Ammann in Menziken war. 
13.05.2015, 08:1613.05.2015, 12:44
fabian hägler / aargauer zeitung
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

«Die Spekulationen haben sich bestätigt: Das Hotel/Restaurant Sternen ist an den Kanton vermietet worden und soll ab Mitte August 2015 als Unterkunft für Asylbewerber genutzt werden.» Das schreibt der Gemeinderat Menziken in einer Mitteilung, die am Dienstagmorgen verschickt wurde. 

Die Behörde lässt keine Zweifel offen, was sie davon hält. «Die Gemeinde wurde vor vollendete Tatsachen gestellt. Der Gemeinderat ist über die kantonale Vorgehensweise und die vorgesehene Zuweisung von weiteren Asylsuchenden empört.» 

Gemeindeammann Annette Heuberger kritisiert: «Der Gemeinderat wurde vom Kanton erst am Montag informiert, als der Mietvertrag bereits unterschrieben war.» Gerüchte um eine Nutzung der Liegenschaft als Asylunterkunft gab es aber schon früher. «Seit klar ist, dass der Sternen Ende Mai geschlossen wird, kursierten im Dorf solche Spekulationen», sagt Heuberger. 

«Ich bin nicht verantwortlich für die absolut verfehlte Flüchtlingspolitik.»
Hans Marti, Hotelbesitzer und SVP-Mitglied

Vermieter gehört der SVP an

Nun ist klar: Besitzer Hans Marti vermietet das Gebäude dem Kanton. Marti ist Architekt, war von 1994 bis 2001 Gemeindeammann in Menziken und gehört der SVP an – also jener Partei, die vehement gegen neue Asylunterkünfte kämpft. Er sagt auf Anfrage: «Für die Traditionsgastronomie, wie sie im Hotel-Restaurant Sternen angeboten wird, ist die Zeit abgelaufen. 

Die beste Lösung heisst Vermietung an den Kantonalen Sozialdienst zum Betrieb einer Asylunterkunft.» Die unternehmerische Verantwortung stehe in diesem Fall vor der politischen, ergänzt Marti. Zudem sei der Sternen mit der peripheren Lage im Dorf und der Nutzung der bestehenden Räume geradezu als Asylunterkunft prädestiniert. Marti hält fest: «Grundsätzlich teile ich selbstverständlich das Ansinnen der SVP, dass die Möglichkeiten zur Unterbringung der Flüchtlinge vor Ort zu prüfen sind.» 

«Wenn es um das liebe Geld geht, vergisst der Mensch vieles.»
Annette Heuberger, Gemeindeammann Menziken  

Nur seien die Asylbewerber schon da und müssten untergebracht werden. Er stellt klar: «Ich bin nicht verantwortlich für die absolut verfehlte Flüchtlingspolitik.» Noch vor einer Woche hatte Hans Marti gesagt, er prüfe diverse Optionen einer künftigen Nutzung für den Sternen. Damals war der Mietvertrag mit dem Kantonalen Sozialdienst laut Informationen der AZ aber bereits unterzeichnet. Gekauft hat Hans Marti den Sternen, «weil ich verhindern wollte, dass er in ausländische Hände gerät», wie er im September 2013 sagte. 

Kritik von Parteikollegen

Gemeindeammann Annette Heuberger sagt: «Laut den Aussagen des Kantons hat Herr Marti den Sternen dem Sozialdienst angeboten – mich wundert eigentlich nichts mehr.» Angesprochen auf die erstaunliche Tatsache, dass ausgerechnet ein SVP-Vertreter sein Hotel dem Kanton als Asylunterkunft vermietet, sagt Heuberger lapidar: «Wenn es um das liebe Geld geht, vergisst der Mensch eben vieles.» 

Andreas Glarner, Fraktionschef der SVP im Grossen Rat, ärgert sich über seinen Parteikollegen. «Ich kenne Herrn Marti zwar nicht persönlich, aber es ist sehr unerfreulich, dass er als SVP-Mitglied dem Kanton zu einer Asylunterkunft verhilft.» Die Partei werde nicht aktiv, die Vermietung des Hotels an den Kanton sei Martis Privatsache. «Es ist aber ein Beispiel, das zeigt, dass auch Politiker ihre Prinzipien über Bord werfen, wenn es um Geld geht.» 

Gemeinde will sich wehren

Unabhängig von der Person des Vermieters ist für den Gemeinderat klar: Menziken will kein neues Asylzentrum. «Wir sind daran, verschiedene Optionen zu prüfen und schliessen juristische Schritte nicht aus», erklärt Heuberger. Problematisch erscheine dem Gemeinderat insbesondere, «dass Herr Marti im gleichen Gebäude weiterhin eine Bar betreiben will». Da seien Konflikte mit den dort untergebrachten Asylbewerbern praktisch programmiert. 

Asylgesetz
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Sternen-Wirt Marti sieht hingegen keine Friktionen. «Jahrelang wurde eine kantonale Asylunterkunft unter dem gleichen Dach wie das Restaurant und Bar Eintracht in Menziken problemlos betrieben», argumentiert er. 

Heuberger betont, der Gemeinderat habe nichts gegen Flüchtlinge. Sie hält aber fest: «Wir erfüllen unsere Aufnahmepflicht von 12 Flüchtlingen bei weitem, in Menziken leben heute 60 Asylsuchende.» Deshalb sei der Gemeinderat enttäuscht, «dass der Kanton beteuert, eine gerechte Verteilung der Asylbewerber auf die Gemeinden anzustreben, aber 90 weitere Flüchtlinge in Menziken einquartieren will». 

Heuberger hält fest: «Es ist nicht wegzudiskutieren, dass eine Asylunterkunft für eine Gemeinde zusätzliche Kosten verursacht.» Dies betreffe insbesondere Schulwesen, Verwaltung und Polizei. 

Kanton braucht Asylplätze

Am Dienstagnachmittag folgt die Bestätigung des Kantons. «Nach einer eingehenden Prüfung der Eignung der Liegenschaft hat sich der Sozialdienst entschieden, das Objekt anzumieten», teilt das Departement von Regierungsrätin Susanne Hochuli (Grüne) mit. Dies im Wissen um die Strukturprobleme der Gemeinde sowie um die beengten Siedlungsverhältnisse im Ortskern. 

Angesichts der Unterbringungsprobleme für Asylbewerber könne der Kanton «zum heutigen Zeitpunkt auf die Anmietung nicht verzichten». Im Gegenzug unternehme der Kanton sowohl im Betreuungs- und Beschäftigungs- als auch im Sicherheitsbereich grosse Anstrengungen, um für alle Beteiligten möglichst gute Bedingungen zu schaffen. 

«Strikt nach Leitfaden»

Balz Bruder, Leiter Kommunikation im Sozialdepartement, kontert die Kritik des Gemeinderats Menziken am Vorgehen. «Der Kanton hat sich strikt an den Leitfaden für die Schaffung von Asylunterkünften gehalten, der von der Paritätischen Kommission Kanton-Gemeinden im Asylwesen erstellt und im März allen Gemeinden kommuniziert wurde.» 

Jetzt auf

Dieser sieht vor, dass der Kanton nach der vertraulichen Erstinformation des Gemeindeammanns den Mietvertrag abschliesst und die Unterlagen für das Erstgespräch mit den Gemeindebehörden aufbereitet. Beides sei im vorliegenden Fall erfolgt. Bruder betont: «Ein anderes Vorgehen wäre im Interesse der Sache nicht zielführend.» Konkret heisst das: Würde der Kanton die Gemeinde informieren, bevor der Mietvertrag abgeschlossen wurde, könnte der Vermieter unter Druck geraten und eine Anmietung scheitern. 

Bezug erfolgt in zwei Etappen

Der Mietvertrag zwischen dem Eigentümer des Sternen in Menziken und dem Kantonalen Sozialdienst wurde auf fünf Jahre mit Verlängerungsoption für weitere fünf Jahre abgeschlossen, Mietbeginn ist der 1. Juli. Die neue Unterkunft wird voraussichtlich ab Mitte August 2015 in zwei Etappen bezogen. In einem ersten Schritt werden 60 Asylsuchende einziehen. Nach den notwendigen Einbauten in den heutigen Saal des Sternen werden danach weitere 30 Asylsuchende Einzug halten. Beabsichtigt ist eine gemischte Nutzung von Familien und Einzelpersonen. Diese Personen befinden sich laut dem Kanton entweder im Asylverfahren oder sind vorläufig Aufgenommene. 

Für die Bevölkerung der Gemeinde Menziken, sowie interessierte Personen der Nachbargemeinden Reinach und Burg, findet am 27. Mai ein öffentlicher Informationsanlass zur geplanten Asylunterkunft im Sternen statt.

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